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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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und dann ihren Sturz herbeigeführt. "Wenn die Liberalen jetzt klug sind
-- sagte der frühere Ministerpräsident Otto von Manteuffel beim Beginn des
Kampfes --, so gehört ihnen auf lauge hinaus die Zukunft." Sie verstanden
es nicht, klug zu sein, und darum gehörte ihnen die nächste Zukunft nicht.

Es waren theoretische Lieblingsanschauungeu, von denen die Mehrheit
des Abgeordnetenhauses und die liberale Welt überhaupt beherrscht wurden:
die Abneigung gegen ein Berufsheer, daher die Vorliebe für die Landwehr
als das eigentliche "Volk in Waffen," und die zweijährige Dienstzeit. In
ihrer Kurzsichtigkeit sahen die preußischen Liberalen nicht ein, daß das, was
sie doch sehr entschieden wollten, die Einheit Deutschlands, ohne ein starkes,
schlagfertiges Heer niemals zu erreichen sei. Verstimmt durch die langjährige
unfähige, schwankende, klägliche Leitung der auswärtigen Politik Preußens
glaubten sie überhaupt nicht mehr, und auch jetzt uicht, an eine kräftige
Politik ihrer Negierung, weil sie die jetzt in ihr maßgebenden Männer durch¬
aus falsch beurteilten. Diese Männer mußten mit diesem Mißtrauen jetzt die
Buße zahlen sür die von ihnen nicht verschuldeten Sünden der Vergangenheit.

Unter so ungünstigen Aussichten brachte Roon am 10. Februar 1860
die Gesetzentwürfe über die Heeresreform ein. Zum erstenmale erschien er vor
einem Parlamente. Die straff aufgerichtete, hohe Gestalt im Waffenrock mit
der linken Hand an: Degengriff, die ernsten, fast strengen Züge des mann-
haften Antlitzes, das helle, scharfe Auge, das trotzig gradaus sah, die tiefe,
dröhnende Stimme, die ganze, wie unnahbare Haltung, die ihn erscheinen ließ
"wie einen ehernen Turm, zu dem die Besatzung Flügel haben muß," machte
auf die Abgeordneten zunächst einen befremdenden, erkältenden Eindruck. Aber
daß da kein gewöhnlicher Mann vor ihnen stehe, konnten sie bald erkennen.
Er arbeitete niemals eine Rede wirklich aus, aber er hatte seinen Gegenstand
stets gründlich durchdacht und aufs zweckmüßigste geordnet, sprach daher immer
rein sachlich, schlicht, ohne eigentlich rhetorische Mittel, anch ohne die Fülle
schlagender Sätze und treffender Bilder, die Vismarcks Reden auszeichnet, aber
mit zwingender Logik und immer aus innerster Überzeugung. Binnen kurzem
galt er daher als einer der ersten parlamentarischen Redner und als ein schlag¬
fertiger, gefürchteter Kämpfer, der sich auf wuchtigen Hieb wie auf feinen
Stich gleichmäßig verstand. Aber die Mehrheit für seine Anschauungen zu
gewinnen gelang ihm damals nicht. Das Abgeordnetenhaus lehnte seiue
Gesetzentwürfe ab und bewilligte nur für die "Fortdauer der Kriegsbereitschaft
und die Erhöhung der Streitbarkeit" neun Millionen Thaler auf ein Jahr
und außerordentlich. In einer gewundnen Erklärung versicherte der Finanz¬
minister von Patow, die Neuformatiouen seien ein "Provisorium" und künf¬
tigen Beschlüssen solle dadurch nicht vorgegriffen werden, obwohl er doch
wissen mußte, daß dies der Auffassung des Kriegsherrn durchaus widersprach.

In der That verfügte der Priuzregent darauf hin die endgiltige Bildung


und dann ihren Sturz herbeigeführt. „Wenn die Liberalen jetzt klug sind
— sagte der frühere Ministerpräsident Otto von Manteuffel beim Beginn des
Kampfes —, so gehört ihnen auf lauge hinaus die Zukunft." Sie verstanden
es nicht, klug zu sein, und darum gehörte ihnen die nächste Zukunft nicht.

Es waren theoretische Lieblingsanschauungeu, von denen die Mehrheit
des Abgeordnetenhauses und die liberale Welt überhaupt beherrscht wurden:
die Abneigung gegen ein Berufsheer, daher die Vorliebe für die Landwehr
als das eigentliche „Volk in Waffen," und die zweijährige Dienstzeit. In
ihrer Kurzsichtigkeit sahen die preußischen Liberalen nicht ein, daß das, was
sie doch sehr entschieden wollten, die Einheit Deutschlands, ohne ein starkes,
schlagfertiges Heer niemals zu erreichen sei. Verstimmt durch die langjährige
unfähige, schwankende, klägliche Leitung der auswärtigen Politik Preußens
glaubten sie überhaupt nicht mehr, und auch jetzt uicht, an eine kräftige
Politik ihrer Negierung, weil sie die jetzt in ihr maßgebenden Männer durch¬
aus falsch beurteilten. Diese Männer mußten mit diesem Mißtrauen jetzt die
Buße zahlen sür die von ihnen nicht verschuldeten Sünden der Vergangenheit.

Unter so ungünstigen Aussichten brachte Roon am 10. Februar 1860
die Gesetzentwürfe über die Heeresreform ein. Zum erstenmale erschien er vor
einem Parlamente. Die straff aufgerichtete, hohe Gestalt im Waffenrock mit
der linken Hand an: Degengriff, die ernsten, fast strengen Züge des mann-
haften Antlitzes, das helle, scharfe Auge, das trotzig gradaus sah, die tiefe,
dröhnende Stimme, die ganze, wie unnahbare Haltung, die ihn erscheinen ließ
„wie einen ehernen Turm, zu dem die Besatzung Flügel haben muß," machte
auf die Abgeordneten zunächst einen befremdenden, erkältenden Eindruck. Aber
daß da kein gewöhnlicher Mann vor ihnen stehe, konnten sie bald erkennen.
Er arbeitete niemals eine Rede wirklich aus, aber er hatte seinen Gegenstand
stets gründlich durchdacht und aufs zweckmüßigste geordnet, sprach daher immer
rein sachlich, schlicht, ohne eigentlich rhetorische Mittel, anch ohne die Fülle
schlagender Sätze und treffender Bilder, die Vismarcks Reden auszeichnet, aber
mit zwingender Logik und immer aus innerster Überzeugung. Binnen kurzem
galt er daher als einer der ersten parlamentarischen Redner und als ein schlag¬
fertiger, gefürchteter Kämpfer, der sich auf wuchtigen Hieb wie auf feinen
Stich gleichmäßig verstand. Aber die Mehrheit für seine Anschauungen zu
gewinnen gelang ihm damals nicht. Das Abgeordnetenhaus lehnte seiue
Gesetzentwürfe ab und bewilligte nur für die „Fortdauer der Kriegsbereitschaft
und die Erhöhung der Streitbarkeit" neun Millionen Thaler auf ein Jahr
und außerordentlich. In einer gewundnen Erklärung versicherte der Finanz¬
minister von Patow, die Neuformatiouen seien ein „Provisorium" und künf¬
tigen Beschlüssen solle dadurch nicht vorgegriffen werden, obwohl er doch
wissen mußte, daß dies der Auffassung des Kriegsherrn durchaus widersprach.

In der That verfügte der Priuzregent darauf hin die endgiltige Bildung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/268>, abgerufen am 23.12.2024.