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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Die preußische Steuerreform

reich Böhmen. Mit der Lehnspflicht übernahmen die Besitzer überall ver-
schiedne Dienste und Abgaben, namentlich Ritter- und Kriegsdienste, die im
Laufe der Zeit ebenfalls in Geldabgabeu verwandelt und dann als Grund¬
steuer erhoben wurden. Eine allgemeine Maßregel dieser Art war das Edikt
König Friedrich Wilhelms des Ersten vom 5. Januar 1717, wodurch für
den damaligen Bestand des ganzen Königreichs der Lehnsverband aufgehoben
und alle Lehen in Allodialgüter verwandelt wurden. Dieses Edikt lautet in
seinen wesentlichen Bestimmungen: "Weil die Lehngüter wegen der darauf
haftenden Lehnsqualität vielen beschwerlichen Lasten und Jnkvmmoditüten
unterworfen sind, so wollen Se. Majestät zum Beste" der Ritterschaft, Va¬
sallen und Lehnleute alle in dem Königreiche Preußen, auch in der Chur und
andern Landen belegnen Lehen vor Allodial- und Erbgüter erklären und von
dem usxu könn>M auf ewig lossprechen u. s. w. Weil nun dadurch zugleich
der innere Wert der Lehen ans ein Merkliches verbessert wird, (!) so haben
sämtliche Ritterschaft, Vasallen und Lehnlente sich darüber zu erklären und
was sie jährlich xro Limous an Se. Königl. Majestät zahlen wollen." In¬
folge dieser Edikte wurde bei allen Lehen ein Allodifikationszins oder Lehns¬
kanon unter Verhandlung mit den Beteiligten festgesetzt und fortdauernd als
Grundsteuer (!) erhoben. Auch dieser Zins und alle aus dem Lehnsverband
stammenden, in Grundsteuer verwandelten Abgaben haben ebenso wie alle aus
Domänenverkäufen und sonstigen landesherrlichen Verleihungen stammenden
als Grundsteuer erhobnen Abgaben offenbar die rechtliche Natur von Real¬
lasten. Ans gleichen Verkäufen, gleichen Verleihungen und gleichen Verfassungs-
znständen stammten die Steuerfreiheiten, für die nach dem Gesetze vom 21. Mai
1861 Kapitalentschädigungen gezahlt worden sind. Bei der jetzigen Re¬
form-- bei der Aufhebung der Grundsteuer--sollen diese Kapitalien, soweit
die Besitzer nicht gewechselt haben, die Besitzer also Empfänger der Kapitalien
oder ihre Erben sind, zurückgefordert werden, und Enneeecrus begründet diese
Znrttckforderung mit den Worten: "Mit dem Wegfall der Staatsgrundsteuer
nimmt das Entschüdigungskapital die Natur einer grundlosen Bereicherung
an." Wir sehen darin keine richtige Schlußfolgerung. Wir betrachten es
ebenfalls als eine Bereicherung, wenn eine ans zweiseitigen Verträgen oder
aus zweiseitigen Rechtsverhältnissen stammende Abgabe, die die rechtliche Natur
einer Reallast hat, ohne weiteres aufgehoben wird. Wenn dies geschieht, den
Besitzern also die Neallasten abgenommen werden, müssen die gezählten Grnnd-
steuerentschüdigungsgelder den Besitzern ebenfalls verbleiben.

Allerdings bildeten die in Grundsteuer verwandelten, ursprünglich als
unzweifelhafte Neallasten anzusehenden Abgaben uur einen Teil der spätern,
im Jahre 1861 auf zehn Millionen Thaler festgesetzten Grundsteuern. Neben
ihnen waren seit dem sechzehnten Jahrhundert wirkliche, durch die Stände
bewilligte Grundsteuern erhoben worden, in Schlesien zum erstenmale auf dem


Die preußische Steuerreform

reich Böhmen. Mit der Lehnspflicht übernahmen die Besitzer überall ver-
schiedne Dienste und Abgaben, namentlich Ritter- und Kriegsdienste, die im
Laufe der Zeit ebenfalls in Geldabgabeu verwandelt und dann als Grund¬
steuer erhoben wurden. Eine allgemeine Maßregel dieser Art war das Edikt
König Friedrich Wilhelms des Ersten vom 5. Januar 1717, wodurch für
den damaligen Bestand des ganzen Königreichs der Lehnsverband aufgehoben
und alle Lehen in Allodialgüter verwandelt wurden. Dieses Edikt lautet in
seinen wesentlichen Bestimmungen: „Weil die Lehngüter wegen der darauf
haftenden Lehnsqualität vielen beschwerlichen Lasten und Jnkvmmoditüten
unterworfen sind, so wollen Se. Majestät zum Beste» der Ritterschaft, Va¬
sallen und Lehnleute alle in dem Königreiche Preußen, auch in der Chur und
andern Landen belegnen Lehen vor Allodial- und Erbgüter erklären und von
dem usxu könn>M auf ewig lossprechen u. s. w. Weil nun dadurch zugleich
der innere Wert der Lehen ans ein Merkliches verbessert wird, (!) so haben
sämtliche Ritterschaft, Vasallen und Lehnlente sich darüber zu erklären und
was sie jährlich xro Limous an Se. Königl. Majestät zahlen wollen." In¬
folge dieser Edikte wurde bei allen Lehen ein Allodifikationszins oder Lehns¬
kanon unter Verhandlung mit den Beteiligten festgesetzt und fortdauernd als
Grundsteuer (!) erhoben. Auch dieser Zins und alle aus dem Lehnsverband
stammenden, in Grundsteuer verwandelten Abgaben haben ebenso wie alle aus
Domänenverkäufen und sonstigen landesherrlichen Verleihungen stammenden
als Grundsteuer erhobnen Abgaben offenbar die rechtliche Natur von Real¬
lasten. Ans gleichen Verkäufen, gleichen Verleihungen und gleichen Verfassungs-
znständen stammten die Steuerfreiheiten, für die nach dem Gesetze vom 21. Mai
1861 Kapitalentschädigungen gezahlt worden sind. Bei der jetzigen Re¬
form— bei der Aufhebung der Grundsteuer—sollen diese Kapitalien, soweit
die Besitzer nicht gewechselt haben, die Besitzer also Empfänger der Kapitalien
oder ihre Erben sind, zurückgefordert werden, und Enneeecrus begründet diese
Znrttckforderung mit den Worten: „Mit dem Wegfall der Staatsgrundsteuer
nimmt das Entschüdigungskapital die Natur einer grundlosen Bereicherung
an." Wir sehen darin keine richtige Schlußfolgerung. Wir betrachten es
ebenfalls als eine Bereicherung, wenn eine ans zweiseitigen Verträgen oder
aus zweiseitigen Rechtsverhältnissen stammende Abgabe, die die rechtliche Natur
einer Reallast hat, ohne weiteres aufgehoben wird. Wenn dies geschieht, den
Besitzern also die Neallasten abgenommen werden, müssen die gezählten Grnnd-
steuerentschüdigungsgelder den Besitzern ebenfalls verbleiben.

