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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Hamburg und die Cholera

wie sie bekanntlich in Frankreich während der diesmaligen Epidemie in hohem
Maße betrieben worden ist, kann also in Hamburg keine Rede sein. Sobald
unsre Sachverständigen die Cholera nachgewiesen hatten, und das war erst durch
die Auffindung des Kommabaeillns am 22. August geschehen, ist diese That¬
sache aller Welt aufrichtig mitgeteilt worden. Allerdings ist nachträglich er¬
mittelt worden, daß die von dem Medizinalbüreau veröffentlichten täglichen
Erkrankungsziffern zu niedrig waren; aber dabei hat es sich lediglich, wie
dnrch das statistische Bureau festgestellt worden ist, um Rechenfehler, freilich
grobe Rechenfehler, gehandelt, die durch die plötzliche Geschäftsüberlastung des
Medizinalbnreaus verursacht worden sind, und bei denen eine Absicht der Ver¬
heimlichung um so weniger angenommen werden kann, als auch schon die von
dem Medizinalbüreau veröffentlichten Zahlen erschreckend hoch waren. Ein
Grund, warum man vierhundert Erkrankungen täglich veröffentlicht und zwei¬
hundert absichtlich verschwiegen haben sollte, ist nicht einzusehen. Auch ist der
Bevölkerung mindestens kein Schaden dadurch erwachsen, daß es die ganze
Höhe der Zahlen nicht sofort kannte; die Warnung, die schon in den vom
Medizinalbüreau veröffentlichten Zahlen lag, war ausreichend.

Geradezu unglaubliches aber ist in den Schilderungen der außerham-
burgischen Presse über die Zustände geleistet worden, die hier während der
Epidemie geherrscht haben sollen. Man stellte die Dinge so dar, als wenn
hier alles drunter und drüber ginge, als wenn die Behörden und die Be¬
völkerung gleichmäßig den Kopf verloren hätten, und in Hamburg eine Un¬
ordnung und Planlosigkeit in Bezug auf die zur Bekämpfung der Seuche
ergriffnen Maßregeln herrschte, die jeder Beschreibung spottete. In Wahrheit
war gerade das Gegenteil der Fall. Die Polizeibehörde hatte, worauf wir
schon in anderm Zusammenhange hingewiesen haben, innerhalb weniger Tage
durch Ankauf einer großen Anzahl von Wage" und durch Verstärkung der
Sanitätskolonne, den Kranken- und Leichcntransport in ganz vorzüglicher
Weise geregelt, die Krankenhnnsverwaltung hatte ebenso schnell Raum für
die Cholerakranken geschaffen und teils hiesige teils auswärtige ärztliche
Hilfskräfte in genügender Zahl herangezogen, und der Zentralfriedhvf zeigte
sich von Anbeginn an den an ihn gestellten riesigen Anforderungen durchaus
gewachsen. In den während der Epidemie leerstehenden öffentlichen Schulen
und andern öffentlichen Gebäuden wurden Desinfektionsanstalten errichtet, wo
jederzeit Ärzte unentgeltlich zur Verfügung standen, Ratschläge und War-
nungen der Behörden wurden durch Flugblätter und öffentliche Anschläge in
der ganzen Stadt schnell und zweckmäßig verbreitet, vierzig staatliche Des¬
infektionskolonnen wurden zur Desinsiziruug der von Cholerakrauken bewohnt
gewesenen Wohnungen gebildet, und die gesamte Bevölkerung nahm thätig
teil an der von den Behörden in Angriff genommenen Nettungsarbeit.

Nachdem der erste Schreck überwunden war, begann sichs in der an selb-


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Hamburg und die Cholera

wie sie bekanntlich in Frankreich während der diesmaligen Epidemie in hohem
Maße betrieben worden ist, kann also in Hamburg keine Rede sein. Sobald
unsre Sachverständigen die Cholera nachgewiesen hatten, und das war erst durch
die Auffindung des Kommabaeillns am 22. August geschehen, ist diese That¬
sache aller Welt aufrichtig mitgeteilt worden. Allerdings ist nachträglich er¬
mittelt worden, daß die von dem Medizinalbüreau veröffentlichten täglichen
Erkrankungsziffern zu niedrig waren; aber dabei hat es sich lediglich, wie
dnrch das statistische Bureau festgestellt worden ist, um Rechenfehler, freilich
grobe Rechenfehler, gehandelt, die durch die plötzliche Geschäftsüberlastung des
Medizinalbnreaus verursacht worden sind, und bei denen eine Absicht der Ver¬
heimlichung um so weniger angenommen werden kann, als auch schon die von
dem Medizinalbüreau veröffentlichten Zahlen erschreckend hoch waren. Ein
Grund, warum man vierhundert Erkrankungen täglich veröffentlicht und zwei¬
hundert absichtlich verschwiegen haben sollte, ist nicht einzusehen. Auch ist der
Bevölkerung mindestens kein Schaden dadurch erwachsen, daß es die ganze
Höhe der Zahlen nicht sofort kannte; die Warnung, die schon in den vom
Medizinalbüreau veröffentlichten Zahlen lag, war ausreichend.

