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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Ljmnbm'g und die Cholera

vor Ausbruch der Epidemie sechs Baracken mit hundertzwanzig Betten für die
Aufnahme von Cholerakranken in den Krankenhünsern zur Verfügung. War
irgendwo anders etwa mehr Vorsorge getroffen für den Fall des Ausbruchs
der Epidemie, und hat man irgendwo geglaubt, daß die Epidemie in solchem
Grade auftreten könne, daß z. V. vom 21. auf den 22. August die Zahl der
täglich erkrankten von dreiundachtzig auf zweihundertacht, vom 24. auf den
25. August von dreihundertsiebenuudsechzig auf sechshundertdreiundsiebzig, vom
25. auf den 26. August von sechshundertdreiundsiebzig auf neunhunderteinnnd-
neunzig stieg, daß die Zahl der durch die Sanitätskolonne täglich transpor-
tirten Kranken und Toten vom 21. auf den 22. August von vierundzwanzig
auf zweiundachtzig, also um mehr als das dreifache, in die Höhe ging, am
24. August schon zweihundertachtnndachtzig betrag und weiter in den nächsten
drei Tagen derart stieg, daß am 27. August schon achthundertsechs Trans¬
porte auszuführen waren? Gleichwohl ist es in erstaunlich kurzer Zeit ge¬
lungen, den Kranken- und Leichentrausport auf die Höhe der nu ihn gestellten
riesigen Anforderungen zu bringen und in den beiden großen öffentlichen
Krankenhäusern durch Ausquartierung der andern Kranken, sowie durch eine
außerordentlich schnelle Herstellung besondrer Cholerabaracken in den verschie¬
densten Teilen der Stadt foviel Raum zu schaffen, daß er schon in den
schlimmsten Tagen Ende August ausreichte. Als Professor Koch am Ende
der ersten Septemberwoche zum zweitenmale in Hamburg erschien, sprach er
seine Bewundrung darüber aus. was man in der kurzen Zeit von kaum zwei
Wochen geschaffen hatte, und erklärte, daß wir in Bezug auf Kranken- und
Leichentransport, sowie in der Behandlung und Verpflegung der Kranken
bisher Unerreichtes geleistet hätten, sodaß er hierin von uus nnr lernen könne.
Gewiß war dies Ergebnis zum großen Teile auf das kräftige und umsichtige
Eingreifen der Polizeibehörde und der Krankenhausverwaltung zurückzuführen;
aber ohne Zweifel ist es doch nur erreicht worden, weil die schon lange vor
Ausbruch der Seuche geschaffne Organisation richtig gewesen, also nur eine
größere Ausdehnung der bewährten Einrichtungen nötig war.

Hinfällig ist aber anch der weitere Vorwurf, daß wir nicht für eine ge¬
nügende Absperrung der russischen Auswanderer Sorge getragen und nament¬
lich ihre Abgänge nicht desinfizirt hätten, ehe sie in die Elbe gelangten. Wir
unterlassen es hier, auf die von ärztlichen Autoritäten zu beurteilende, Von¬
seiten Hamburgs bekanntlich entschieden bestrittne Frage einzugehen, ob wir
wirklich die Cholera jenen Auswanderern zu verdanken haben. Denn selbst
wenn dies nicht der Fall wäre, die Cholera vielmehr, wie es mehr und mehr
wahrscheinlich wird, auf dem Wasserwege von Havre oder sonst ans Frank¬
reich eingeschleppt worden wäre, so würde ein solches Verhalten bei der Be¬
handlung der russische" Auswanderer nicht weniger unverzeihlich gewesen sein.
Dieser schwere Vorwurf, der gegen uns zuerst in dem ersten offiziellen Be-


Ljmnbm'g und die Cholera

vor Ausbruch der Epidemie sechs Baracken mit hundertzwanzig Betten für die
Aufnahme von Cholerakranken in den Krankenhünsern zur Verfügung. War
irgendwo anders etwa mehr Vorsorge getroffen für den Fall des Ausbruchs
der Epidemie, und hat man irgendwo geglaubt, daß die Epidemie in solchem
Grade auftreten könne, daß z. V. vom 21. auf den 22. August die Zahl der
täglich erkrankten von dreiundachtzig auf zweihundertacht, vom 24. auf den
25. August von dreihundertsiebenuudsechzig auf sechshundertdreiundsiebzig, vom
25. auf den 26. August von sechshundertdreiundsiebzig auf neunhunderteinnnd-
neunzig stieg, daß die Zahl der durch die Sanitätskolonne täglich transpor-
tirten Kranken und Toten vom 21. auf den 22. August von vierundzwanzig
auf zweiundachtzig, also um mehr als das dreifache, in die Höhe ging, am
24. August schon zweihundertachtnndachtzig betrag und weiter in den nächsten
drei Tagen derart stieg, daß am 27. August schon achthundertsechs Trans¬
porte auszuführen waren? Gleichwohl ist es in erstaunlich kurzer Zeit ge¬
lungen, den Kranken- und Leichentrausport auf die Höhe der nu ihn gestellten
riesigen Anforderungen zu bringen und in den beiden großen öffentlichen
Krankenhäusern durch Ausquartierung der andern Kranken, sowie durch eine
außerordentlich schnelle Herstellung besondrer Cholerabaracken in den verschie¬
densten Teilen der Stadt foviel Raum zu schaffen, daß er schon in den
schlimmsten Tagen Ende August ausreichte. Als Professor Koch am Ende
der ersten Septemberwoche zum zweitenmale in Hamburg erschien, sprach er
seine Bewundrung darüber aus. was man in der kurzen Zeit von kaum zwei
Wochen geschaffen hatte, und erklärte, daß wir in Bezug auf Kranken- und
Leichentransport, sowie in der Behandlung und Verpflegung der Kranken
bisher Unerreichtes geleistet hätten, sodaß er hierin von uus nnr lernen könne.
Gewiß war dies Ergebnis zum großen Teile auf das kräftige und umsichtige
Eingreifen der Polizeibehörde und der Krankenhausverwaltung zurückzuführen;
aber ohne Zweifel ist es doch nur erreicht worden, weil die schon lange vor
Ausbruch der Seuche geschaffne Organisation richtig gewesen, also nur eine
größere Ausdehnung der bewährten Einrichtungen nötig war.

Hinfällig ist aber anch der weitere Vorwurf, daß wir nicht für eine ge¬
nügende Absperrung der russischen Auswanderer Sorge getragen und nament¬
lich ihre Abgänge nicht desinfizirt hätten, ehe sie in die Elbe gelangten. Wir
unterlassen es hier, auf die von ärztlichen Autoritäten zu beurteilende, Von¬
seiten Hamburgs bekanntlich entschieden bestrittne Frage einzugehen, ob wir
wirklich die Cholera jenen Auswanderern zu verdanken haben. Denn selbst
wenn dies nicht der Fall wäre, die Cholera vielmehr, wie es mehr und mehr
wahrscheinlich wird, auf dem Wasserwege von Havre oder sonst ans Frank¬
reich eingeschleppt worden wäre, so würde ein solches Verhalten bei der Be¬
handlung der russische» Auswanderer nicht weniger unverzeihlich gewesen sein.
Dieser schwere Vorwurf, der gegen uns zuerst in dem ersten offiziellen Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/359>, abgerufen am 23.07.2024.