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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Albrecht von Roon

Wir einen Mann fänden!" Mit schwerster Besorgnis sieht er auf die tiefe
Verstimmung der Truppen. Denn im Heere erblickt er die einzige lebendige
Kraft zum Widerstande gegen die allgemeine Zerstörung. "Das Heer, das ist
jetzt unser Vaterland -- schreibt er wenige Tage später --denn hier allein
sind die unreinen, gährenden Elemente, die alles in Frage stellen, noch nicht
eingedrungen." Und darnach handelt er. Der stramme Offizier taucht in das
Getümmel der Urwählerversammlungen unter, er ißt zu Mittag in gemischter
Gesellschaft, um die Stimmung besser kennen zu lernen, er polemisirt scharf
und schlagfertig, schreibt gelegentlich sogar einen Zeitungsartikel, verfolgt mit
gespannter Aufmerksamkeit die um sich greifende Zerrüttung- in Posen und im
Rhein lande und beklagt doch eins noch tiefer als sie: die Unsicherheit an der
leitenden Stelle, die Neigung zu verhandeln, wo nichts zu verhandeln sei.

Da versetzte ihn die Weisung, in den Generalstab des achten Armeekorps
zu Koblenz einzutreten, und zwar als Nachfolger Moltkes, abermals in ganz
neue Verhältnisse und bald in eine sehr verantwortungsvolle Stellung. Er
fand das Rheinland in großer Aufregung, die Stimmung sehr preußenfeindlich
trotz aller Rücksicht, die dort die Negierung von jeher zu nehmen gewöhnt
war. Doch meinte er in kühler Geringschätzung, da eittschloßner Mut in dem
leichtlebigen Volke nirgends vorhanden sei, so sei keine Gefahr, so lange nur die
Regierung fest bleibe. Aber daran eben fehlte es zu seinem Kummer. Auch von
der Nationalversammlung in Frankfurt versprach er sich wenig Gutes. Erst
ein persönlicher Besuch im August 1848 beruhigte ihn einigermaßen, und daß
der wahnsinnige Pöbelaufstand im September den gemäßigten Parteien des
Parlaments die Oberhand verschaffte und sie zur Annäherung an Preußen
drängte, konnte ihm nur zur Befriedigung gereichen. Wie atmete er dann
auf, als der König endlich im November das kraftlose liberale Ministerium
entließ, den Grafen Brandenburg berief und mit dem Einmärsche der Truppen
in Berlin die Zügel wieder fest in die Hand nahm!

Bald erlebte er, daß dies lange mißachtete Königtum der Hort der öffent¬
lichen Ordnung für ganz Deutschland wurde. In Sachsen, in der Rheinpfalz
und in Baden brach der republikanische Aufruhr los, als die neue Reichs¬
verfassung von den größern Regierungen abgelehnt worden war, und im
Juni 1849 rückte Roon als Generalstabschef des achten Armeekorps von
Koblenz aus unter Führung des Prinzen von Preußen nach Süddeutschland
mit ins Feld. Auf die einzelnen Ereignisse des kurzen Feldzuges, in die Rovns
Briefe aufs lebendigste einführen, brauche ich hier nicht einzugehen. In
wenigen Wochen war alles vorüber, und Roon verlebte im herrlichen Frei¬
burg vereinigt mit den Seinen eine schöne Zeit. Wichtiger war es, daß er
damals zu dem Prinzen von Preußen znerst in ein näheres Verhältnis trat.
In männlicher Offenheit hatte sich Roon schon Ende des Jahres 1848 ge¬
weigert, der militärische Begleiter des Prinzen Friedrich Wilhelm, des künftigen


Albrecht von Roon

Wir einen Mann fänden!" Mit schwerster Besorgnis sieht er auf die tiefe
Verstimmung der Truppen. Denn im Heere erblickt er die einzige lebendige
Kraft zum Widerstande gegen die allgemeine Zerstörung. „Das Heer, das ist
jetzt unser Vaterland — schreibt er wenige Tage später —denn hier allein
sind die unreinen, gährenden Elemente, die alles in Frage stellen, noch nicht
eingedrungen." Und darnach handelt er. Der stramme Offizier taucht in das
Getümmel der Urwählerversammlungen unter, er ißt zu Mittag in gemischter
Gesellschaft, um die Stimmung besser kennen zu lernen, er polemisirt scharf
und schlagfertig, schreibt gelegentlich sogar einen Zeitungsartikel, verfolgt mit
gespannter Aufmerksamkeit die um sich greifende Zerrüttung- in Posen und im
Rhein lande und beklagt doch eins noch tiefer als sie: die Unsicherheit an der
leitenden Stelle, die Neigung zu verhandeln, wo nichts zu verhandeln sei.

