Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gin amerikanischer Sozialist

darin, daß sie den Mann zwingen, sein eignes Weib und seine eignen Kinder
zu seinen lohndrückenden Konkurrenten zu machen!

Was zum Preise der Konkurrenz gesagt zu werden Pflegt, ist alles er¬
logen. Nur der Wetteifer fordert den Fortschritt; die moderne Konkurrenz
über ist kein Wetteifer, sondern Halsabschneiderci, Kannibalismus, Vernichtung
des Nächsten zum Zweck eigner Bereicherung. Und wie denn immer ein Übel
das andre erzeugt, so hat die Vernichtung der kleinen Unternehmer durch die
großen im Konkurrenzkampfe jene zu Parasiten gemacht; als unnütze, die
Waren verteuernde oder fälschende Zwischenhändler und Schenkwirte fristen sie
ihr Leben auf Kosten der ärmern Konsumenten. Auch schon die Bauernschaft
der Vereinigten Staaten, vor wenigen Jahrzehnten noch die stattlichste der
Welt, hat der Vernichtungsprozeß ergriffen. Die sogenannten Bonanzafarms
-- Millionäre in Newyork, London, Frankfurt a. M. sind ihre Besitzer --,
die den Boden der Mittel- und Weststaateu durch kapitalistisch betriebnen
Raubbau ausbeuten, machen dem freien Bauern die Konkurrenz unmöglich,
stürzen ihn in Schuldknechtschaft und drücken ihn zum Pächter herab. In
sozialer Beziehung wirken diese Riesenfarms noch schlimmer als der englische
Großgrundbesitz. Denn dieser gewährt wenigstens seinen Pächtern ein Familien¬
heim; dort aber giebt es keine andern Gebäude als ein Haus für den unver¬
heirateten Aufseher und einen Schlafschnppen für die heimatlosen Arbeiter.

Den furchtbarsten Hammer zur Zertrümmerung des kleinen und mittlern
Besitzes hat sich das Großkapital schließlich in den Trusts und Ringen ge¬
schaffen. Von der Saugkraft dieser Vorrichtungen kann man sich einen Begriff
machen, wem? man vernimmt, daß die Ltmiäg-ra Oil OoiuM^ anfänglich ans
200000 Pfund Stammkapital monatlich 200000 Pfund Dividende gewährte
(also 1200 Prozent), und daß das Kapital durch gntgeschriebne Dividenden
und sonstigen Zuwachs binnen wenigen Jahren auf sechs Millionen Pfund
anschwoll. Unendlich schlimmer als die oben erwähnten Schmarotzer sind diese
Vcunvyre, die den Güterumsatz und die Verteilung des Ertrags der Produk¬
tion in ihre Gewalt gebracht, die unentbehrlichsten Güter: Brot, Fleisch und
Kohle zum Gegenstande des ruchlosesten Spiels gemacht haben. Indem
solchergestalt der Geldgewinn einer kleinen Klasse zum wichtigsten, alle Lebens¬
verhältnisse durchdringenden und beherrschenden Interesse, das goldne Kalb
zum einzigen Gott erhoben worden ist, kann man sagen, daß unser ganzes
heutiges Geschlecht verjudet sei. Zum Schutze dieses Raubsystems hat der
Liberalismus das Ist, alviuz-Prinzip, das laissW tairs ersonnen und hat der
Welt eingeredet, es sei unrecht und unzweckmäßig, wenn der Staat in den
wirtschaftlichen ' Prozeß eingreife. Während aber die Nichteinnüschung den
Kapitalisten freie Hand gelassen hat, ihr Raubsystem aufs schönste und beste
in Ordnung zu bringen, herrscht in der Produktion die reine Anarchie, und
ist aus der sogenannten Gesellschaftsordnung das Gegenteil von Ordnung ge-


Gin amerikanischer Sozialist

darin, daß sie den Mann zwingen, sein eignes Weib und seine eignen Kinder
zu seinen lohndrückenden Konkurrenten zu machen!

