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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Albrecht von Roon

reicht und war schließlich mi maßgebender Stelle mehr das Ergebnis von
Stimmungen als eines klaren und festen Entschlusses, Jener Koblenzer Kreis
wußte nur zu gut, daß ein solcher auch niemals zu erwarten sei, so lange
Friedrich Wilhelm IV. die Zügel führe. Alle Hoffnung beruhte auf einem
Personenwechsel. "Im Prinzen von Preußen allein -- so schrieb im Mai 1854
sein Schwiegersohn, der damalige Prinzregent Friedrich von Baden, an den
Herzog Ernst von Koburg -- liegt die Möglichkeit einer Rettung vor dem Unter¬
gange Deutschlands."

Die Wendung war näher, als man glaubte, und die Umgestaltung, die
sie einleitete, unendlich gewaltiger, als jemand damals ahnte. Im Herbst
1857 traf den König ein Schlaganfall, der seiner Regicrungsfähigkeit ein
Ende machte. Prinz Wilhelm übernahm die Stellvertretung, am 7. Oktober
1858 die Regentschaft kraft eignen Rechts, "mit alleiniger Verantwortung
gegen Gott." "Die Freude und der Aufschwung in den Gemütern war all¬
gemein." Denn sofort entließ der Regent das Ministerium Manteuffel, an
dessen Namen sich die Erinnerung an ein willkürliches Parteiregiment und an
die ärgsten Demütigungen gegenüber dem Auslande hingen wie ein Fluch,
und umgab sich mit Männern einer gemäßigt liberalen Richtung. Die "neue
Ära" des Liberalismus, so meinte man, war da. Aber thatsächlich stand weit
größeres bevor als ein Wechsel in der Herrschaft der Parteien. Die größte
Epoche der neuen deutschen Geschichte, das heroische Zeitalter Wilhelms I. war
angebrochen, und Roon sollte in erster Linie berufen sein, es heraufzuführen.

Schon zu Anfang des Jahres 1854 hatte sich Roon auf eine vertrau¬
liche Anfrage des Grafen Albert von Pvurtalüs, des damaligen preußischen
Gesandten in Paris, die ihm Perthes vermittelte (ohne daß übrigens klar wird,
was den Grafen dazu bewog), in Form eines Briefes an den Freund, seine Grund¬
gedanken über die Heeresreform ausgesprochen. Die Bnndeskriegsverfassung, so
führt er ans, stellt durchaus keine militärische Einheit Deutschlands dar, daher
giebt es keine gemeinsame deutsche Politik, und die deutschen Einzelarmeen werden
im Ernstfalle zerschellen, die größern werden ihre eignen Wege gehen, die
kleinern sich an eine der größern anschließen. Vom Bunde ist Abhilfe gar¬
nicht zu erwarten, von Österreich der entschiedenste Widerstand. Nur Preußen
kann die Sache in die Hand nehmen, nur bei Preußen vermag Deutschland
Heil und Schutz und "rationelle Fortdauer" zu finden. Dazu muß Preußen
die unbedingte militärische Oberleitung in Deutschland haben. Im gegebnen
Augenblicke ist also nicht mit einer Reorganisation der Bundesverfassung,
sondern mit einer Umgestaltung des deutschen Heerwesens zu beginnen (zu der
nun von jener Voraussetzung aus die Grundlinien gezogen werden). Freilich,
der Abgrund zwischen Wollen und Vollbringen ist entsetzlich groß; "er ist nur ^
auszufüllen entweder durch Heldenthaten und Leichenhügel oder durch das
Hineinwerfen aller unsrer nationalen Sünden, Vorurteile und Träumereien."


Albrecht von Roon

reicht und war schließlich mi maßgebender Stelle mehr das Ergebnis von
Stimmungen als eines klaren und festen Entschlusses, Jener Koblenzer Kreis
wußte nur zu gut, daß ein solcher auch niemals zu erwarten sei, so lange
Friedrich Wilhelm IV. die Zügel führe. Alle Hoffnung beruhte auf einem
Personenwechsel. „Im Prinzen von Preußen allein — so schrieb im Mai 1854
sein Schwiegersohn, der damalige Prinzregent Friedrich von Baden, an den
Herzog Ernst von Koburg — liegt die Möglichkeit einer Rettung vor dem Unter¬
gange Deutschlands."

Die Wendung war näher, als man glaubte, und die Umgestaltung, die
sie einleitete, unendlich gewaltiger, als jemand damals ahnte. Im Herbst
1857 traf den König ein Schlaganfall, der seiner Regicrungsfähigkeit ein
Ende machte. Prinz Wilhelm übernahm die Stellvertretung, am 7. Oktober
1858 die Regentschaft kraft eignen Rechts, „mit alleiniger Verantwortung
gegen Gott." „Die Freude und der Aufschwung in den Gemütern war all¬
gemein." Denn sofort entließ der Regent das Ministerium Manteuffel, an
dessen Namen sich die Erinnerung an ein willkürliches Parteiregiment und an
die ärgsten Demütigungen gegenüber dem Auslande hingen wie ein Fluch,
und umgab sich mit Männern einer gemäßigt liberalen Richtung. Die „neue
Ära" des Liberalismus, so meinte man, war da. Aber thatsächlich stand weit
größeres bevor als ein Wechsel in der Herrschaft der Parteien. Die größte
Epoche der neuen deutschen Geschichte, das heroische Zeitalter Wilhelms I. war
angebrochen, und Roon sollte in erster Linie berufen sein, es heraufzuführen.

Schon zu Anfang des Jahres 1854 hatte sich Roon auf eine vertrau¬
liche Anfrage des Grafen Albert von Pvurtalüs, des damaligen preußischen
Gesandten in Paris, die ihm Perthes vermittelte (ohne daß übrigens klar wird,
was den Grafen dazu bewog), in Form eines Briefes an den Freund, seine Grund¬
gedanken über die Heeresreform ausgesprochen. Die Bnndeskriegsverfassung, so
führt er ans, stellt durchaus keine militärische Einheit Deutschlands dar, daher
giebt es keine gemeinsame deutsche Politik, und die deutschen Einzelarmeen werden
im Ernstfalle zerschellen, die größern werden ihre eignen Wege gehen, die
kleinern sich an eine der größern anschließen. Vom Bunde ist Abhilfe gar¬
nicht zu erwarten, von Österreich der entschiedenste Widerstand. Nur Preußen
kann die Sache in die Hand nehmen, nur bei Preußen vermag Deutschland
Heil und Schutz und „rationelle Fortdauer" zu finden. Dazu muß Preußen
die unbedingte militärische Oberleitung in Deutschland haben. Im gegebnen
Augenblicke ist also nicht mit einer Reorganisation der Bundesverfassung,
sondern mit einer Umgestaltung des deutschen Heerwesens zu beginnen (zu der
nun von jener Voraussetzung aus die Grundlinien gezogen werden). Freilich,
der Abgrund zwischen Wollen und Vollbringen ist entsetzlich groß; „er ist nur ^
auszufüllen entweder durch Heldenthaten und Leichenhügel oder durch das
Hineinwerfen aller unsrer nationalen Sünden, Vorurteile und Träumereien."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/230>, abgerufen am 23.07.2024.