Da versetzte ihn die Weisung, in den Generalstab des achten Armeekorps
zu Koblenz einzutreten, und zwar als Nachfolger Moltkes, abermals in ganz
neue Verhältnisse und bald in eine sehr verantwortungsvolle Stellung. Er
fand das Rheinland in großer Aufregung, die Stimmung sehr preußenfeindlich
trotz aller Rücksicht, die dort die Negierung von jeher zu nehmen gewöhnt
war. Doch meinte er in kühler Geringschätzung, da eittschloßner Mut in dem
leichtlebigen Volke nirgends vorhanden sei, so sei keine Gefahr, so lange nur die
Regierung fest bleibe. Aber daran eben fehlte es zu seinem Kummer. Auch von
der Nationalversammlung in Frankfurt versprach er sich wenig Gutes. Erst
ein persönlicher Besuch im August 1848 beruhigte ihn einigermaßen, und daß
der wahnsinnige Pöbelaufstand im September den gemäßigten Parteien des
Parlaments die Oberhand verschaffte und sie zur Annäherung an Preußen
drängte, konnte ihm nur zur Befriedigung gereichen. Wie atmete er dann
auf, als der König endlich im November das kraftlose liberale Ministerium
entließ, den Grafen Brandenburg berief und mit dem Einmärsche der Truppen
in Berlin die Zügel wieder fest in die Hand nahm!

Bald erlebte er, daß dies lange mißachtete Königtum der Hort der öffent¬
lichen Ordnung für ganz Deutschland wurde. In Sachsen, in der Rheinpfalz
und in Baden brach der republikanische Aufruhr los, als die neue Reichs¬
verfassung von den größern Regierungen abgelehnt worden war, und im
Juni 1849 rückte Roon als Generalstabschef des achten Armeekorps von
Koblenz aus unter Führung des Prinzen von Preußen nach Süddeutschland
mit ins Feld. Auf die einzelnen Ereignisse des kurzen Feldzuges, in die Rovns
Briefe aufs lebendigste einführen, brauche ich hier nicht einzugehen. In
wenigen Wochen war alles vorüber, und Roon verlebte im herrlichen Frei¬
burg vereinigt mit den Seinen eine schöne Zeit. Wichtiger war es, daß er
damals zu dem Prinzen von Preußen znerst in ein näheres Verhältnis trat.
In männlicher Offenheit hatte sich Roon schon Ende des Jahres 1848 ge¬
weigert, der militärische Begleiter des Prinzen Friedrich Wilhelm, des künftigen


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[0227] Albrecht von Roon Wir einen Mann fänden!" Mit schwerster Besorgnis sieht er auf die tiefe Verstimmung der Truppen. Denn im Heere erblickt er die einzige lebendige Kraft zum Widerstande gegen die allgemeine Zerstörung. „Das Heer, das ist jetzt unser Vaterland — schreibt er wenige Tage später —denn hier allein sind die unreinen, gährenden Elemente, die alles in Frage stellen, noch nicht eingedrungen." Und darnach handelt er. Der stramme Offizier taucht in das Getümmel der Urwählerversammlungen unter, er ißt zu Mittag in gemischter Gesellschaft, um die Stimmung besser kennen zu lernen, er polemisirt scharf und schlagfertig, schreibt gelegentlich sogar einen Zeitungsartikel, verfolgt mit gespannter Aufmerksamkeit die um sich greifende Zerrüttung- in Posen und im Rhein lande und beklagt doch eins noch tiefer als sie: die Unsicherheit an der leitenden Stelle, die Neigung zu verhandeln, wo nichts zu verhandeln sei. Da versetzte ihn die Weisung, in den Generalstab des achten Armeekorps zu Koblenz einzutreten, und zwar als Nachfolger Moltkes, abermals in ganz neue Verhältnisse und bald in eine sehr verantwortungsvolle Stellung. Er fand das Rheinland in großer Aufregung, die Stimmung sehr preußenfeindlich trotz aller Rücksicht, die dort die Negierung von jeher zu nehmen gewöhnt war. Doch meinte er in kühler Geringschätzung, da eittschloßner Mut in dem leichtlebigen Volke nirgends vorhanden sei, so sei keine Gefahr, so lange nur die Regierung fest bleibe. Aber daran eben fehlte es zu seinem Kummer. Auch von der Nationalversammlung in Frankfurt versprach er sich wenig Gutes. Erst ein persönlicher Besuch im August 1848 beruhigte ihn einigermaßen, und daß der wahnsinnige Pöbelaufstand im September den gemäßigten Parteien des Parlaments die Oberhand verschaffte und sie zur Annäherung an Preußen drängte, konnte ihm nur zur Befriedigung gereichen. Wie atmete er dann auf, als der König endlich im November das kraftlose liberale Ministerium entließ, den Grafen Brandenburg berief und mit dem Einmärsche der Truppen in Berlin die Zügel wieder fest in die Hand nahm! Bald erlebte er, daß dies lange mißachtete Königtum der Hort der öffent¬ lichen Ordnung für ganz Deutschland wurde. In Sachsen, in der Rheinpfalz und in Baden brach der republikanische Aufruhr los, als die neue Reichs¬ verfassung von den größern Regierungen abgelehnt worden war, und im Juni 1849 rückte Roon als Generalstabschef des achten Armeekorps von Koblenz aus unter Führung des Prinzen von Preußen nach Süddeutschland mit ins Feld. Auf die einzelnen Ereignisse des kurzen Feldzuges, in die Rovns Briefe aufs lebendigste einführen, brauche ich hier nicht einzugehen. In wenigen Wochen war alles vorüber, und Roon verlebte im herrlichen Frei¬ burg vereinigt mit den Seinen eine schöne Zeit. Wichtiger war es, daß er damals zu dem Prinzen von Preußen znerst in ein näheres Verhältnis trat. In männlicher Offenheit hatte sich Roon schon Ende des Jahres 1848 ge¬ weigert, der militärische Begleiter des Prinzen Friedrich Wilhelm, des künftigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/227>, abgerufen am 23.07.2024.