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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Mit diesen prophetischen Worten schließt Roon seine Auseinandersetzung, die
das Programm der nächsten deutschen Zukunft in scharfen Zügen entwirft.

Jahre vergingen. Aber längst hegte der Prinz von Preußen ganz ähn¬
liche Gedanken und hat wohl auch von jener Denkschrift Kenntnis genommen,
denn er knüpfte daran an, als Roon im Juni 1858, also noch vor dem An¬
tritte der eigentlichen Regentschaft, nach Berlin kam, um die Investitur als
Rechtsritter des Johanniterordens zu empfangen. Am 26. Juni hatte Roon
in Vabclsberg mit dem Prinzregenten eine Unterredung von weltgeschichtlichen
Folgen, denn dort erhielt er den Auftrag, seine Pläne über die Heeresreform
ausführlich zu entwickeln. Er that dies während des Juli in Kolberg, in
seiner pommerschen Heimat, wo er sich damals mit seiner Familie im See¬
bade aufhielt, und es kann als ein eigentümliches Zusammentreffen gelten,
daß in derselben ruhmgekrönten Festung, die einst 1807 durch Gneisenau die
Wiege des neuen preußischen Waffenruhmes geworden war, jetzt die Gedanken
Gestalt gewannen, die das neue preußisch-deutsche Heer und damit die Grund¬
lage des neuen deutschen Reiches schufen. Preußen bedarf eines stärkern
Heeres, um seine schwierige Stellung zu behaupten; ein ungenügendes ist
wertlos. Die Mängel des jetzigen liegen in seiner Schwäche und in seiner
Organisation. Die Landwehr, 1813 ein unvermeidlicher Notbehelf, ist
jetzt eine politisch wie militärisch falsche Einrichtung, weil ohne den
wahren Soldatengeist und ohne die rechte Disziplin. Zur Abhilfe dieser
Schäden ist nötig die ernste Durchführung der dreijährigen Dienstzeit (an
Stelle der seit 1831 thatsächlich bestehenden zweijährigen), daher stärkere Aus¬
hebung und Verstärkung der Kadres, sodann Verschmelzung der Landwehr
ersten Aufgebots, also der jüngern Jahrgänge, mit der Linie und Entlastung
der ältern Jahrgänge, deshalb Vermehrung der Offiziere und Unteroffiziere.
Im September desselben Jahres wurden diese Vorschläge bei den Manövern
um Liegnitz zwischen dem Prinzen und Roon ausführlich erörtert. Wie sehr
sie den Regenten beschäftigten, bewies seine erste Kundgebung an das Staats¬
ministerium am 8. November, in der er sehr entschieden für eine Verstärkung
des Heeres eintrat, eine Wendung, die damals in der allgemeinen freudigen
Aufregung über die "neue Ära" zu wenig beachtet wurde. Aber der Prinz
übergab Novus Denkschrift dem Kriegsministerium bereits "zur Erwägung"
und beförderte ihren Verfasser am 22. November zum Generalleutnant und
Kommandeur der Vierzehnten Division in Düsseldorf. Als sich Roon in dieser
Eigenschaft am 4. Dezember beim Regenten im Palais Unter den Linden in
dem historischen Arbeitskabinett an der Ecke meldete und wiederum eindringlich
die Notwendigkeit der Reorganisation betonte, sagte ihm der Prinz: "Ja, ich
sehe das alles ein, es muß geschehen, aber dann müssen Sie heran." Er
hatte seinen künftigen Kriegsminister gefunden.

(Schluß sollte)


Mit diesen prophetischen Worten schließt Roon seine Auseinandersetzung, die
das Programm der nächsten deutschen Zukunft in scharfen Zügen entwirft.

Jahre vergingen. Aber längst hegte der Prinz von Preußen ganz ähn¬
liche Gedanken und hat wohl auch von jener Denkschrift Kenntnis genommen,
denn er knüpfte daran an, als Roon im Juni 1858, also noch vor dem An¬
tritte der eigentlichen Regentschaft, nach Berlin kam, um die Investitur als
Rechtsritter des Johanniterordens zu empfangen. Am 26. Juni hatte Roon
in Vabclsberg mit dem Prinzregenten eine Unterredung von weltgeschichtlichen
Folgen, denn dort erhielt er den Auftrag, seine Pläne über die Heeresreform
ausführlich zu entwickeln. Er that dies während des Juli in Kolberg, in
seiner pommerschen Heimat, wo er sich damals mit seiner Familie im See¬
bade aufhielt, und es kann als ein eigentümliches Zusammentreffen gelten,
daß in derselben ruhmgekrönten Festung, die einst 1807 durch Gneisenau die
Wiege des neuen preußischen Waffenruhmes geworden war, jetzt die Gedanken
Gestalt gewannen, die das neue preußisch-deutsche Heer und damit die Grund¬
lage des neuen deutschen Reiches schufen. Preußen bedarf eines stärkern
Heeres, um seine schwierige Stellung zu behaupten; ein ungenügendes ist
wertlos. Die Mängel des jetzigen liegen in seiner Schwäche und in seiner
Organisation. Die Landwehr, 1813 ein unvermeidlicher Notbehelf, ist
jetzt eine politisch wie militärisch falsche Einrichtung, weil ohne den
wahren Soldatengeist und ohne die rechte Disziplin. Zur Abhilfe dieser
Schäden ist nötig die ernste Durchführung der dreijährigen Dienstzeit (an
Stelle der seit 1831 thatsächlich bestehenden zweijährigen), daher stärkere Aus¬
hebung und Verstärkung der Kadres, sodann Verschmelzung der Landwehr
ersten Aufgebots, also der jüngern Jahrgänge, mit der Linie und Entlastung
der ältern Jahrgänge, deshalb Vermehrung der Offiziere und Unteroffiziere.
Im September desselben Jahres wurden diese Vorschläge bei den Manövern
um Liegnitz zwischen dem Prinzen und Roon ausführlich erörtert. Wie sehr
sie den Regenten beschäftigten, bewies seine erste Kundgebung an das Staats¬
ministerium am 8. November, in der er sehr entschieden für eine Verstärkung
des Heeres eintrat, eine Wendung, die damals in der allgemeinen freudigen
Aufregung über die „neue Ära" zu wenig beachtet wurde. Aber der Prinz
übergab Novus Denkschrift dem Kriegsministerium bereits „zur Erwägung"
und beförderte ihren Verfasser am 22. November zum Generalleutnant und
Kommandeur der Vierzehnten Division in Düsseldorf. Als sich Roon in dieser
Eigenschaft am 4. Dezember beim Regenten im Palais Unter den Linden in
dem historischen Arbeitskabinett an der Ecke meldete und wiederum eindringlich
die Notwendigkeit der Reorganisation betonte, sagte ihm der Prinz: „Ja, ich
sehe das alles ein, es muß geschehen, aber dann müssen Sie heran." Er
hatte seinen künftigen Kriegsminister gefunden.

(Schluß sollte)


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/231>, abgerufen am 22.12.2024.