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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Der kleine Drache

Und lächelnd fügte er hinzu: Wenn meine Unterthanen einmal wirklich
so gemein geworden wären, daß sie den billigsten wollten zum Herrscher haben,
was ich nimmermehr von ihnen glauben mag -- dann freilich wären sie keinen
Schuß Pulver mehr wert; dann mögen sie sich den kleinen Drachen zum ge¬
schäftigen Verwalter berufen und ihn in die billigen schwarzen Hosen stecken,
die sie ihm gekauft haben in der goldnen llO. Sage mir aber, Vezir, wie
kommt der kleine Drache zu solchem Gethue? Stammt er aus dem Reiche
der Lüge oder der Wahrheit, spricht er solches zum Schaden des Landes oder
zum vermeintlichen Frommen, glaubt er seine Aberweisheit, oder glaubt er
sie nicht?

Herr, sprach der Vezir, es giebt zweierlei Leute unter denen, so sich
mühen um öffentliche Wohlfahrt, Die einen suchen was zu schaffen oder
besser zu machen, mühevoll, unermüdlich, unter viel Enttäuschung und Sorge
kommen sie langsam ein Streckchen weiter in dem, was groß und gut und
schön ist, Dn magst sie die Positiven nennen. Da sind aber viele andre,
die wissen nnr immer zu verneinen, und das ist wahrlich die leichtere Arbeit.
Mit groszen Worten und scheinbar geistreichen Gedanken zersetzen, unterwühlen,
zertrümmern sie alles, was ihnen faßbar und erreichbar ist. Sie sind die
unfruchtbaren Samenkörner, die der Säemann verworfen hat. Ihr Thun ist
bequem, wenn es anch auf schwachköpfige Thoren den Eindruck des Kühnen
macht. Eher zerschlüge man mit hohlen Worten eine ganze Welt, tutet von
Untergang und Umsturz, begeifert alles, was noch steht und handelt und
kämpft, ehe man eine einzige kleinste unscheinbarste That vollbringt. Willst
du nun wissen, v Herr, zu welchen von beiden Menschenarten der kleine Drache
gehört, dann laß ihn holen und gieb ihm etwas zu schaffen, eine winzige
nützliche Leistung, und du wirst ja sehen. Also ist mein Rat, sprach
der Vezir.

Und so geschah ein zweites Wunder: der kleine Drache wurde vor den
Thron des Kalisen gebracht.

Was kannst du leisten, dein Staate zu nützen? sprach der Kauf. -- Ich
weiß alles, ich verstehe alles, denn ich bespeie alles. Ich ziehe den ganzen
Staatswagen allein, das werdet ihr sehen, antwortete der kleine Drache.

Da zeigte man ihm das Gefährt. Es konnte nicht von einem Punkte
aus bewegt werden; vorn zwar lenkte der Kauf glänzende, schnaubende Rosse,
aber von den vielen Tausenden kleiner Ruder und Rädchen mußte jedes ein¬
zelne von ungezählten Hilfskräften gezogen und bewegt werden. Da wurde
der Drache schon etwas kleinlaut und ließ sich, wenn auch mit überlegnem
Lächeln, vor eines der kleinen Ruder spannen.

Und die Fahrt ging weiter. Der Kauf, der vorn die wilden Rosse lenkte,
fuhr sicher und machtvoll seine Bahn, aber der kleine Drache schnaubte und
pustete, um nur mitzukommen. Es war ja nichts in ihm als Gift und Galle
und Aufgeblasenheit, und so sehr er sich aufblühte und mit den Tatzen und
dem Schweife schlug, eine nützliche Kraft war uicht in ihm, er konnte nicht
einmal das eine Rädchen lenken und bewegen. Plötzlich that es einen lauten
Knall, und -- der kleine Drache platzte. Bis um die Himmelsdecke flogen die
Trümmer, um dort zu haften als ein neues Sternbild am Nachthimmel. So
groß war die Spannung gewesen, zu der er seinen Drachenleib aufgetrieben
hatte. Aber alle Arbeiter an dem Staatswagen lachten -- mit Ausnahme
des Kalifen, der erst später davon erfuhr --, und die, die in der Nahe des


