Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Albrecht von Roon

seines arbeitsreichen Amtes nicht mehr vollkommen gewachsen sei. Auch war
er mit dem Gange der innern deutschen Politik nicht mehr recht einverstanden.
Er war niemals Reaktionär, sondern immer der Mann des "konservativen
Fortschritts" gewesen, und er hatte diesen Standpunkt gelegentlich mit großem
Nachdruck schon zu Ende der sechziger Jahre auch seinen konservativen Freunden
gegenüber vertreten, denn er verbarg sich nicht, daß sich das Ideal seiner
Jugend überlebt habe; aber allerdings wurzelten alle seine persönlichen Em¬
pfindungen in dem alten patriarchalischen Staate, und er mochte die neue
Wendung nach der liberalen Seite hin weder mitmachen noch bekämpfen. So
kam er um seine Entlassung ein, und schmerzlich bewegt bewilligte ihm sein
"dankbarer König" am 9. November 1873 den erbetenen Abschied. Kaum minder
schwer trennte sich Fürst Vismarck vou dem "alten Kameraden." Er schrieb
ihm damals wehmütig: "Im Amte wird es einsam um mich sein, je länger
je mehr; die alten Freunde sterben oder werden Feinde, und neue erwirbt man
nicht mehr."

Seitdem hat Roon meist auf seinem kurz zuvor gekauften schlesischen
Gute Krobnitz bei Görlitz oder auf Reisen im Süden gelebt. Den Vorgängen
des öffentlichen Lebens folgte er aufmerksam, wenn auch nicht immer mit
freudigen Empfindungen. Namentlich das Umsichgreifen unkirchlicher Gesinnung
bereitete ihm schwere Sorge, der er noch 1878 in Briefen an den Kaiser und
Moritz von Blankenburg Ausdruck gab. Thätigen Anteil am politischen
Leben nahm er nnr noch gelegentlich als Mitglied des Herrenhauses, in das
er im Januar 1872 berufen worden war. Im Innersten ergriffen von den
Attentaten auf das Leben Kaiser Wilhelms im Mai und Juni 1873, machte
er sich mitten im Winter, zu Anfang Februar 1879, zum letztenmale nach
Berlin auf, um seinen greisen Kriegsherrn noch einmal zu sehen, und er freute
sich uoch des herzlichsten Empfanges. Aber wenige Tage nachher zog er sich
durch Erkältung bei einer Ausfahrt eine schwere Lungenentzündung zu, und
nach einen, erschütternden Abschiede von "seinem König" entschlief Albrecht
von Roon friedlich um die Mittagsstunde des 23. Februar 1879, eines Sonn¬
tags. Nach einer großartigen Gedächtnisfeier am 2t>. Februar wurde die
Leiche in der Familiengruft zu Krobnitz im "Friedensthale" beigesetzt.

"Echt und recht in Wort und That," so lautet Roons Wappenspruch.
Selten hat einer den seinen so zur Wahrheit gemacht wie er. Und das ist
doch das Größte an ihm wie an allen den großen Männern dieser Zeit, daß
bei ihnen allen kein Zwiespalt herrschte zwischeu ihrer Begabung und ihrer
Sittlichkeit, daß sie nicht nur die andern überragten durch die Kraft ihres
Verstandes und ihres Willens, sondern daß sie auch jene einfach menschlichen
Tugenden hatten, die bei historischen Größen so leicht verloren gehen, daß die
Freude an ihrer Größe nicht getrübt wird dnrch dunkle Flecken ihres Charakters,
daß wir uns trotz der menschlichen Schwächen, die jedem Sterblichen anhaften,


Grenze'vti-n IV 1892 34
Albrecht von Roon

seines arbeitsreichen Amtes nicht mehr vollkommen gewachsen sei. Auch war
er mit dem Gange der innern deutschen Politik nicht mehr recht einverstanden.
Er war niemals Reaktionär, sondern immer der Mann des „konservativen
Fortschritts" gewesen, und er hatte diesen Standpunkt gelegentlich mit großem
Nachdruck schon zu Ende der sechziger Jahre auch seinen konservativen Freunden
gegenüber vertreten, denn er verbarg sich nicht, daß sich das Ideal seiner
Jugend überlebt habe; aber allerdings wurzelten alle seine persönlichen Em¬
pfindungen in dem alten patriarchalischen Staate, und er mochte die neue
Wendung nach der liberalen Seite hin weder mitmachen noch bekämpfen. So
kam er um seine Entlassung ein, und schmerzlich bewegt bewilligte ihm sein
„dankbarer König" am 9. November 1873 den erbetenen Abschied. Kaum minder
schwer trennte sich Fürst Vismarck vou dem „alten Kameraden." Er schrieb
ihm damals wehmütig: „Im Amte wird es einsam um mich sein, je länger
je mehr; die alten Freunde sterben oder werden Feinde, und neue erwirbt man
nicht mehr."

