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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Albrecht von Roon

zeuguug, daß nur ein starkes, d. h. ein wahrhaft wehrfähiges Preußen die
deutsche Einheit schaffen könne, eine Anschaung, die damals von sehr wenigen
geteilt, von der großen Mehrzahl bespöttelt und verlacht wurde, und an der
festzuhalten kein geringes Maß von Pflichtgefühl und sittlichem Mute erforderte.
Beides hat Roon in angestrengtester Arbeit und in jahrelangen heißen parlamen¬
tarischen Kämpfen bewährt, und mit männlichem Freimut hat er much nach
oben seine Überzeugung vertreten, ohne dnß dadurch das Verhältnis zu seinem
Kriegsherrn jemals erschüttert worden wäre, denn Wilhelm der Erste ertrug
selbständige Charaktere. Die Kraft aber zu cilledem beruhte auf einem alten
Familienerbe, einer tiefinnerlichen, schlichten Frömmigkeit, einem felsenfesten
Gottvertrauen, in dem er alle die zahllosen Widerwärtigkeiten seiner Stellung
und alle Schicksnlsschläge tapfer ertrug. Und doch war er weder eine kalte
noch gar eine harte Natur; es lebte vielmehr in ihm ein leidenschaftliches,
tiefes Empfinden und ein herzliches, warmes Wohlwollen, nur daß er jenes
willenskräftig zu beherrschen wußte nud von diesem nicht viel Worte machte.
Man hat Roon ehrgeizig genannt. Er war das so wenig wie Moltke und Bis-
marckz nnr zögernd, nur aus Pflichtgefühl hat er die höchste Stellung ange¬
nommen. Orden und andre persönliche Auszeichnungen galten ihm als not¬
wendige, aber leidige Flitter, das Hofleben war ihm zuwider, und uach Popu¬
larität haschte er so wenig, daß er sie weit eher scheute als suchte. Niemand
konnte bescheidner von seiner Vefähignng denken, und in der That war seine
Begabung schwerlich eine wirklich geniale. Er wußte selbst sehr gut, daß ihm
zum Staatsmann so manches fehle. Seine Bildung war eine wesentlich militä¬
rische, mit staatsrechtlichen Fragen hatte er sich bisher wenig beschäftigt, und
seinem geraden Wesen fehlte jede Spur von Geschmeidigkeit.

Dennoch erkannte er sehr bald, daß er auf die ganze Haltung des Ministe¬
riums den entscheidenden Einstich gewinnen, also Staatsmann werden müsse,
wenn er seine Pläne durchführen wollte. Denn mit den meisten Mitgliedern
des Staatsministeriums befand er sich von Anfang an in verhülltem, bald in
offnem Gegensatze. Die Mehrheit, Graf Schwerin, der alte Führer der libe¬
ralen Opposition, Patow, N. von Auerswald, die eigentliche Seele des Ministe¬
riums, waren im stillen Anhänger des parlamentarischen Systems nach eng¬
lischem Vorbilde, fühlten sich also abhängig von der liberalen Mehrheit des
Abgeordnetenhauses, hielten sich mehr für deren Vertreter als für die des
Monarchen, der, wie sie wissen mußten, zwar ehrlich auf dem Boden der
Preußischen Verfassung stand, aber weit davon entfernt war, ein. parlamenta¬
rischer Schnttenkönig sein zu wollen. Dies Verhältnis hat in erster Linie den
"Konflikt" verschuldet. Daß die liberale Mehrheit des Ministeriums nicht
aus voller Uberzeugung und also auch nicht mit vollem Nachdruck für die
Heeresreform eintrat, die der Priuzregeut als sein "eigenstes Werk" durchzu¬
setzen sest entschlossen war, hat die Minister erst in eine schiefe Lage gebracht


Albrecht von Roon

zeuguug, daß nur ein starkes, d. h. ein wahrhaft wehrfähiges Preußen die
deutsche Einheit schaffen könne, eine Anschaung, die damals von sehr wenigen
geteilt, von der großen Mehrzahl bespöttelt und verlacht wurde, und an der
festzuhalten kein geringes Maß von Pflichtgefühl und sittlichem Mute erforderte.
Beides hat Roon in angestrengtester Arbeit und in jahrelangen heißen parlamen¬
tarischen Kämpfen bewährt, und mit männlichem Freimut hat er much nach
oben seine Überzeugung vertreten, ohne dnß dadurch das Verhältnis zu seinem
Kriegsherrn jemals erschüttert worden wäre, denn Wilhelm der Erste ertrug
selbständige Charaktere. Die Kraft aber zu cilledem beruhte auf einem alten
Familienerbe, einer tiefinnerlichen, schlichten Frömmigkeit, einem felsenfesten
Gottvertrauen, in dem er alle die zahllosen Widerwärtigkeiten seiner Stellung
und alle Schicksnlsschläge tapfer ertrug. Und doch war er weder eine kalte
noch gar eine harte Natur; es lebte vielmehr in ihm ein leidenschaftliches,
tiefes Empfinden und ein herzliches, warmes Wohlwollen, nur daß er jenes
willenskräftig zu beherrschen wußte nud von diesem nicht viel Worte machte.
Man hat Roon ehrgeizig genannt. Er war das so wenig wie Moltke und Bis-
marckz nnr zögernd, nur aus Pflichtgefühl hat er die höchste Stellung ange¬
nommen. Orden und andre persönliche Auszeichnungen galten ihm als not¬
wendige, aber leidige Flitter, das Hofleben war ihm zuwider, und uach Popu¬
larität haschte er so wenig, daß er sie weit eher scheute als suchte. Niemand
konnte bescheidner von seiner Vefähignng denken, und in der That war seine
Begabung schwerlich eine wirklich geniale. Er wußte selbst sehr gut, daß ihm
zum Staatsmann so manches fehle. Seine Bildung war eine wesentlich militä¬
rische, mit staatsrechtlichen Fragen hatte er sich bisher wenig beschäftigt, und
seinem geraden Wesen fehlte jede Spur von Geschmeidigkeit.

