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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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weder Kommunismus noch Kapitalismus

besitzen!. Sie haben das Maurer- und Zimmerhandwerk gelernt, um sich
damit ihr Vrot zu verdienen, bis sie selbst in den Besitz einer Stelle gelangen,
wobei sie aber fortfahren, bei den Eltern zu wohnen und ihnen in der Acker¬
arbeit und im Hause zu helfen. Glückt es ihnen nicht, kleine Gutsbesitzer zu
werden, so müssen sie allerdings zeitlebens beim Handwerk bleiben, bringen es
aber dann meistens bis zum Pour. Übernehmen sie die väterliche Stelle, oder
heiraten sie in eine Stelle ein, oder kaufen sie mit ihren Ersparnissen eine,
und ist ihr Gütchen nicht groß genug, sie vollständig zu beschäftigen und
-- was immer die Folge davon ist -- anständig zu ernähren, so betreiben
sie die Maurerei oder Zimmerei als Nebenberuf weiter. Solche Leute stehen
keineswegs in Gefahr, gleich zu verhungern oder zu verlumpen, wenn sie ein
ihnen zu niedrig scheinendes Lohnangebvt des Maurer- oder Zimmermeisters
zurückweisen. Der Meister andrerseits aber ist auch nicht in der Lage, sich
durch Lohndruck um alle diese zuverlässigen Leute zu bringen und mit her¬
gelaufenen Volk zu arbeiten. Beide bedürfen einander gegenseitig, beide können
sichs aber auch überlegen, ehe sie einen Vertrag abschließen. Sie stehen also
wirtschaftlich so ziemlich auf gleichem Fuße, und nur als Betriebsleiter ist der
Meister der Vorgesetzte, wenn man will, der Herr der Gesellen. Unter solchen
Umständen fällt die Verteilung des Arbeitsertrages von selbst gerecht aus.
Unternehmer war der kleinstädtische Maurer- und Zimmermeister bis vor etwa
fünfzig Jahren überhaupt nicht. Damals kannte man nur in den größern
Städten Mietkasernen; in den kleinern baute man nnr Häuser, um sie selbst
zu bewohnen. Der Bauherr bezahlte den Maurer- und Zimmermeister für
den Entwurf und für die Materialien, falls er sie nicht selbst lieferte, für die
Bauleitung aber bekamen sie unmittelbar gar nichts, sondern wurden in der
Weise bezahlt, daß ihnen jeder Gesell von seinem Tagelohn einen Silber¬
groschen abtrat; so viel Gesellen der Meister beschäftigte, so viel Silbergroschen
hatte er täglich. Die Möglichkeit eines unverhültnismüßigen Gewinns war also
ausgeschlossen, und den Lohn der Gesellen zu drücken, daran hatte der Meister
gar kein Interesse; nicht er, sondern der Bauherr zahlte ihn, zwischen Meister
und Gesellen aber waltete die vollständigste Interessenharmonie. Hätten die
Gesellen ans eigne Faust einen Bau übernehmen und einen ans ihrer Mitte
als Betriebsleiter anstellen wollen, so würde der mit weniger als einem Silber-
groschen von jedem Kameraden gewiß auch nicht zufrieden gewesen sein. Heute
freilich sind in den großer" Städten die Maurer- und Zimmermeister weit
mehr Bauunternehmer als Handwerksmeister, und die Gesellen sind reine Ar¬
beiter nach modernem Begriff, aber in den kleinern Orten finden sich, wie
gesagt, noch Neste des ursprünglichen Verhältnisses, und wenn man dieses der
Berechnung zu Grunde legte, so würde sich wohl auch der Lohn finden lassen, den
der Maurer und Zimmermann der Großstadt zu fordern hat. Möglicherweise
würde sich ergeben, daß er von seinem wirklichen Lohne nicht sehr abweicht.


