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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Hamburg und die Cholera

unleidlichen Zustande unsrer Wasserversorgung ein Zeichen dafür sehen, daß
Hamburg ein zu geringes Interesse für notwendige Dinge habe, die kein Geld
einbrächten. Kein Vorwurf ist unbegründeter als dieser. Weiß man nicht,
auf einer wie hohen Stufe unsre Volksschulen stehen, wie viel unsre Bauver¬
waltung für Herstellung freier Plätze und öffentlicher Anlagen thut, und daß
wir erst jüngst für vierundeinehalbe Million Mark ein Krankenhaus errichtet
haben, das die Bewundrung der ganzen Welt erregt, und von dem ein wohl¬
unterrichteter Berichterstatter der ?im"Z8, der uns wahrlich sonst nicht geschont
hat, erst jüngst, in Übereinstimmung mit Professor Koch, erklärt hat, daß es
alles bisher dagewesene übertreffe, geradezu "ein Traum" sei? Auch die lange
Leidensgeschichte der Frage der Wasserversorgung, die bereits seit 1872
ununterbrochen, selbst nicht durch den uns aufgenötigten Zollanschluß unter¬
brochen, auf der Tagesordnung steht, spricht eher für alles andre, als für
die Berechtigung dieses Vorwurfs. Niemals ist behauptet worden, daß eine
Versorgung der Stadt mit genießbarem Trinkwasser zu teuer sei, im Gegen¬
teil, alle Beteiligten sind gleichmäßig bestrebt gewesen, ohne Rücksicht auf die
etwaigen Kosten die möglichst beste Art der Filtration des Elbwassers aus¬
findig zu machen. Daß wir darnach zu lange gesucht haben, daß das Bessere
der Feind des Guten war, daß der durchgreifende Entschluß fehlte, das war
hier, wie in so manchen andern Dingen, unser Unglück. So ereilte uns das
tragische Schicksal, daß uns die Cholera zu einer Zeit überfiel, wo die Her¬
stellung einer wirklich großartigen Filtrationsanlage für siebenundeinehalbe
Million Mark nicht nur bereits beschlossen, sondern auch so weit gefördert war,
daß wir Mitte nächsten Jahres aller Voraussicht nach auch in dieser Beziehung
wohlgerüstet dastehen werden.

Mau muß unsre Zustände kennen, um uns gerecht beurteilen zu können.
Die schwache Seite unsrer Selbstverwaltung hat sich in diesem Falle unleugbar
gezeigt. Die Langsamkeit des Geschäftsganges der Behörden und der gesetzgeben¬
den Körperschaften unter einander, die Häufung der Instanzen, die jede Sache zu
durchlaufen hat, die übertriebne Neigung der Laien, in den Verwaltungsdepnta-
tiouen und in der Bürgerschaft in rein technischen Fragen mitzureden, das zu
geringe Ansehen der höchsten technischen Beamten jedes Verwaltnngszweiges
gegenüber dem Laienelemente in den Deputationen, dem allein die Entscheidung
zusteht, während der höchste Beamte fast in allen Deputationen nur eine be¬
ratende Stimme hat, alles dies hat zu der außerordentlichen Verschleppung
der Trinkwasserangelegenheit geführt, ohne daß irgend einer Instanz oder
irgend einer einzelnen Person hieraus ein Vorwurf zu machen wäre. Daß
hier die bessernde Hand anzulegen sei, hatte man an maßgebender Stelle schon
eingesehen, ehe die Choleraepidemie so besonders eindringlich daran mahnte.
Schon lange beschäftigen sich unsre Behörden, vor allem der Senat, der hierin,
weil er natürlich die Übelstände am schärfsten sieht, die treibende Kraft bildet,


Hamburg und die Cholera

unleidlichen Zustande unsrer Wasserversorgung ein Zeichen dafür sehen, daß
Hamburg ein zu geringes Interesse für notwendige Dinge habe, die kein Geld
einbrächten. Kein Vorwurf ist unbegründeter als dieser. Weiß man nicht,
auf einer wie hohen Stufe unsre Volksschulen stehen, wie viel unsre Bauver¬
waltung für Herstellung freier Plätze und öffentlicher Anlagen thut, und daß
wir erst jüngst für vierundeinehalbe Million Mark ein Krankenhaus errichtet
haben, das die Bewundrung der ganzen Welt erregt, und von dem ein wohl¬
unterrichteter Berichterstatter der ?im«Z8, der uns wahrlich sonst nicht geschont
hat, erst jüngst, in Übereinstimmung mit Professor Koch, erklärt hat, daß es
alles bisher dagewesene übertreffe, geradezu „ein Traum" sei? Auch die lange
Leidensgeschichte der Frage der Wasserversorgung, die bereits seit 1872
ununterbrochen, selbst nicht durch den uns aufgenötigten Zollanschluß unter¬
brochen, auf der Tagesordnung steht, spricht eher für alles andre, als für
die Berechtigung dieses Vorwurfs. Niemals ist behauptet worden, daß eine
Versorgung der Stadt mit genießbarem Trinkwasser zu teuer sei, im Gegen¬
teil, alle Beteiligten sind gleichmäßig bestrebt gewesen, ohne Rücksicht auf die
etwaigen Kosten die möglichst beste Art der Filtration des Elbwassers aus¬
findig zu machen. Daß wir darnach zu lange gesucht haben, daß das Bessere
der Feind des Guten war, daß der durchgreifende Entschluß fehlte, das war
hier, wie in so manchen andern Dingen, unser Unglück. So ereilte uns das
tragische Schicksal, daß uns die Cholera zu einer Zeit überfiel, wo die Her¬
stellung einer wirklich großartigen Filtrationsanlage für siebenundeinehalbe
Million Mark nicht nur bereits beschlossen, sondern auch so weit gefördert war,
daß wir Mitte nächsten Jahres aller Voraussicht nach auch in dieser Beziehung
wohlgerüstet dastehen werden.