Der kleine Drache

Und lächelnd fügte er hinzu: Wenn meine Unterthanen einmal wirklich
so gemein geworden wären, daß sie den billigsten wollten zum Herrscher haben,
was ich nimmermehr von ihnen glauben mag — dann freilich wären sie keinen
Schuß Pulver mehr wert; dann mögen sie sich den kleinen Drachen zum ge¬
schäftigen Verwalter berufen und ihn in die billigen schwarzen Hosen stecken,
die sie ihm gekauft haben in der goldnen llO. Sage mir aber, Vezir, wie
kommt der kleine Drache zu solchem Gethue? Stammt er aus dem Reiche
der Lüge oder der Wahrheit, spricht er solches zum Schaden des Landes oder
zum vermeintlichen Frommen, glaubt er seine Aberweisheit, oder glaubt er
sie nicht?

Herr, sprach der Vezir, es giebt zweierlei Leute unter denen, so sich
mühen um öffentliche Wohlfahrt, Die einen suchen was zu schaffen oder
besser zu machen, mühevoll, unermüdlich, unter viel Enttäuschung und Sorge
kommen sie langsam ein Streckchen weiter in dem, was groß und gut und
schön ist, Dn magst sie die Positiven nennen. Da sind aber viele andre,
die wissen nnr immer zu verneinen, und das ist wahrlich die leichtere Arbeit.
Mit groszen Worten und scheinbar geistreichen Gedanken zersetzen, unterwühlen,
zertrümmern sie alles, was ihnen faßbar und erreichbar ist. Sie sind die
unfruchtbaren Samenkörner, die der Säemann verworfen hat. Ihr Thun ist
bequem, wenn es anch auf schwachköpfige Thoren den Eindruck des Kühnen
macht. Eher zerschlüge man mit hohlen Worten eine ganze Welt, tutet von
Untergang und Umsturz, begeifert alles, was noch steht und handelt und
kämpft, ehe man eine einzige kleinste unscheinbarste That vollbringt. Willst
du nun wissen, v Herr, zu welchen von beiden Menschenarten der kleine Drache
gehört, dann laß ihn holen und gieb ihm etwas zu schaffen, eine winzige
nützliche Leistung, und du wirst ja sehen. Also ist mein Rat, sprach
der Vezir.

Und so geschah ein zweites Wunder: der kleine Drache wurde vor den
Thron des Kalisen gebracht.

Was kannst du leisten, dein Staate zu nützen? sprach der Kauf. — Ich
weiß alles, ich verstehe alles, denn ich bespeie alles. Ich ziehe den ganzen
Staatswagen allein, das werdet ihr sehen, antwortete der kleine Drache.

Da zeigte man ihm das Gefährt. Es konnte nicht von einem Punkte
aus bewegt werden; vorn zwar lenkte der Kauf glänzende, schnaubende Rosse,
aber von den vielen Tausenden kleiner Ruder und Rädchen mußte jedes ein¬
zelne von ungezählten Hilfskräften gezogen und bewegt werden. Da wurde
der Drache schon etwas kleinlaut und ließ sich, wenn auch mit überlegnem
Lächeln, vor eines der kleinen Ruder spannen.

Und die Fahrt ging weiter. Der Kauf, der vorn die wilden Rosse lenkte,
fuhr sicher und machtvoll seine Bahn, aber der kleine Drache schnaubte und
pustete, um nur mitzukommen. Es war ja nichts in ihm als Gift und Galle
und Aufgeblasenheit, und so sehr er sich aufblühte und mit den Tatzen und
dem Schweife schlug, eine nützliche Kraft war uicht in ihm, er konnte nicht
einmal das eine Rädchen lenken und bewegen. Plötzlich that es einen lauten
Knall, und — der kleine Drache platzte. Bis um die Himmelsdecke flogen die
Trümmer, um dort zu haften als ein neues Sternbild am Nachthimmel. So
groß war die Spannung gewesen, zu der er seinen Drachenleib aufgetrieben
hatte. Aber alle Arbeiter an dem Staatswagen lachten — mit Ausnahme
des Kalifen, der erst später davon erfuhr —, und die, die in der Nahe des