Was zum Preise der Konkurrenz gesagt zu werden Pflegt, ist alles er¬
logen. Nur der Wetteifer fordert den Fortschritt; die moderne Konkurrenz
über ist kein Wetteifer, sondern Halsabschneiderci, Kannibalismus, Vernichtung
des Nächsten zum Zweck eigner Bereicherung. Und wie denn immer ein Übel
das andre erzeugt, so hat die Vernichtung der kleinen Unternehmer durch die
großen im Konkurrenzkampfe jene zu Parasiten gemacht; als unnütze, die
Waren verteuernde oder fälschende Zwischenhändler und Schenkwirte fristen sie
ihr Leben auf Kosten der ärmern Konsumenten. Auch schon die Bauernschaft
der Vereinigten Staaten, vor wenigen Jahrzehnten noch die stattlichste der
Welt, hat der Vernichtungsprozeß ergriffen. Die sogenannten Bonanzafarms
— Millionäre in Newyork, London, Frankfurt a. M. sind ihre Besitzer —,
die den Boden der Mittel- und Weststaateu durch kapitalistisch betriebnen
Raubbau ausbeuten, machen dem freien Bauern die Konkurrenz unmöglich,
stürzen ihn in Schuldknechtschaft und drücken ihn zum Pächter herab. In
sozialer Beziehung wirken diese Riesenfarms noch schlimmer als der englische
Großgrundbesitz. Denn dieser gewährt wenigstens seinen Pächtern ein Familien¬
heim; dort aber giebt es keine andern Gebäude als ein Haus für den unver¬
heirateten Aufseher und einen Schlafschnppen für die heimatlosen Arbeiter.

