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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Hamburg und die Lholera

vrgcmismus liegt, und daß es sich nicht um eine vollständige Änderung der
Verwaltung, sondern um die Beseitigung einzelner Mißstände handelt. Wesentlich
verantwortlich scheint hier die Bürgerschaft, in der der Grundeigentümerstand
-- allein vierzig der hundertundsechzig Mitglieder gehen aus Grundeigentümer-
Wahlen hervor -- eine bedeutende Rolle spielt, und die sehr von der freisinnig-
manchesterlichen Anschauung beeinflußt wird, daß jede im öffentlichen Interesse
gebotene Beschränkung des Privateigentums dem Grundeigentümer vom Staate
mit Geld abgekauft werden müsse. Diese Kräfte haben dein in dieser Frage
vorwärts drängenden Senat einen nicht unbedeutenden passiven Widerstand
entgegengesetzt, sich nur ungern zur Verschärfung der auf dein Wege der Ge¬
setzgebung festzustellenden baupolizeilichen Bestimmungen entschlossen, die hierauf
gerichteten Senatsvvrlagen verwässert und durch zu dehnbare Bestimmungen in
ihrer praktischen Wirksamkeit beeinträchtigt. Es ist nützlich, daß man sich dies
außerhalb Hamburgs vor Angen halte, und darnach den Wert der scharfen
Angriffe bemesfe, die aus der Mitte der Bürgerschaft gerade von denen er¬
hoben werden, die sich in Sachen der Baupolizei immer zu Anwälten des
Grnudeigentümerinterefses gemacht haben. In Wirklichkeit thut weder die von
diesen geforderte Beseitigung der dnrch Sachkunde sich auszeichnenden sogenannten
Notabeln, d. h. der vierzig Bürgerschnftsmitglieder not, die aus Wahlen der
Richter und der Laien Mitglieder der Verwaltungsbehörden hervorgehen, noch
die im weitern von jeuer Seite geforderte Reform des Senats an Haupt und
Gliedern, der sich, wie sonst überall, gerade auch in der Wohnungsfrage den
weiten Blick völlig gewahrt hat, sondern was vor allem in Frage kommt, das
ist gerade das, was jene in der anszerhambnrgischen Presse vielfach unrichtig
beurteilten Reformer nicht fordern: eine gewisse Eindämmung des zu kräftig
sich geltend machenden Grundcigcntümerstandes.

Ob und wie dies auszuführen sei, ist eine sehr schwierige, mit wenigen
Worten nicht zu erledigende Frage und hier zu untersuchen nicht der Ort.
Uns lag nur daran, zu zeigen, daß auch die in unsern Wohnungsverhält¬
nissen zu Tage getretenen Schäden sicherlich nicht Anzeichen einer schweren
allgemeinen Erkrankung unsers Staatskörpers, sondern höchstens Anzeichen
eines örtlichen Leidens, eines zu bedeutenden Vorwiegens einer einzelnen
Jnteressentengrnppe in der Bürgerschaft sind. Hierin einen Mangel unsrer
bürgerlich-republikanischen Einrichtungen finden zu wollen, wäre unbillig. Viel¬
mehr lehrt die Geschichte, daß in allen Staatswesen -- republikanischen und
monarchischen, demokratischen und aristokratischen -- einmal ein Zeitpunkt ein¬
tritt, wo sich die Verhältnisse derart geändert haben, daß daS, was ursprüng¬
lich gut und richtig war, als ein sozialer Übelstnnd empfunden wird. Es ist
menschlich. begreiflich, daß ein solcher Übelstand, der sich nach und nach und
fast unmerklich geltend macht, erst dann klar zu Tage tritt, wenn ihn ein
großes Unglück grell beleuchtet. Man sollte uns daher auch in dem Punkte


Hamburg und die Lholera

vrgcmismus liegt, und daß es sich nicht um eine vollständige Änderung der
Verwaltung, sondern um die Beseitigung einzelner Mißstände handelt. Wesentlich
verantwortlich scheint hier die Bürgerschaft, in der der Grundeigentümerstand
— allein vierzig der hundertundsechzig Mitglieder gehen aus Grundeigentümer-
Wahlen hervor — eine bedeutende Rolle spielt, und die sehr von der freisinnig-
manchesterlichen Anschauung beeinflußt wird, daß jede im öffentlichen Interesse
gebotene Beschränkung des Privateigentums dem Grundeigentümer vom Staate
mit Geld abgekauft werden müsse. Diese Kräfte haben dein in dieser Frage
vorwärts drängenden Senat einen nicht unbedeutenden passiven Widerstand
entgegengesetzt, sich nur ungern zur Verschärfung der auf dein Wege der Ge¬
setzgebung festzustellenden baupolizeilichen Bestimmungen entschlossen, die hierauf
gerichteten Senatsvvrlagen verwässert und durch zu dehnbare Bestimmungen in
ihrer praktischen Wirksamkeit beeinträchtigt. Es ist nützlich, daß man sich dies
außerhalb Hamburgs vor Angen halte, und darnach den Wert der scharfen
Angriffe bemesfe, die aus der Mitte der Bürgerschaft gerade von denen er¬
hoben werden, die sich in Sachen der Baupolizei immer zu Anwälten des
Grnudeigentümerinterefses gemacht haben. In Wirklichkeit thut weder die von
diesen geforderte Beseitigung der dnrch Sachkunde sich auszeichnenden sogenannten
Notabeln, d. h. der vierzig Bürgerschnftsmitglieder not, die aus Wahlen der
Richter und der Laien Mitglieder der Verwaltungsbehörden hervorgehen, noch
die im weitern von jeuer Seite geforderte Reform des Senats an Haupt und
Gliedern, der sich, wie sonst überall, gerade auch in der Wohnungsfrage den
weiten Blick völlig gewahrt hat, sondern was vor allem in Frage kommt, das
ist gerade das, was jene in der anszerhambnrgischen Presse vielfach unrichtig
beurteilten Reformer nicht fordern: eine gewisse Eindämmung des zu kräftig
sich geltend machenden Grundcigcntümerstandes.

