Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.Hamburg und die Lholera gezeigt. Aber das behaupten wir, und wir wollen im folgenden den Beweis Was zunächst die Frage betrifft, ob die vou uns gegenüber der uns Hamburg und die Lholera gezeigt. Aber das behaupten wir, und wir wollen im folgenden den Beweis Was zunächst die Frage betrifft, ob die vou uns gegenüber der uns <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0358" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213472"/> <fw type="header" place="top"> Hamburg und die Lholera</fw><lb/> <p xml:id="ID_1103" prev="#ID_1102"> gezeigt. Aber das behaupten wir, und wir wollen im folgenden den Beweis<lb/> dafür zu bringen suchen, daß uns über diese allgemein menschliche Unvoll-<lb/> kommenheit hinaus kein Vorwurf trifft, und daß unsre Zustünde keineswegs so<lb/> verrottet und verwerflich sind, wie man es, von unrichtigen Voraussetzungen<lb/> und von einer gewiß sehr erklärlichen, aber deshalb nicht weniger bedauer¬<lb/> lichen Unkenntnis unsrer Verfnssungs- und Verwaltungseigentümlichkciten aus¬<lb/> gehend, auch in angesehenen und durchaus gemäßigten Zeitungen ausgesprochen<lb/> hat. Uns hat ein großes Unglück getroffen, und es wäre sicherlich nicht nur<lb/> unrichtig, sondern auch unwürdig, wenn wir behaupten wollten, daß es uns<lb/> ohne unsre Schuld getroffen hätte; aber wir brauchen darum nicht vor Scham<lb/> die Augen niederzuschlagen, sondern dürfen freien Blicks vor ganz Deutschland<lb/> hintreten und sagen, daß bei uns nicht mehr und nicht ärgere Mißgriffe vor¬<lb/> gekommen sind, als sie überall sonst auch vorgekommen wären. Wir haben<lb/> vielleicht in Dingen gefehlt, in denen anderswo bei andern Einrichtungen keine<lb/> Fehler gemacht worden wären, aber wir haben dafür anch Vorziige gezeigt,<lb/> die man an andern Orten nicht kennt. Wer glaubt, daß ihn ein derartiges<lb/> Unheil wegen der Vorzüglichkeit der von ihm getroffnen Fürsorge nicht er¬<lb/> eilen könne, und daß er sich in der Abwehr und der Bekämpfung des Unheils<lb/> im allgemeinen besser bewährt hätte als wir, der werfe den ersten Stein<lb/> auf uns!</p><lb/> <p xml:id="ID_1104" next="#ID_1105"> Was zunächst die Frage betrifft, ob die vou uns gegenüber der uns<lb/> drohenden Choleragefahr getroffnen Vorbeugungsmaßregeln ausreichend ge¬<lb/> wesen seien, so wird hierbei von denen, die diese Frage verneinen, viel zu sehr<lb/> nach dem Erfolge geurteilt. Zweifellos war in den ersten Tagen nach Aus¬<lb/> bruch der Epidemie der Kranken- und Leichentransport nicht ausreichend;<lb/> ebenso fehlte es an genügendem Raum für die Aufnahme der Kranken in den<lb/> Krankenhäusern und der Leichen in den Leichenhallen. Aber konnten wir mit<lb/> der Möglichkeit rechnen und hat irgend ein Staat Europas mit der Möglich¬<lb/> keit gerechnet, daß sich die Epidemie mit einer solchen rasenden Schnelligkeit über<lb/> die ganze Stadt verbreiten würde? Unser Kranken- und Leichentransport war<lb/> lauge vor Ausbruch der Epidemie geregelt durch eine am 9. Mai 1890 er¬<lb/> lassene, sehr zweckmäßige „Verordnung betreffend die Beförderung von Per¬<lb/> sonen, welche mit einer ansteckenden Krankheit behaftet sind," wir hatten eine<lb/> Anzahl sofort bei Ausbruch der Epidemie zur Verfügung stehender Kranken¬<lb/> wagen und eine staatliche Sanitntskolonne. Der Grundstock also, mit dein später,<lb/> durch Vermehrung der Choleramagen und durch Verstürknng der Sanitüts-<lb/> kolonne, ein selbst in den schlimmsten Tagen ausreichender Kranken- und<lb/> Leichentransport eingerichtet wurde, war bereits vorhanden, und es wären auch<lb/> nicht einmal augenblickliche Stockungen eingetreten, wenn sich die Epidemie<lb/> von einem Mittelpunkte aus so allmählich ausgebreitet Hütte, wie man dies<lb/> nach aller menschlichen Voraussicht annehmen durfte. Ebenso standen schon</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0358]