Den furchtbarsten Hammer zur Zertrümmerung des kleinen und mittlern
Besitzes hat sich das Großkapital schließlich in den Trusts und Ringen ge¬
schaffen. Von der Saugkraft dieser Vorrichtungen kann man sich einen Begriff
machen, wem? man vernimmt, daß die Ltmiäg-ra Oil OoiuM^ anfänglich ans
200000 Pfund Stammkapital monatlich 200000 Pfund Dividende gewährte
(also 1200 Prozent), und daß das Kapital durch gntgeschriebne Dividenden
und sonstigen Zuwachs binnen wenigen Jahren auf sechs Millionen Pfund
anschwoll. Unendlich schlimmer als die oben erwähnten Schmarotzer sind diese
Vcunvyre, die den Güterumsatz und die Verteilung des Ertrags der Produk¬
tion in ihre Gewalt gebracht, die unentbehrlichsten Güter: Brot, Fleisch und
Kohle zum Gegenstande des ruchlosesten Spiels gemacht haben. Indem
solchergestalt der Geldgewinn einer kleinen Klasse zum wichtigsten, alle Lebens¬
verhältnisse durchdringenden und beherrschenden Interesse, das goldne Kalb
zum einzigen Gott erhoben worden ist, kann man sagen, daß unser ganzes
heutiges Geschlecht verjudet sei. Zum Schutze dieses Raubsystems hat der
Liberalismus das Ist, alviuz-Prinzip, das laissW tairs ersonnen und hat der
Welt eingeredet, es sei unrecht und unzweckmäßig, wenn der Staat in den
wirtschaftlichen ' Prozeß eingreife. Während aber die Nichteinnüschung den
Kapitalisten freie Hand gelassen hat, ihr Raubsystem aufs schönste und beste
in Ordnung zu bringen, herrscht in der Produktion die reine Anarchie, und
ist aus der sogenannten Gesellschaftsordnung das Gegenteil von Ordnung ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0023" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213137"/>
          <fw type="header" place="top"> Gin amerikanischer Sozialist</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_43" prev="#ID_42"> darin, daß sie den Mann zwingen, sein eignes Weib und seine eignen Kinder<lb/>
zu seinen lohndrückenden Konkurrenten zu machen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_44"> Was zum Preise der Konkurrenz gesagt zu werden Pflegt, ist alles er¬<lb/>
logen. Nur der Wetteifer fordert den Fortschritt; die moderne Konkurrenz<lb/>
über ist kein Wetteifer, sondern Halsabschneiderci, Kannibalismus, Vernichtung<lb/>
des Nächsten zum Zweck eigner Bereicherung. Und wie denn immer ein Übel<lb/>
das andre erzeugt, so hat die Vernichtung der kleinen Unternehmer durch die<lb/>
großen im Konkurrenzkampfe jene zu Parasiten gemacht; als unnütze, die<lb/>
Waren verteuernde oder fälschende Zwischenhändler und Schenkwirte fristen sie<lb/>
ihr Leben auf Kosten der ärmern Konsumenten. Auch schon die Bauernschaft<lb/>
der Vereinigten Staaten, vor wenigen Jahrzehnten noch die stattlichste der<lb/>
Welt, hat der Vernichtungsprozeß ergriffen. Die sogenannten Bonanzafarms<lb/>
&#x2014; Millionäre in Newyork, London, Frankfurt a. M. sind ihre Besitzer &#x2014;,<lb/>
die den Boden der Mittel- und Weststaateu durch kapitalistisch betriebnen<lb/>
Raubbau ausbeuten, machen dem freien Bauern die Konkurrenz unmöglich,<lb/>
stürzen ihn in Schuldknechtschaft und drücken ihn zum Pächter herab. In<lb/>
sozialer Beziehung wirken diese Riesenfarms noch schlimmer als der englische<lb/>
Großgrundbesitz. Denn dieser gewährt wenigstens seinen Pächtern ein Familien¬<lb/>
heim; dort aber giebt es keine andern Gebäude als ein Haus für den unver¬<lb/>
heirateten Aufseher und einen Schlafschnppen für die heimatlosen Arbeiter.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_45" next="#ID_46"> Den furchtbarsten Hammer zur Zertrümmerung des kleinen und mittlern<lb/>
Besitzes hat sich das Großkapital schließlich in den Trusts und Ringen ge¬<lb/>
schaffen. Von der Saugkraft dieser Vorrichtungen kann man sich einen Begriff<lb/>
machen, wem? man vernimmt, daß die Ltmiäg-ra Oil OoiuM^ anfänglich ans<lb/>
200000 Pfund Stammkapital monatlich 200000 Pfund Dividende gewährte<lb/>
(also 1200 Prozent), und daß das Kapital durch gntgeschriebne Dividenden<lb/>
und sonstigen Zuwachs binnen wenigen Jahren auf sechs Millionen Pfund<lb/>
anschwoll. Unendlich schlimmer als die oben erwähnten Schmarotzer sind diese<lb/>
Vcunvyre, die den Güterumsatz und die Verteilung des Ertrags der Produk¬<lb/>