Seitdem hat Roon meist auf seinem kurz zuvor gekauften schlesischen
Gute Krobnitz bei Görlitz oder auf Reisen im Süden gelebt. Den Vorgängen
des öffentlichen Lebens folgte er aufmerksam, wenn auch nicht immer mit
freudigen Empfindungen. Namentlich das Umsichgreifen unkirchlicher Gesinnung
bereitete ihm schwere Sorge, der er noch 1878 in Briefen an den Kaiser und
Moritz von Blankenburg Ausdruck gab. Thätigen Anteil am politischen
Leben nahm er nnr noch gelegentlich als Mitglied des Herrenhauses, in das
er im Januar 1872 berufen worden war. Im Innersten ergriffen von den
Attentaten auf das Leben Kaiser Wilhelms im Mai und Juni 1873, machte
er sich mitten im Winter, zu Anfang Februar 1879, zum letztenmale nach
Berlin auf, um seinen greisen Kriegsherrn noch einmal zu sehen, und er freute
sich uoch des herzlichsten Empfanges. Aber wenige Tage nachher zog er sich
durch Erkältung bei einer Ausfahrt eine schwere Lungenentzündung zu, und
nach einen, erschütternden Abschiede von „seinem König" entschlief Albrecht
von Roon friedlich um die Mittagsstunde des 23. Februar 1879, eines Sonn¬
tags. Nach einer großartigen Gedächtnisfeier am 2t>. Februar wurde die
Leiche in der Familiengruft zu Krobnitz im „Friedensthale" beigesetzt.

„Echt und recht in Wort und That," so lautet Roons Wappenspruch.
Selten hat einer den seinen so zur Wahrheit gemacht wie er. Und das ist
doch das Größte an ihm wie an allen den großen Männern dieser Zeit, daß
bei ihnen allen kein Zwiespalt herrschte zwischeu ihrer Begabung und ihrer
Sittlichkeit, daß sie nicht nur die andern überragten durch die Kraft ihres
Verstandes und ihres Willens, sondern daß sie auch jene einfach menschlichen
Tugenden hatten, die bei historischen Größen so leicht verloren gehen, daß die
Freude an ihrer Größe nicht getrübt wird dnrch dunkle Flecken ihres Charakters,
daß wir uns trotz der menschlichen Schwächen, die jedem Sterblichen anhaften,