Allerdings bildeten die in Grundsteuer verwandelten, ursprünglich als
unzweifelhafte Neallasten anzusehenden Abgaben uur einen Teil der spätern,
im Jahre 1861 auf zehn Millionen Thaler festgesetzten Grundsteuern. Neben
ihnen waren seit dem sechzehnten Jahrhundert wirkliche, durch die Stände
bewilligte Grundsteuern erhoben worden, in Schlesien zum erstenmale auf dem


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[0258] Die preußische Steuerreform reich Böhmen. Mit der Lehnspflicht übernahmen die Besitzer überall ver- schiedne Dienste und Abgaben, namentlich Ritter- und Kriegsdienste, die im Laufe der Zeit ebenfalls in Geldabgabeu verwandelt und dann als Grund¬ steuer erhoben wurden. Eine allgemeine Maßregel dieser Art war das Edikt König Friedrich Wilhelms des Ersten vom 5. Januar 1717, wodurch für den damaligen Bestand des ganzen Königreichs der Lehnsverband aufgehoben und alle Lehen in Allodialgüter verwandelt wurden. Dieses Edikt lautet in seinen wesentlichen Bestimmungen: „Weil die Lehngüter wegen der darauf haftenden Lehnsqualität vielen beschwerlichen Lasten und Jnkvmmoditüten unterworfen sind, so wollen Se. Majestät zum Beste» der Ritterschaft, Va¬ sallen und Lehnleute alle in dem Königreiche Preußen, auch in der Chur und andern Landen belegnen Lehen vor Allodial- und Erbgüter erklären und von dem usxu könn>M auf ewig lossprechen u. s. w. Weil nun dadurch zugleich der innere Wert der Lehen ans ein Merkliches verbessert wird, (!) so haben sämtliche Ritterschaft, Vasallen und Lehnlente sich darüber zu erklären und was sie jährlich xro Limous an Se. Königl. Majestät zahlen wollen." In¬ folge dieser Edikte wurde bei allen Lehen ein Allodifikationszins oder Lehns¬ kanon unter Verhandlung mit den Beteiligten festgesetzt und fortdauernd als Grundsteuer (!) erhoben. Auch dieser Zins und alle aus dem Lehnsverband stammenden, in Grundsteuer verwandelten Abgaben haben ebenso wie alle aus Domänenverkäufen und sonstigen landesherrlichen Verleihungen stammenden als Grundsteuer erhobnen Abgaben offenbar die rechtliche Natur von Real¬ lasten. Ans gleichen Verkäufen, gleichen Verleihungen und gleichen Verfassungs- znständen stammten die Steuerfreiheiten, für die nach dem Gesetze vom 21. Mai 1861 Kapitalentschädigungen gezahlt worden sind. Bei der jetzigen Re¬ form— bei der Aufhebung der Grundsteuer—sollen diese Kapitalien, soweit die Besitzer nicht gewechselt haben, die Besitzer also Empfänger der Kapitalien oder ihre Erben sind, zurückgefordert werden, und Enneeecrus begründet diese Znrttckforderung mit den Worten: „Mit dem Wegfall der Staatsgrundsteuer nimmt das Entschüdigungskapital die Natur einer grundlosen Bereicherung an." Wir sehen darin keine richtige Schlußfolgerung. Wir betrachten es ebenfalls als eine Bereicherung, wenn eine ans zweiseitigen Verträgen oder aus zweiseitigen Rechtsverhältnissen stammende Abgabe, die die rechtliche Natur einer Reallast hat, ohne weiteres aufgehoben wird. Wenn dies geschieht, den Besitzern also die Neallasten abgenommen werden, müssen die gezählten Grnnd- steuerentschüdigungsgelder den Besitzern ebenfalls verbleiben. Allerdings bildeten die in Grundsteuer verwandelten, ursprünglich als unzweifelhafte Neallasten anzusehenden Abgaben uur einen Teil der spätern, im Jahre 1861 auf zehn Millionen Thaler festgesetzten Grundsteuern. Neben ihnen waren seit dem sechzehnten Jahrhundert wirkliche, durch die Stände bewilligte Grundsteuern erhoben worden, in Schlesien zum erstenmale auf dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/258>, abgerufen am 23.07.2024.