weder Kommunismus noch Kapitalismus

besitzen!. Sie haben das Maurer- und Zimmerhandwerk gelernt, um sich
damit ihr Vrot zu verdienen, bis sie selbst in den Besitz einer Stelle gelangen,
wobei sie aber fortfahren, bei den Eltern zu wohnen und ihnen in der Acker¬
arbeit und im Hause zu helfen. Glückt es ihnen nicht, kleine Gutsbesitzer zu
werden, so müssen sie allerdings zeitlebens beim Handwerk bleiben, bringen es
aber dann meistens bis zum Pour. Übernehmen sie die väterliche Stelle, oder
heiraten sie in eine Stelle ein, oder kaufen sie mit ihren Ersparnissen eine,
und ist ihr Gütchen nicht groß genug, sie vollständig zu beschäftigen und
— was immer die Folge davon ist — anständig zu ernähren, so betreiben
sie die Maurerei oder Zimmerei als Nebenberuf weiter. Solche Leute stehen
keineswegs in Gefahr, gleich zu verhungern oder zu verlumpen, wenn sie ein
ihnen zu niedrig scheinendes Lohnangebvt des Maurer- oder Zimmermeisters
zurückweisen. Der Meister andrerseits aber ist auch nicht in der Lage, sich
durch Lohndruck um alle diese zuverlässigen Leute zu bringen und mit her¬
gelaufenen Volk zu arbeiten. Beide bedürfen einander gegenseitig, beide können
sichs aber auch überlegen, ehe sie einen Vertrag abschließen. Sie stehen also
wirtschaftlich so ziemlich auf gleichem Fuße, und nur als Betriebsleiter ist der
Meister der Vorgesetzte, wenn man will, der Herr der Gesellen. Unter solchen
Umständen fällt die Verteilung des Arbeitsertrages von selbst gerecht aus.
Unternehmer war der kleinstädtische Maurer- und Zimmermeister bis vor etwa
fünfzig Jahren überhaupt nicht. Damals kannte man nur in den größern
Städten Mietkasernen; in den kleinern baute man nnr Häuser, um sie selbst
zu bewohnen. Der Bauherr bezahlte den Maurer- und Zimmermeister für
den Entwurf und für die Materialien, falls er sie nicht selbst lieferte, für die
Bauleitung aber bekamen sie unmittelbar gar nichts, sondern wurden in der
Weise bezahlt, daß ihnen jeder Gesell von seinem Tagelohn einen Silber¬
groschen abtrat; so viel Gesellen der Meister beschäftigte, so viel Silbergroschen
hatte er täglich. Die Möglichkeit eines unverhültnismüßigen Gewinns war also
ausgeschlossen, und den Lohn der Gesellen zu drücken, daran hatte der Meister
gar kein Interesse; nicht er, sondern der Bauherr zahlte ihn, zwischen Meister
und Gesellen aber waltete die vollständigste Interessenharmonie. Hätten die
Gesellen ans eigne Faust einen Bau übernehmen und einen ans ihrer Mitte
als Betriebsleiter anstellen wollen, so würde der mit weniger als einem Silber-
groschen von jedem Kameraden gewiß auch nicht zufrieden gewesen sein. Heute
freilich sind in den großer» Städten die Maurer- und Zimmermeister weit
mehr Bauunternehmer als Handwerksmeister, und die Gesellen sind reine Ar¬
beiter nach modernem Begriff, aber in den kleinern Orten finden sich, wie
gesagt, noch Neste des ursprünglichen Verhältnisses, und wenn man dieses der
Berechnung zu Grunde legte, so würde sich wohl auch der Lohn finden lassen, den
der Maurer und Zimmermann der Großstadt zu fordern hat. Möglicherweise
würde sich ergeben, daß er von seinem wirklichen Lohne nicht sehr abweicht.


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[0316] weder Kommunismus noch Kapitalismus besitzen!. Sie haben das Maurer- und Zimmerhandwerk gelernt, um sich damit ihr Vrot zu verdienen, bis sie selbst in den Besitz einer Stelle gelangen, wobei sie aber fortfahren, bei den Eltern zu wohnen und ihnen in der Acker¬ arbeit und im Hause zu helfen. Glückt es ihnen nicht, kleine Gutsbesitzer zu werden, so müssen sie allerdings zeitlebens beim Handwerk bleiben, bringen es aber dann meistens bis zum Pour. Übernehmen sie die väterliche Stelle, oder heiraten sie in eine Stelle ein, oder kaufen sie mit ihren Ersparnissen eine, und ist ihr Gütchen nicht groß genug, sie vollständig zu beschäftigen und — was immer die Folge davon ist — anständig zu ernähren, so betreiben sie die Maurerei oder Zimmerei als Nebenberuf weiter. Solche Leute stehen keineswegs in Gefahr, gleich zu verhungern oder zu verlumpen, wenn sie ein ihnen zu niedrig scheinendes Lohnangebvt des Maurer- oder Zimmermeisters zurückweisen. Der Meister andrerseits aber ist auch nicht in der Lage, sich durch Lohndruck um alle diese zuverlässigen Leute zu bringen und mit her¬ gelaufenen Volk zu arbeiten. Beide bedürfen einander gegenseitig, beide können sichs aber auch überlegen, ehe sie einen Vertrag abschließen. Sie stehen also wirtschaftlich so ziemlich auf gleichem Fuße, und nur als Betriebsleiter ist der Meister der Vorgesetzte, wenn man will, der Herr der Gesellen. Unter solchen Umständen fällt die Verteilung des Arbeitsertrages von selbst gerecht aus. Unternehmer war der kleinstädtische Maurer- und Zimmermeister bis vor etwa fünfzig Jahren überhaupt nicht. Damals kannte man nur in den größern Städten Mietkasernen; in den kleinern baute man nnr Häuser, um sie selbst zu bewohnen. Der Bauherr bezahlte den Maurer- und Zimmermeister für den Entwurf und für die Materialien, falls er sie nicht selbst lieferte, für die Bauleitung aber bekamen sie unmittelbar gar nichts, sondern wurden in der Weise bezahlt, daß ihnen jeder Gesell von seinem Tagelohn einen Silber¬ groschen abtrat; so viel Gesellen der Meister beschäftigte, so viel Silbergroschen hatte er täglich. Die Möglichkeit eines unverhültnismüßigen Gewinns war also ausgeschlossen, und den Lohn der Gesellen zu drücken, daran hatte der Meister gar kein Interesse; nicht er, sondern der Bauherr zahlte ihn, zwischen Meister und Gesellen aber waltete die vollständigste Interessenharmonie. Hätten die Gesellen ans eigne Faust einen Bau übernehmen und einen ans ihrer Mitte als Betriebsleiter anstellen wollen, so würde der mit weniger als einem Silber- groschen von jedem Kameraden gewiß auch nicht zufrieden gewesen sein. Heute freilich sind in den großer» Städten die Maurer- und Zimmermeister weit mehr Bauunternehmer als Handwerksmeister, und die Gesellen sind reine Ar¬ beiter nach modernem Begriff, aber in den kleinern Orten finden sich, wie gesagt, noch Neste des ursprünglichen Verhältnisses, und wenn man dieses der Berechnung zu Grunde legte, so würde sich wohl auch der Lohn finden lassen, den der Maurer und Zimmermann der Großstadt zu fordern hat. Möglicherweise würde sich ergeben, daß er von seinem wirklichen Lohne nicht sehr abweicht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/316>, abgerufen am 23.12.2024.