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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Die Verunstaltung deutscher Lieder
Da droben auf jenem Berge,
Da steht ein goldnes Hans,
Da schaun wohl alle Frühmorgen
Drei schöne Jungfraun heraus.
Die eine, die heißt Elisabeth,
Die andere Anne-Marei;
Die dritte, die will ich nicht nennen,
Die sollt' mein eigen sein.
Da unten in jenem Thale,
Da treibt das Wasser ein Rad,
Das treibet nichts als Liebe
Vom Abend bis wieder an Tag;
Das Rad, das ist gebrochen,
Die Liebe, die hat ein End,
Und wenn zwei Liebende scheiden,
Sie reichen einander die Händ'.
Ach Scheiden, ach, ach!
Wer hat doch das Scheiden erdacht?
Das hat mein jung frisch Herzelein
So frühzeitig traurig gemacht.
Dies Liedlein, ach, ach!
Hat wohl ein Müller erdacht,
Den hat des Ritters Töchterlein
Vom Lieben zum Scheiden gebracht.

Goethe hat in seinen kurzen und treffenden Anmerkungen zu des Knaben
Wunderhorn erklärt, daß dies Lied für den unschätzbar sei, der die Lage fassen
könne. Und sie ist zu fassen, wenn man sich nicht unwillkürlich dnrch Eichen-
dorffs Gedicht: "In einem kühlen Grunde," das seine erste Anregung wahr¬
scheinlich diesem Volksliede verdankt, aber die Situation vereinfacht und ganz
nach der Mühle hin verschiebt, beirren läßt.

Dietlein-Polack liefern nun unter dem Titel "Sehnen und Scheiden" im
Anschluß an "Unsre Lieder" (3. Aufl., Hamburg 1861, S. 182) folgende" Text:

Da drunten im tiefen Thale,
Da treibet das Wasser ein Rad;
Mich aber, mich treibet das Sehnen
Vom Morgen bis Abend spat.
Das Mühlrad ist nun zerbrochen.
Das Sehnen hat nimmer ein End;
Und wenn zwei Freunde sich scheiden,
So reichen's einander die Händ'.
Ach Scheiden, ach Scheiden, ach Scheiden!
Wer hat doch das Scheiden erdacht?
Das hat solch unsägliches Leiden
Manch jungem Herzen gebracht.

Die Verunstaltung deutscher Lieder
Da droben auf jenem Berge,
Da steht ein goldnes Hans,
Da schaun wohl alle Frühmorgen
Drei schöne Jungfraun heraus.
Die eine, die heißt Elisabeth,
Die andere Anne-Marei;
Die dritte, die will ich nicht nennen,
Die sollt' mein eigen sein.
Da unten in jenem Thale,
Da treibt das Wasser ein Rad,
Das treibet nichts als Liebe
Vom Abend bis wieder an Tag;
Das Rad, das ist gebrochen,
Die Liebe, die hat ein End,
Und wenn zwei Liebende scheiden,
Sie reichen einander die Händ'.
Ach Scheiden, ach, ach!
Wer hat doch das Scheiden erdacht?
Das hat mein jung frisch Herzelein
So frühzeitig traurig gemacht.
Dies Liedlein, ach, ach!
Hat wohl ein Müller erdacht,
Den hat des Ritters Töchterlein
Vom Lieben zum Scheiden gebracht.

Goethe hat in seinen kurzen und treffenden Anmerkungen zu des Knaben
Wunderhorn erklärt, daß dies Lied für den unschätzbar sei, der die Lage fassen
könne. Und sie ist zu fassen, wenn man sich nicht unwillkürlich dnrch Eichen-
dorffs Gedicht: „In einem kühlen Grunde," das seine erste Anregung wahr¬
scheinlich diesem Volksliede verdankt, aber die Situation vereinfacht und ganz
nach der Mühle hin verschiebt, beirren läßt.

Dietlein-Polack liefern nun unter dem Titel „Sehnen und Scheiden" im
Anschluß an „Unsre Lieder" (3. Aufl., Hamburg 1861, S. 182) folgende« Text:

Da drunten im tiefen Thale,
Da treibet das Wasser ein Rad;
Mich aber, mich treibet das Sehnen
Vom Morgen bis Abend spat.
Das Mühlrad ist nun zerbrochen.
Das Sehnen hat nimmer ein End;
Und wenn zwei Freunde sich scheiden,
So reichen's einander die Händ'.
Ach Scheiden, ach Scheiden, ach Scheiden!
Wer hat doch das Scheiden erdacht?
Das hat solch unsägliches Leiden
Manch jungem Herzen gebracht.

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[0327] Die Verunstaltung deutscher Lieder Da droben auf jenem Berge, Da steht ein goldnes Hans, Da schaun wohl alle Frühmorgen Drei schöne Jungfraun heraus. Die eine, die heißt Elisabeth, Die andere Anne-Marei; Die dritte, die will ich nicht nennen, Die sollt' mein eigen sein. Da unten in jenem Thale, Da treibt das Wasser ein Rad, Das treibet nichts als Liebe Vom Abend bis wieder an Tag; Das Rad, das ist gebrochen, Die Liebe, die hat ein End, Und wenn zwei Liebende scheiden, Sie reichen einander die Händ'. Ach Scheiden, ach, ach! Wer hat doch das Scheiden erdacht? Das hat mein jung frisch Herzelein So frühzeitig traurig gemacht. Dies Liedlein, ach, ach! Hat wohl ein Müller erdacht, Den hat des Ritters Töchterlein Vom Lieben zum Scheiden gebracht. Goethe hat in seinen kurzen und treffenden Anmerkungen zu des Knaben Wunderhorn erklärt, daß dies Lied für den unschätzbar sei, der die Lage fassen könne. Und sie ist zu fassen, wenn man sich nicht unwillkürlich dnrch Eichen- dorffs Gedicht: „In einem kühlen Grunde," das seine erste Anregung wahr¬ scheinlich diesem Volksliede verdankt, aber die Situation vereinfacht und ganz nach der Mühle hin verschiebt, beirren läßt. Dietlein-Polack liefern nun unter dem Titel „Sehnen und Scheiden" im Anschluß an „Unsre Lieder" (3. Aufl., Hamburg 1861, S. 182) folgende« Text: Da drunten im tiefen Thale, Da treibet das Wasser ein Rad; Mich aber, mich treibet das Sehnen Vom Morgen bis Abend spat. Das Mühlrad ist nun zerbrochen. Das Sehnen hat nimmer ein End; Und wenn zwei Freunde sich scheiden, So reichen's einander die Händ'. Ach Scheiden, ach Scheiden, ach Scheiden! Wer hat doch das Scheiden erdacht? Das hat solch unsägliches Leiden Manch jungem Herzen gebracht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/327>, abgerufen am 25.08.2024.