Grenze'vti-n IV 1892 34
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0273" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213387"/>
          <fw type="header" place="top"> Albrecht von Roon</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_808" prev="#ID_807"> seines arbeitsreichen Amtes nicht mehr vollkommen gewachsen sei. Auch war<lb/>
er mit dem Gange der innern deutschen Politik nicht mehr recht einverstanden.<lb/>
Er war niemals Reaktionär, sondern immer der Mann des &#x201E;konservativen<lb/>
Fortschritts" gewesen, und er hatte diesen Standpunkt gelegentlich mit großem<lb/>
Nachdruck schon zu Ende der sechziger Jahre auch seinen konservativen Freunden<lb/>
gegenüber vertreten, denn er verbarg sich nicht, daß sich das Ideal seiner<lb/>
Jugend überlebt habe; aber allerdings wurzelten alle seine persönlichen Em¬<lb/>
pfindungen in dem alten patriarchalischen Staate, und er mochte die neue<lb/>
Wendung nach der liberalen Seite hin weder mitmachen noch bekämpfen. So<lb/>
kam er um seine Entlassung ein, und schmerzlich bewegt bewilligte ihm sein<lb/>
&#x201E;dankbarer König" am 9. November 1873 den erbetenen Abschied. Kaum minder<lb/>
schwer trennte sich Fürst Vismarck vou dem &#x201E;alten Kameraden." Er schrieb<lb/>
ihm damals wehmütig: &#x201E;Im Amte wird es einsam um mich sein, je länger<lb/>
je mehr; die alten Freunde sterben oder werden Feinde, und neue erwirbt man<lb/>
nicht mehr."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_809"> Seitdem hat Roon meist auf seinem kurz zuvor gekauften schlesischen<lb/>
Gute Krobnitz bei Görlitz oder auf Reisen im Süden gelebt. Den Vorgängen<lb/>
des öffentlichen Lebens folgte er aufmerksam, wenn auch nicht immer mit<lb/>
freudigen Empfindungen. Namentlich das Umsichgreifen unkirchlicher Gesinnung<lb/>
bereitete ihm schwere Sorge, der er noch 1878 in Briefen an den Kaiser und<lb/>
Moritz von Blankenburg Ausdruck gab. Thätigen Anteil am politischen<lb/>
Leben nahm er nnr noch gelegentlich als Mitglied des Herrenhauses, in das<lb/>
er im Januar 1872 berufen worden war. Im Innersten ergriffen von den<lb/>
Attentaten auf das Leben Kaiser Wilhelms im Mai und Juni 1873, machte<lb/>
er sich mitten im Winter, zu Anfang Februar 1879, zum letztenmale nach<lb/>
Berlin auf, um seinen greisen Kriegsherrn noch einmal zu sehen, und er freute<lb/>
sich uoch des herzlichsten Empfanges. Aber wenige Tage nachher zog er sich<lb/>
durch Erkältung bei einer Ausfahrt eine schwere Lungenentzündung zu, und<lb/>
nach einen, erschütternden Abschiede von &#x201E;seinem König" entschlief Albrecht<lb/>
von Roon friedlich um die Mittagsstunde des 23. Februar 1879, eines Sonn¬<lb/>
tags. Nach einer großartigen Gedächtnisfeier am 2t&gt;. Februar wurde die<lb/>
Leiche in der Familiengruft zu Krobnitz im &#x201E;Friedensthale" beigesetzt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_810" next="#ID_811"> &#x201E;Echt und recht in Wort und That," so lautet Roons Wappenspruch.<lb/>
Selten hat einer den seinen so zur Wahrheit gemacht wie er. Und das ist<lb/>
doch das Größte an ihm wie an allen den großen Männern dieser Zeit, daß<lb/>
bei ihnen allen kein Zwiespalt herrschte zwischeu ihrer Begabung und ihrer<lb/>
Sittlichkeit, daß sie nicht nur die andern überragten durch die Kraft ihres<lb/>
Verstandes und ihres Willens, sondern daß sie auch jene einfach menschlichen<lb/>
Tugenden hatten, die bei historischen Größen so leicht verloren gehen, daß die<lb/>
Freude an ihrer Größe nicht getrübt wird dnrch dunkle Flecken ihres Charakters,<lb/>
daß wir uns trotz der menschlichen Schwächen, die jedem Sterblichen anhaften,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenze'vti-n IV 1892 34</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0273] Albrecht von Roon seines arbeitsreichen Amtes nicht mehr vollkommen gewachsen sei. Auch war er mit dem Gange der innern deutschen Politik nicht mehr recht einverstanden. Er war niemals Reaktionär, sondern immer der Mann des „konservativen Fortschritts" gewesen, und er hatte diesen Standpunkt gelegentlich mit großem Nachdruck schon zu Ende der sechziger Jahre auch seinen konservativen Freunden gegenüber vertreten, denn er verbarg sich nicht, daß sich das Ideal seiner Jugend überlebt habe; aber allerdings wurzelten alle seine persönlichen Em¬ pfindungen in dem alten patriarchalischen Staate, und er mochte die neue Wendung nach der liberalen Seite hin weder mitmachen noch bekämpfen. So kam er um seine Entlassung ein, und schmerzlich bewegt bewilligte ihm sein „dankbarer König" am 9. November 1873 den erbetenen Abschied. Kaum minder schwer trennte sich Fürst Vismarck vou dem „alten Kameraden." Er schrieb ihm damals wehmütig: „Im Amte wird es einsam um mich sein, je länger je mehr; die alten Freunde sterben oder werden Feinde, und neue erwirbt man nicht mehr." Seitdem hat Roon meist auf seinem kurz zuvor gekauften schlesischen Gute Krobnitz bei Görlitz oder auf Reisen im Süden gelebt. Den Vorgängen des öffentlichen Lebens folgte er aufmerksam, wenn auch nicht immer mit freudigen Empfindungen. Namentlich das Umsichgreifen unkirchlicher Gesinnung bereitete ihm schwere Sorge, der er noch 1878 in Briefen an den Kaiser und Moritz von Blankenburg Ausdruck gab. Thätigen Anteil am politischen Leben nahm er nnr noch gelegentlich als Mitglied des Herrenhauses, in das er im Januar 1872 berufen worden war. Im Innersten ergriffen von den Attentaten auf das Leben Kaiser Wilhelms im Mai und Juni 1873, machte er sich mitten im Winter, zu Anfang Februar 1879, zum letztenmale nach Berlin auf, um seinen greisen Kriegsherrn noch einmal zu sehen, und er freute sich uoch des herzlichsten Empfanges. Aber wenige Tage nachher zog er sich durch Erkältung bei einer Ausfahrt eine schwere Lungenentzündung zu, und nach einen, erschütternden Abschiede von „seinem König" entschlief Albrecht von Roon friedlich um die Mittagsstunde des 23. Februar 1879, eines Sonn¬ tags. Nach einer großartigen Gedächtnisfeier am 2t>. Februar wurde die Leiche in der Familiengruft zu Krobnitz im „Friedensthale" beigesetzt. „Echt und recht in Wort und That," so lautet Roons Wappenspruch. Selten hat einer den seinen so zur Wahrheit gemacht wie er. Und das ist doch das Größte an ihm wie an allen den großen Männern dieser Zeit, daß bei ihnen allen kein Zwiespalt herrschte zwischeu ihrer Begabung und ihrer Sittlichkeit, daß sie nicht nur die andern überragten durch die Kraft ihres Verstandes und ihres Willens, sondern daß sie auch jene einfach menschlichen Tugenden hatten, die bei historischen Größen so leicht verloren gehen, daß die Freude an ihrer Größe nicht getrübt wird dnrch dunkle Flecken ihres Charakters, daß wir uns trotz der menschlichen Schwächen, die jedem Sterblichen anhaften, Grenze'vti-n IV 1892 34

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/273
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/273>, abgerufen am 03.07.2024.