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[0244] Der kleine Drache Und lächelnd fügte er hinzu: Wenn meine Unterthanen einmal wirklich so gemein geworden wären, daß sie den billigsten wollten zum Herrscher haben, was ich nimmermehr von ihnen glauben mag — dann freilich wären sie keinen Schuß Pulver mehr wert; dann mögen sie sich den kleinen Drachen zum ge¬ schäftigen Verwalter berufen und ihn in die billigen schwarzen Hosen stecken, die sie ihm gekauft haben in der goldnen llO. Sage mir aber, Vezir, wie kommt der kleine Drache zu solchem Gethue? Stammt er aus dem Reiche der Lüge oder der Wahrheit, spricht er solches zum Schaden des Landes oder zum vermeintlichen Frommen, glaubt er seine Aberweisheit, oder glaubt er sie nicht? Herr, sprach der Vezir, es giebt zweierlei Leute unter denen, so sich mühen um öffentliche Wohlfahrt, Die einen suchen was zu schaffen oder besser zu machen, mühevoll, unermüdlich, unter viel Enttäuschung und Sorge kommen sie langsam ein Streckchen weiter in dem, was groß und gut und schön ist, Dn magst sie die Positiven nennen. Da sind aber viele andre, die wissen nnr immer zu verneinen, und das ist wahrlich die leichtere Arbeit. Mit groszen Worten und scheinbar geistreichen Gedanken zersetzen, unterwühlen, zertrümmern sie alles, was ihnen faßbar und erreichbar ist. Sie sind die unfruchtbaren Samenkörner, die der Säemann verworfen hat. Ihr Thun ist bequem, wenn es anch auf schwachköpfige Thoren den Eindruck des Kühnen macht. Eher zerschlüge man mit hohlen Worten eine ganze Welt, tutet von Untergang und Umsturz, begeifert alles, was noch steht und handelt und kämpft, ehe man eine einzige kleinste unscheinbarste That vollbringt. Willst du nun wissen, v Herr, zu welchen von beiden Menschenarten der kleine Drache gehört, dann laß ihn holen und gieb ihm etwas zu schaffen, eine winzige nützliche Leistung, und du wirst ja sehen. Also ist mein Rat, sprach der Vezir. Und so geschah ein zweites Wunder: der kleine Drache wurde vor den Thron des Kalisen gebracht. Was kannst du leisten, dein Staate zu nützen? sprach der Kauf. — Ich weiß alles, ich verstehe alles, denn ich bespeie alles. Ich ziehe den ganzen Staatswagen allein, das werdet ihr sehen, antwortete der kleine Drache. Da zeigte man ihm das Gefährt. Es konnte nicht von einem Punkte aus bewegt werden; vorn zwar lenkte der Kauf glänzende, schnaubende Rosse, aber von den vielen Tausenden kleiner Ruder und Rädchen mußte jedes ein¬ zelne von ungezählten Hilfskräften gezogen und bewegt werden. Da wurde der Drache schon etwas kleinlaut und ließ sich, wenn auch mit überlegnem Lächeln, vor eines der kleinen Ruder spannen. Und die Fahrt ging weiter. Der Kauf, der vorn die wilden Rosse lenkte, fuhr sicher und machtvoll seine Bahn, aber der kleine Drache schnaubte und pustete, um nur mitzukommen. Es war ja nichts in ihm als Gift und Galle und Aufgeblasenheit, und so sehr er sich aufblühte und mit den Tatzen und dem Schweife schlug, eine nützliche Kraft war uicht in ihm, er konnte nicht einmal das eine Rädchen lenken und bewegen. Plötzlich that es einen lauten Knall, und — der kleine Drache platzte. Bis um die Himmelsdecke flogen die Trümmer, um dort zu haften als ein neues Sternbild am Nachthimmel. So groß war die Spannung gewesen, zu der er seinen Drachenleib aufgetrieben hatte. Aber alle Arbeiter an dem Staatswagen lachten — mit Ausnahme des Kalifen, der erst später davon erfuhr —, und die, die in der Nahe des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/244>, abgerufen am 22.12.2024.