tion in ihre Gewalt gebracht, die unentbehrlichsten Güter: Brot, Fleisch und<lb/>
Kohle zum Gegenstande des ruchlosesten Spiels gemacht haben. Indem<lb/>
solchergestalt der Geldgewinn einer kleinen Klasse zum wichtigsten, alle Lebens¬<lb/>
verhältnisse durchdringenden und beherrschenden Interesse, das goldne Kalb<lb/>
zum einzigen Gott erhoben worden ist, kann man sagen, daß unser ganzes<lb/>
heutiges Geschlecht verjudet sei. Zum Schutze dieses Raubsystems hat der<lb/>
Liberalismus das Ist, alviuz-Prinzip, das laissW tairs ersonnen und hat der<lb/>
Welt eingeredet, es sei unrecht und unzweckmäßig, wenn der Staat in den<lb/>
wirtschaftlichen ' Prozeß eingreife. Während aber die Nichteinnüschung den<lb/>
Kapitalisten freie Hand gelassen hat, ihr Raubsystem aufs schönste und beste<lb/>
in Ordnung zu bringen, herrscht in der Produktion die reine Anarchie, und<lb/>
ist aus der sogenannten Gesellschaftsordnung das Gegenteil von Ordnung ge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0023] Gin amerikanischer Sozialist darin, daß sie den Mann zwingen, sein eignes Weib und seine eignen Kinder zu seinen lohndrückenden Konkurrenten zu machen! Was zum Preise der Konkurrenz gesagt zu werden Pflegt, ist alles er¬ logen. Nur der Wetteifer fordert den Fortschritt; die moderne Konkurrenz über ist kein Wetteifer, sondern Halsabschneiderci, Kannibalismus, Vernichtung des Nächsten zum Zweck eigner Bereicherung. Und wie denn immer ein Übel das andre erzeugt, so hat die Vernichtung der kleinen Unternehmer durch die großen im Konkurrenzkampfe jene zu Parasiten gemacht; als unnütze, die Waren verteuernde oder fälschende Zwischenhändler und Schenkwirte fristen sie ihr Leben auf Kosten der ärmern Konsumenten. Auch schon die Bauernschaft der Vereinigten Staaten, vor wenigen Jahrzehnten noch die stattlichste der Welt, hat der Vernichtungsprozeß ergriffen. Die sogenannten Bonanzafarms — Millionäre in Newyork, London, Frankfurt a. M. sind ihre Besitzer —, die den Boden der Mittel- und Weststaateu durch kapitalistisch betriebnen Raubbau ausbeuten, machen dem freien Bauern die Konkurrenz unmöglich, stürzen ihn in Schuldknechtschaft und drücken ihn zum Pächter herab. In sozialer Beziehung wirken diese Riesenfarms noch schlimmer als der englische Großgrundbesitz. Denn dieser gewährt wenigstens seinen Pächtern ein Familien¬ heim; dort aber giebt es keine andern Gebäude als ein Haus für den unver¬ heirateten Aufseher und einen Schlafschnppen für die heimatlosen Arbeiter. Den furchtbarsten Hammer zur Zertrümmerung des kleinen und mittlern Besitzes hat sich das Großkapital schließlich in den Trusts und Ringen ge¬ schaffen. Von der Saugkraft dieser Vorrichtungen kann man sich einen Begriff machen, wem? man vernimmt, daß die Ltmiäg-ra Oil OoiuM^ anfänglich ans 200000 Pfund Stammkapital monatlich 200000 Pfund Dividende gewährte (also 1200 Prozent), und daß das Kapital durch gntgeschriebne Dividenden und sonstigen Zuwachs binnen wenigen Jahren auf sechs Millionen Pfund anschwoll. Unendlich schlimmer als die oben erwähnten Schmarotzer sind diese Vcunvyre, die den Güterumsatz und die Verteilung des Ertrags der Produk¬ tion in ihre Gewalt gebracht, die unentbehrlichsten Güter: Brot, Fleisch und Kohle zum Gegenstande des ruchlosesten Spiels gemacht haben. Indem solchergestalt der Geldgewinn einer kleinen Klasse zum wichtigsten, alle Lebens¬ verhältnisse durchdringenden und beherrschenden Interesse, das goldne Kalb zum einzigen Gott erhoben worden ist, kann man sagen, daß unser ganzes heutiges Geschlecht verjudet sei. Zum Schutze dieses Raubsystems hat der Liberalismus das Ist, alviuz-Prinzip, das laissW tairs ersonnen und hat der Welt eingeredet, es sei unrecht und unzweckmäßig, wenn der Staat in den wirtschaftlichen ' Prozeß eingreife. Während aber die Nichteinnüschung den Kapitalisten freie Hand gelassen hat, ihr Raubsystem aufs schönste und beste in Ordnung zu bringen, herrscht in der Produktion die reine Anarchie, und ist aus der sogenannten Gesellschaftsordnung das Gegenteil von Ordnung ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/23
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/23>, abgerufen am 23.07.2024.