Geradezu unglaubliches aber ist in den Schilderungen der außerham-
burgischen Presse über die Zustände geleistet worden, die hier während der
Epidemie geherrscht haben sollen. Man stellte die Dinge so dar, als wenn
hier alles drunter und drüber ginge, als wenn die Behörden und die Be¬
völkerung gleichmäßig den Kopf verloren hätten, und in Hamburg eine Un¬
ordnung und Planlosigkeit in Bezug auf die zur Bekämpfung der Seuche
ergriffnen Maßregeln herrschte, die jeder Beschreibung spottete. In Wahrheit
war gerade das Gegenteil der Fall. Die Polizeibehörde hatte, worauf wir
schon in anderm Zusammenhange hingewiesen haben, innerhalb weniger Tage
durch Ankauf einer großen Anzahl von Wage« und durch Verstärkung der
Sanitätskolonne, den Kranken- und Leichcntransport in ganz vorzüglicher
Weise geregelt, die Krankenhnnsverwaltung hatte ebenso schnell Raum für
die Cholerakranken geschaffen und teils hiesige teils auswärtige ärztliche
Hilfskräfte in genügender Zahl herangezogen, und der Zentralfriedhvf zeigte
sich von Anbeginn an den an ihn gestellten riesigen Anforderungen durchaus
gewachsen. In den während der Epidemie leerstehenden öffentlichen Schulen
und andern öffentlichen Gebäuden wurden Desinfektionsanstalten errichtet, wo
jederzeit Ärzte unentgeltlich zur Verfügung standen, Ratschläge und War-
nungen der Behörden wurden durch Flugblätter und öffentliche Anschläge in
der ganzen Stadt schnell und zweckmäßig verbreitet, vierzig staatliche Des¬
infektionskolonnen wurden zur Desinsiziruug der von Cholerakrauken bewohnt
gewesenen Wohnungen gebildet, und die gesamte Bevölkerung nahm thätig
teil an der von den Behörden in Angriff genommenen Nettungsarbeit.

Nachdem der erste Schreck überwunden war, begann sichs in der an selb-


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[0361] Hamburg und die Cholera wie sie bekanntlich in Frankreich während der diesmaligen Epidemie in hohem Maße betrieben worden ist, kann also in Hamburg keine Rede sein. Sobald unsre Sachverständigen die Cholera nachgewiesen hatten, und das war erst durch die Auffindung des Kommabaeillns am 22. August geschehen, ist diese That¬ sache aller Welt aufrichtig mitgeteilt worden. Allerdings ist nachträglich er¬ mittelt worden, daß die von dem Medizinalbüreau veröffentlichten täglichen Erkrankungsziffern zu niedrig waren; aber dabei hat es sich lediglich, wie dnrch das statistische Bureau festgestellt worden ist, um Rechenfehler, freilich grobe Rechenfehler, gehandelt, die durch die plötzliche Geschäftsüberlastung des Medizinalbnreaus verursacht worden sind, und bei denen eine Absicht der Ver¬ heimlichung um so weniger angenommen werden kann, als auch schon die von dem Medizinalbüreau veröffentlichten Zahlen erschreckend hoch waren. Ein Grund, warum man vierhundert Erkrankungen täglich veröffentlicht und zwei¬ hundert absichtlich verschwiegen haben sollte, ist nicht einzusehen. Auch ist der Bevölkerung mindestens kein Schaden dadurch erwachsen, daß es die ganze Höhe der Zahlen nicht sofort kannte; die Warnung, die schon in den vom Medizinalbüreau veröffentlichten Zahlen lag, war ausreichend. Geradezu unglaubliches aber ist in den Schilderungen der außerham- burgischen Presse über die Zustände geleistet worden, die hier während der Epidemie geherrscht haben sollen. Man stellte die Dinge so dar, als wenn hier alles drunter und drüber ginge, als wenn die Behörden und die Be¬ völkerung gleichmäßig den Kopf verloren hätten, und in Hamburg eine Un¬ ordnung und Planlosigkeit in Bezug auf die zur Bekämpfung der Seuche ergriffnen Maßregeln herrschte, die jeder Beschreibung spottete. In Wahrheit war gerade das Gegenteil der Fall. Die Polizeibehörde hatte, worauf wir schon in anderm Zusammenhange hingewiesen haben, innerhalb weniger Tage durch Ankauf einer großen Anzahl von Wage« und durch Verstärkung der Sanitätskolonne, den Kranken- und Leichcntransport in ganz vorzüglicher Weise geregelt, die Krankenhnnsverwaltung hatte ebenso schnell Raum für die Cholerakranken geschaffen und teils hiesige teils auswärtige ärztliche Hilfskräfte in genügender Zahl herangezogen, und der Zentralfriedhvf zeigte sich von Anbeginn an den an ihn gestellten riesigen Anforderungen durchaus gewachsen. In den während der Epidemie leerstehenden öffentlichen Schulen und andern öffentlichen Gebäuden wurden Desinfektionsanstalten errichtet, wo jederzeit Ärzte unentgeltlich zur Verfügung standen, Ratschläge und War- nungen der Behörden wurden durch Flugblätter und öffentliche Anschläge in der ganzen Stadt schnell und zweckmäßig verbreitet, vierzig staatliche Des¬ infektionskolonnen wurden zur Desinsiziruug der von Cholerakrauken bewohnt gewesenen Wohnungen gebildet, und die gesamte Bevölkerung nahm thätig teil an der von den Behörden in Angriff genommenen Nettungsarbeit. Nachdem der erste Schreck überwunden war, begann sichs in der an selb- GrenzwK» IV 1892 45>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/361>, abgerufen am 23.07.2024.