Mau muß unsre Zustände kennen, um uns gerecht beurteilen zu können.
Die schwache Seite unsrer Selbstverwaltung hat sich in diesem Falle unleugbar
gezeigt. Die Langsamkeit des Geschäftsganges der Behörden und der gesetzgeben¬
den Körperschaften unter einander, die Häufung der Instanzen, die jede Sache zu
durchlaufen hat, die übertriebne Neigung der Laien, in den Verwaltungsdepnta-
tiouen und in der Bürgerschaft in rein technischen Fragen mitzureden, das zu
geringe Ansehen der höchsten technischen Beamten jedes Verwaltnngszweiges
gegenüber dem Laienelemente in den Deputationen, dem allein die Entscheidung
zusteht, während der höchste Beamte fast in allen Deputationen nur eine be¬
ratende Stimme hat, alles dies hat zu der außerordentlichen Verschleppung
der Trinkwasserangelegenheit geführt, ohne daß irgend einer Instanz oder
irgend einer einzelnen Person hieraus ein Vorwurf zu machen wäre. Daß
hier die bessernde Hand anzulegen sei, hatte man an maßgebender Stelle schon
eingesehen, ehe die Choleraepidemie so besonders eindringlich daran mahnte.
Schon lange beschäftigen sich unsre Behörden, vor allem der Senat, der hierin,
weil er natürlich die Übelstände am schärfsten sieht, die treibende Kraft bildet,


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[0364] Hamburg und die Cholera unleidlichen Zustande unsrer Wasserversorgung ein Zeichen dafür sehen, daß Hamburg ein zu geringes Interesse für notwendige Dinge habe, die kein Geld einbrächten. Kein Vorwurf ist unbegründeter als dieser. Weiß man nicht, auf einer wie hohen Stufe unsre Volksschulen stehen, wie viel unsre Bauver¬ waltung für Herstellung freier Plätze und öffentlicher Anlagen thut, und daß wir erst jüngst für vierundeinehalbe Million Mark ein Krankenhaus errichtet haben, das die Bewundrung der ganzen Welt erregt, und von dem ein wohl¬ unterrichteter Berichterstatter der ?im«Z8, der uns wahrlich sonst nicht geschont hat, erst jüngst, in Übereinstimmung mit Professor Koch, erklärt hat, daß es alles bisher dagewesene übertreffe, geradezu „ein Traum" sei? Auch die lange Leidensgeschichte der Frage der Wasserversorgung, die bereits seit 1872 ununterbrochen, selbst nicht durch den uns aufgenötigten Zollanschluß unter¬ brochen, auf der Tagesordnung steht, spricht eher für alles andre, als für die Berechtigung dieses Vorwurfs. Niemals ist behauptet worden, daß eine Versorgung der Stadt mit genießbarem Trinkwasser zu teuer sei, im Gegen¬ teil, alle Beteiligten sind gleichmäßig bestrebt gewesen, ohne Rücksicht auf die etwaigen Kosten die möglichst beste Art der Filtration des Elbwassers aus¬ findig zu machen. Daß wir darnach zu lange gesucht haben, daß das Bessere der Feind des Guten war, daß der durchgreifende Entschluß fehlte, das war hier, wie in so manchen andern Dingen, unser Unglück. So ereilte uns das tragische Schicksal, daß uns die Cholera zu einer Zeit überfiel, wo die Her¬ stellung einer wirklich großartigen Filtrationsanlage für siebenundeinehalbe Million Mark nicht nur bereits beschlossen, sondern auch so weit gefördert war, daß wir Mitte nächsten Jahres aller Voraussicht nach auch in dieser Beziehung wohlgerüstet dastehen werden. Mau muß unsre Zustände kennen, um uns gerecht beurteilen zu können. Die schwache Seite unsrer Selbstverwaltung hat sich in diesem Falle unleugbar gezeigt. Die Langsamkeit des Geschäftsganges der Behörden und der gesetzgeben¬ den Körperschaften unter einander, die Häufung der Instanzen, die jede Sache zu durchlaufen hat, die übertriebne Neigung der Laien, in den Verwaltungsdepnta- tiouen und in der Bürgerschaft in rein technischen Fragen mitzureden, das zu geringe Ansehen der höchsten technischen Beamten jedes Verwaltnngszweiges gegenüber dem Laienelemente in den Deputationen, dem allein die Entscheidung zusteht, während der höchste Beamte fast in allen Deputationen nur eine be¬ ratende Stimme hat, alles dies hat zu der außerordentlichen Verschleppung der Trinkwasserangelegenheit geführt, ohne daß irgend einer Instanz oder irgend einer einzelnen Person hieraus ein Vorwurf zu machen wäre. Daß hier die bessernde Hand anzulegen sei, hatte man an maßgebender Stelle schon eingesehen, ehe die Choleraepidemie so besonders eindringlich daran mahnte. Schon lange beschäftigen sich unsre Behörden, vor allem der Senat, der hierin, weil er natürlich die Übelstände am schärfsten sieht, die treibende Kraft bildet,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/364>, abgerufen am 23.07.2024.