Hamburg und die Lholera
gezeigt. Aber das behaupten wir, und wir wollen im folgenden den Beweis
dafür zu bringen suchen, daß uns über diese allgemein menschliche Unvoll-
kommenheit hinaus kein Vorwurf trifft, und daß unsre Zustünde keineswegs so
verrottet und verwerflich sind, wie man es, von unrichtigen Voraussetzungen
und von einer gewiß sehr erklärlichen, aber deshalb nicht weniger bedauer¬
lichen Unkenntnis unsrer Verfnssungs- und Verwaltungseigentümlichkciten aus¬
gehend, auch in angesehenen und durchaus gemäßigten Zeitungen ausgesprochen
hat. Uns hat ein großes Unglück getroffen, und es wäre sicherlich nicht nur
unrichtig, sondern auch unwürdig, wenn wir behaupten wollten, daß es uns
ohne unsre Schuld getroffen hätte; aber wir brauchen darum nicht vor Scham
die Augen niederzuschlagen, sondern dürfen freien Blicks vor ganz Deutschland
hintreten und sagen, daß bei uns nicht mehr und nicht ärgere Mißgriffe vor¬
gekommen sind, als sie überall sonst auch vorgekommen wären. Wir haben
vielleicht in Dingen gefehlt, in denen anderswo bei andern Einrichtungen keine
Fehler gemacht worden wären, aber wir haben dafür anch Vorziige gezeigt,
die man an andern Orten nicht kennt. Wer glaubt, daß ihn ein derartiges
Unheil wegen der Vorzüglichkeit der von ihm getroffnen Fürsorge nicht er¬
eilen könne, und daß er sich in der Abwehr und der Bekämpfung des Unheils
im allgemeinen besser bewährt hätte als wir, der werfe den ersten Stein
auf uns!
Was zunächst die Frage betrifft, ob die vou uns gegenüber der uns
drohenden Choleragefahr getroffnen Vorbeugungsmaßregeln ausreichend ge¬
wesen seien, so wird hierbei von denen, die diese Frage verneinen, viel zu sehr
nach dem Erfolge geurteilt. Zweifellos war in den ersten Tagen nach Aus¬
bruch der Epidemie der Kranken- und Leichentransport nicht ausreichend;
ebenso fehlte es an genügendem Raum für die Aufnahme der Kranken in den
Krankenhäusern und der Leichen in den Leichenhallen. Aber konnten wir mit
der Möglichkeit rechnen und hat irgend ein Staat Europas mit der Möglich¬
keit gerechnet, daß sich die Epidemie mit einer solchen rasenden Schnelligkeit über
die ganze Stadt verbreiten würde? Unser Kranken- und Leichentransport war
lauge vor Ausbruch der Epidemie geregelt durch eine am 9. Mai 1890 er¬
lassene, sehr zweckmäßige „Verordnung betreffend die Beförderung von Per¬
sonen, welche mit einer ansteckenden Krankheit behaftet sind," wir hatten eine
Anzahl sofort bei Ausbruch der Epidemie zur Verfügung stehender Kranken¬
wagen und eine staatliche Sanitntskolonne. Der Grundstock also, mit dein später,
durch Vermehrung der Choleramagen und durch Verstürknng der Sanitüts-
kolonne, ein selbst in den schlimmsten Tagen ausreichender Kranken- und
Leichentransport eingerichtet wurde, war bereits vorhanden, und es wären auch
nicht einmal augenblickliche Stockungen eingetreten, wenn sich die Epidemie
von einem Mittelpunkte aus so allmählich ausgebreitet Hütte, wie man dies
nach aller menschlichen Voraussicht annehmen durfte. Ebenso standen schon
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