Dennoch erkannte er sehr bald, daß er auf die ganze Haltung des Ministe¬
riums den entscheidenden Einstich gewinnen, also Staatsmann werden müsse,
wenn er seine Pläne durchführen wollte. Denn mit den meisten Mitgliedern
des Staatsministeriums befand er sich von Anfang an in verhülltem, bald in
offnem Gegensatze. Die Mehrheit, Graf Schwerin, der alte Führer der libe¬
ralen Opposition, Patow, N. von Auerswald, die eigentliche Seele des Ministe¬
riums, waren im stillen Anhänger des parlamentarischen Systems nach eng¬
lischem Vorbilde, fühlten sich also abhängig von der liberalen Mehrheit des
Abgeordnetenhauses, hielten sich mehr für deren Vertreter als für die des
Monarchen, der, wie sie wissen mußten, zwar ehrlich auf dem Boden der
Preußischen Verfassung stand, aber weit davon entfernt war, ein. parlamenta¬
rischer Schnttenkönig sein zu wollen. Dies Verhältnis hat in erster Linie den
„Konflikt" verschuldet. Daß die liberale Mehrheit des Ministeriums nicht
aus voller Uberzeugung und also auch nicht mit vollem Nachdruck für die
Heeresreform eintrat, die der Priuzregeut als sein „eigenstes Werk" durchzu¬
setzen sest entschlossen war, hat die Minister erst in eine schiefe Lage gebracht


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[0267] Albrecht von Roon zeuguug, daß nur ein starkes, d. h. ein wahrhaft wehrfähiges Preußen die deutsche Einheit schaffen könne, eine Anschaung, die damals von sehr wenigen geteilt, von der großen Mehrzahl bespöttelt und verlacht wurde, und an der festzuhalten kein geringes Maß von Pflichtgefühl und sittlichem Mute erforderte. Beides hat Roon in angestrengtester Arbeit und in jahrelangen heißen parlamen¬ tarischen Kämpfen bewährt, und mit männlichem Freimut hat er much nach oben seine Überzeugung vertreten, ohne dnß dadurch das Verhältnis zu seinem Kriegsherrn jemals erschüttert worden wäre, denn Wilhelm der Erste ertrug selbständige Charaktere. Die Kraft aber zu cilledem beruhte auf einem alten Familienerbe, einer tiefinnerlichen, schlichten Frömmigkeit, einem felsenfesten Gottvertrauen, in dem er alle die zahllosen Widerwärtigkeiten seiner Stellung und alle Schicksnlsschläge tapfer ertrug. Und doch war er weder eine kalte noch gar eine harte Natur; es lebte vielmehr in ihm ein leidenschaftliches, tiefes Empfinden und ein herzliches, warmes Wohlwollen, nur daß er jenes willenskräftig zu beherrschen wußte nud von diesem nicht viel Worte machte. Man hat Roon ehrgeizig genannt. Er war das so wenig wie Moltke und Bis- marckz nnr zögernd, nur aus Pflichtgefühl hat er die höchste Stellung ange¬ nommen. Orden und andre persönliche Auszeichnungen galten ihm als not¬ wendige, aber leidige Flitter, das Hofleben war ihm zuwider, und uach Popu¬ larität haschte er so wenig, daß er sie weit eher scheute als suchte. Niemand konnte bescheidner von seiner Vefähignng denken, und in der That war seine Begabung schwerlich eine wirklich geniale. Er wußte selbst sehr gut, daß ihm zum Staatsmann so manches fehle. Seine Bildung war eine wesentlich militä¬ rische, mit staatsrechtlichen Fragen hatte er sich bisher wenig beschäftigt, und seinem geraden Wesen fehlte jede Spur von Geschmeidigkeit. Dennoch erkannte er sehr bald, daß er auf die ganze Haltung des Ministe¬ riums den entscheidenden Einstich gewinnen, also Staatsmann werden müsse, wenn er seine Pläne durchführen wollte. Denn mit den meisten Mitgliedern des Staatsministeriums befand er sich von Anfang an in verhülltem, bald in offnem Gegensatze. Die Mehrheit, Graf Schwerin, der alte Führer der libe¬ ralen Opposition, Patow, N. von Auerswald, die eigentliche Seele des Ministe¬ riums, waren im stillen Anhänger des parlamentarischen Systems nach eng¬ lischem Vorbilde, fühlten sich also abhängig von der liberalen Mehrheit des Abgeordnetenhauses, hielten sich mehr für deren Vertreter als für die des Monarchen, der, wie sie wissen mußten, zwar ehrlich auf dem Boden der Preußischen Verfassung stand, aber weit davon entfernt war, ein. parlamenta¬ rischer Schnttenkönig sein zu wollen. Dies Verhältnis hat in erster Linie den „Konflikt" verschuldet. Daß die liberale Mehrheit des Ministeriums nicht aus voller Uberzeugung und also auch nicht mit vollem Nachdruck für die Heeresreform eintrat, die der Priuzregeut als sein „eigenstes Werk" durchzu¬ setzen sest entschlossen war, hat die Minister erst in eine schiefe Lage gebracht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/267>, abgerufen am 25.08.2024.