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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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ihre Philosophen und bin geradezu berauscht. Welch eine Sprache, welch ein
Geist, welch eine Tiefe! So laß ich denn den ganzen Shakespeare den Anti¬
semiten und bleibe lieber still zu Hause. Vou unten klingen die Walzer¬
melodien herauf. Ach, wenn ich doch über meine Seelenkämpfe so leicht hin-
wcgtänzeln könnte, wie die da unten über ihr Parkett. Ich sehe die Litteratur¬
löwen alle im Geiste vor mir. Sie stehen breitbeinig da, mit den Händen
in den Hosen, ü. c-rmtr<z uM>8'I<Z8, und pfeifen auf deu Antisemitismus, wie sie
auf alles pfeifen, was ihnen unbequem ist.

Daß ich armer Mensch auch alles so tragisch nehmen muß! Da hat sich
die Schwester meiner Schwägerin mit einem Leutnant verlobt. Vorher war
natürlich die christliche Taufe notwendig, und die Prozedur dabei hat sie der
Schwester natürlich vormachen müssen, was sie recht neckisch gethan hat. Ich
frage mich immer: sind diese pietätlosen Menschen, denen auf der Welt nichts
mehr heilig ist, eigentlich noch Juden? Ach, sie wolleus ja auch gar nicht
mehr sein. Sie haben das alte feste Schiff ihres Glaubens verlassen und
treiben ziellos auf leicht gebauten Flößen auf den Wogen des Lebens einher,
bis eines Tages ein Sturm diese ganze glaubenslose, materialistische Gesell¬
schaft vernichten wird.

Die Leutnantsbraut schwärmt jetzt natürlich sür Christusbilder. Und da
hat nun die Schwägerin eine prächtige Kopie von dem Bilde "Christus vor
dem Bette von Jairi Töchterlein" gekauft und in ihrem Salon anbringen
lassen. Wie aufmerksam, wie fein! Hätte sie nur nicht rechts davon ein Bild
hingehängt, das betrunkne von der Synode heimkehrende Pfarrer auf einer
Landstraße darstellt, und links davon eine Szene zwischen Falstaff und Dörcher
Lakenreißer. Ich habe das zuerst gar nicht gemerkt, aber Fräulein Marie
machte mich darauf aufmerksam, und da muß ich denn doch ihre Ent¬
rüstung teilen.

Ich habe das Mädchen sehr schätzen gelernt, noch nie hat ein weibliches
Wesen solchen Eindruck auf mich gemacht. Wir sprechen viel mit einander.
Else besucht sehr oft ihren Onkel. Es ist ein trautes liebes Kind mit großen
braunen Angen, aber schwächlich und nervös. Ich habe das Kindchen sehr
lieb gewonnen, um so mehr, als ich sehe, daß sich die Mutter um das arme
Ding blutwenig kümmert. Es ist ihr bei all den Vergnügungen nur im Wege.
Sie sagte auch neulich, es konnte sie keine größere Strafe treffen, als wenn
sie noch ein Kind bekäme. Eben ist das Fräulein dabei, die Else als Amorette
herauszuputzen, in leichtem Trikot mit zwei Flügeln. Die Mutter will es so
haben. Else soll dem jungen Brautpaar einen Blumenkorb überreichen. Das
arme Kind zittert vor Aufregung und Kälte, aber sie müssen beide hier oben
warten, bis das Signal gegeben wird. O Eitelkeit der Weiber! Wenn meine
gute, fromme Mutter das uoch hätte sehen können!


ihre Philosophen und bin geradezu berauscht. Welch eine Sprache, welch ein
Geist, welch eine Tiefe! So laß ich denn den ganzen Shakespeare den Anti¬
semiten und bleibe lieber still zu Hause. Vou unten klingen die Walzer¬
melodien herauf. Ach, wenn ich doch über meine Seelenkämpfe so leicht hin-
wcgtänzeln könnte, wie die da unten über ihr Parkett. Ich sehe die Litteratur¬
löwen alle im Geiste vor mir. Sie stehen breitbeinig da, mit den Händen
in den Hosen, ü. c-rmtr<z uM>8'I<Z8, und pfeifen auf deu Antisemitismus, wie sie
auf alles pfeifen, was ihnen unbequem ist.

Daß ich armer Mensch auch alles so tragisch nehmen muß! Da hat sich
die Schwester meiner Schwägerin mit einem Leutnant verlobt. Vorher war
natürlich die christliche Taufe notwendig, und die Prozedur dabei hat sie der
Schwester natürlich vormachen müssen, was sie recht neckisch gethan hat. Ich
frage mich immer: sind diese pietätlosen Menschen, denen auf der Welt nichts
mehr heilig ist, eigentlich noch Juden? Ach, sie wolleus ja auch gar nicht
mehr sein. Sie haben das alte feste Schiff ihres Glaubens verlassen und
treiben ziellos auf leicht gebauten Flößen auf den Wogen des Lebens einher,
bis eines Tages ein Sturm diese ganze glaubenslose, materialistische Gesell¬
schaft vernichten wird.