Ob und wie dies auszuführen sei, ist eine sehr schwierige, mit wenigen
Worten nicht zu erledigende Frage und hier zu untersuchen nicht der Ort.
Uns lag nur daran, zu zeigen, daß auch die in unsern Wohnungsverhält¬
nissen zu Tage getretenen Schäden sicherlich nicht Anzeichen einer schweren
allgemeinen Erkrankung unsers Staatskörpers, sondern höchstens Anzeichen
eines örtlichen Leidens, eines zu bedeutenden Vorwiegens einer einzelnen
Jnteressentengrnppe in der Bürgerschaft sind. Hierin einen Mangel unsrer
bürgerlich-republikanischen Einrichtungen finden zu wollen, wäre unbillig. Viel¬
mehr lehrt die Geschichte, daß in allen Staatswesen — republikanischen und
monarchischen, demokratischen und aristokratischen — einmal ein Zeitpunkt ein¬
tritt, wo sich die Verhältnisse derart geändert haben, daß daS, was ursprüng¬
lich gut und richtig war, als ein sozialer Übelstnnd empfunden wird. Es ist
menschlich. begreiflich, daß ein solcher Übelstand, der sich nach und nach und
fast unmerklich geltend macht, erst dann klar zu Tage tritt, wenn ihn ein
großes Unglück grell beleuchtet. Man sollte uns daher auch in dem Punkte


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[0367] Hamburg und die Lholera vrgcmismus liegt, und daß es sich nicht um eine vollständige Änderung der Verwaltung, sondern um die Beseitigung einzelner Mißstände handelt. Wesentlich verantwortlich scheint hier die Bürgerschaft, in der der Grundeigentümerstand — allein vierzig der hundertundsechzig Mitglieder gehen aus Grundeigentümer- Wahlen hervor — eine bedeutende Rolle spielt, und die sehr von der freisinnig- manchesterlichen Anschauung beeinflußt wird, daß jede im öffentlichen Interesse gebotene Beschränkung des Privateigentums dem Grundeigentümer vom Staate mit Geld abgekauft werden müsse. Diese Kräfte haben dein in dieser Frage vorwärts drängenden Senat einen nicht unbedeutenden passiven Widerstand entgegengesetzt, sich nur ungern zur Verschärfung der auf dein Wege der Ge¬ setzgebung festzustellenden baupolizeilichen Bestimmungen entschlossen, die hierauf gerichteten Senatsvvrlagen verwässert und durch zu dehnbare Bestimmungen in ihrer praktischen Wirksamkeit beeinträchtigt. Es ist nützlich, daß man sich dies außerhalb Hamburgs vor Angen halte, und darnach den Wert der scharfen Angriffe bemesfe, die aus der Mitte der Bürgerschaft gerade von denen er¬ hoben werden, die sich in Sachen der Baupolizei immer zu Anwälten des Grnudeigentümerinterefses gemacht haben. In Wirklichkeit thut weder die von diesen geforderte Beseitigung der dnrch Sachkunde sich auszeichnenden sogenannten Notabeln, d. h. der vierzig Bürgerschnftsmitglieder not, die aus Wahlen der Richter und der Laien Mitglieder der Verwaltungsbehörden hervorgehen, noch die im weitern von jeuer Seite geforderte Reform des Senats an Haupt und Gliedern, der sich, wie sonst überall, gerade auch in der Wohnungsfrage den weiten Blick völlig gewahrt hat, sondern was vor allem in Frage kommt, das ist gerade das, was jene in der anszerhambnrgischen Presse vielfach unrichtig beurteilten Reformer nicht fordern: eine gewisse Eindämmung des zu kräftig sich geltend machenden Grundcigcntümerstandes. Ob und wie dies auszuführen sei, ist eine sehr schwierige, mit wenigen Worten nicht zu erledigende Frage und hier zu untersuchen nicht der Ort. Uns lag nur daran, zu zeigen, daß auch die in unsern Wohnungsverhält¬ nissen zu Tage getretenen Schäden sicherlich nicht Anzeichen einer schweren allgemeinen Erkrankung unsers Staatskörpers, sondern höchstens Anzeichen eines örtlichen Leidens, eines zu bedeutenden Vorwiegens einer einzelnen Jnteressentengrnppe in der Bürgerschaft sind. Hierin einen Mangel unsrer bürgerlich-republikanischen Einrichtungen finden zu wollen, wäre unbillig. Viel¬ mehr lehrt die Geschichte, daß in allen Staatswesen — republikanischen und monarchischen, demokratischen und aristokratischen — einmal ein Zeitpunkt ein¬ tritt, wo sich die Verhältnisse derart geändert haben, daß daS, was ursprüng¬ lich gut und richtig war, als ein sozialer Übelstnnd empfunden wird. Es ist menschlich. begreiflich, daß ein solcher Übelstand, der sich nach und nach und fast unmerklich geltend macht, erst dann klar zu Tage tritt, wenn ihn ein großes Unglück grell beleuchtet. Man sollte uns daher auch in dem Punkte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/367>, abgerufen am 23.07.2024.