Die Leutnantsbraut schwärmt jetzt natürlich sür Christusbilder. Und da
hat nun die Schwägerin eine prächtige Kopie von dem Bilde „Christus vor
dem Bette von Jairi Töchterlein" gekauft und in ihrem Salon anbringen
lassen. Wie aufmerksam, wie fein! Hätte sie nur nicht rechts davon ein Bild
hingehängt, das betrunkne von der Synode heimkehrende Pfarrer auf einer
Landstraße darstellt, und links davon eine Szene zwischen Falstaff und Dörcher
Lakenreißer. Ich habe das zuerst gar nicht gemerkt, aber Fräulein Marie
machte mich darauf aufmerksam, und da muß ich denn doch ihre Ent¬
rüstung teilen.

Ich habe das Mädchen sehr schätzen gelernt, noch nie hat ein weibliches
Wesen solchen Eindruck auf mich gemacht. Wir sprechen viel mit einander.
Else besucht sehr oft ihren Onkel. Es ist ein trautes liebes Kind mit großen
braunen Angen, aber schwächlich und nervös. Ich habe das Kindchen sehr
lieb gewonnen, um so mehr, als ich sehe, daß sich die Mutter um das arme
Ding blutwenig kümmert. Es ist ihr bei all den Vergnügungen nur im Wege.
Sie sagte auch neulich, es konnte sie keine größere Strafe treffen, als wenn
sie noch ein Kind bekäme. Eben ist das Fräulein dabei, die Else als Amorette
herauszuputzen, in leichtem Trikot mit zwei Flügeln. Die Mutter will es so
haben. Else soll dem jungen Brautpaar einen Blumenkorb überreichen. Das
arme Kind zittert vor Aufregung und Kälte, aber sie müssen beide hier oben
warten, bis das Signal gegeben wird. O Eitelkeit der Weiber! Wenn meine
gute, fromme Mutter das uoch hätte sehen können!


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[0340] ihre Philosophen und bin geradezu berauscht. Welch eine Sprache, welch ein Geist, welch eine Tiefe! So laß ich denn den ganzen Shakespeare den Anti¬ semiten und bleibe lieber still zu Hause. Vou unten klingen die Walzer¬ melodien herauf. Ach, wenn ich doch über meine Seelenkämpfe so leicht hin- wcgtänzeln könnte, wie die da unten über ihr Parkett. Ich sehe die Litteratur¬ löwen alle im Geiste vor mir. Sie stehen breitbeinig da, mit den Händen in den Hosen, ü. c-rmtr<z uM>8'I<Z8, und pfeifen auf deu Antisemitismus, wie sie auf alles pfeifen, was ihnen unbequem ist. Daß ich armer Mensch auch alles so tragisch nehmen muß! Da hat sich die Schwester meiner Schwägerin mit einem Leutnant verlobt. Vorher war natürlich die christliche Taufe notwendig, und die Prozedur dabei hat sie der Schwester natürlich vormachen müssen, was sie recht neckisch gethan hat. Ich frage mich immer: sind diese pietätlosen Menschen, denen auf der Welt nichts mehr heilig ist, eigentlich noch Juden? Ach, sie wolleus ja auch gar nicht mehr sein. Sie haben das alte feste Schiff ihres Glaubens verlassen und treiben ziellos auf leicht gebauten Flößen auf den Wogen des Lebens einher, bis eines Tages ein Sturm diese ganze glaubenslose, materialistische Gesell¬ schaft vernichten wird. Die Leutnantsbraut schwärmt jetzt natürlich sür Christusbilder. Und da hat nun die Schwägerin eine prächtige Kopie von dem Bilde „Christus vor dem Bette von Jairi Töchterlein" gekauft und in ihrem Salon anbringen lassen. Wie aufmerksam, wie fein! Hätte sie nur nicht rechts davon ein Bild hingehängt, das betrunkne von der Synode heimkehrende Pfarrer auf einer Landstraße darstellt, und links davon eine Szene zwischen Falstaff und Dörcher Lakenreißer. Ich habe das zuerst gar nicht gemerkt, aber Fräulein Marie machte mich darauf aufmerksam, und da muß ich denn doch ihre Ent¬ rüstung teilen. Ich habe das Mädchen sehr schätzen gelernt, noch nie hat ein weibliches Wesen solchen Eindruck auf mich gemacht. Wir sprechen viel mit einander. Else besucht sehr oft ihren Onkel. Es ist ein trautes liebes Kind mit großen braunen Angen, aber schwächlich und nervös. Ich habe das Kindchen sehr lieb gewonnen, um so mehr, als ich sehe, daß sich die Mutter um das arme Ding blutwenig kümmert. Es ist ihr bei all den Vergnügungen nur im Wege. Sie sagte auch neulich, es konnte sie keine größere Strafe treffen, als wenn sie noch ein Kind bekäme. Eben ist das Fräulein dabei, die Else als Amorette herauszuputzen, in leichtem Trikot mit zwei Flügeln. Die Mutter will es so haben. Else soll dem jungen Brautpaar einen Blumenkorb überreichen. Das arme Kind zittert vor Aufregung und Kälte, aber sie müssen beide hier oben warten, bis das Signal gegeben wird. O Eitelkeit der Weiber! Wenn meine gute, fromme Mutter das uoch hätte sehen können!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/340>, abgerufen am 22.12.2024.