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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Ein amerikanischer Sozialist

zu wenig beiträgt. Nur aus diesem Grunde sind verschwenderische Gewohn¬
heiten^ wenn sie größere Kreise ergreifen, volkswirtschaftlich bedenklich, weil
die Genußsucht oft -- keineswegs immer -- die Arbeitslust schwächt, weil
also Genußsucht möglicherweise die Produktion vermindern kann.

Kehren wir nun von dieser Abschweifung zu Grvnlund zurück. Kleine
Vermögen, das gesteht er zu, werden durch die eben beschriebne Art des
Sparens hie und da gebildet, große niemals; um drei Millionen Mark zu
"sparen," müßte ein gut bezahlter Arbeiter 3000 Jahre lang darben. Große
Vermögen werden nur durch den Raub am Arbeitsertrag andrer aufgesammelt,
wozu dann noch andre Kunstgriffe kommen, die der kapitalistische Wirtschafts¬
betrieb ausbildet. Indem dieser verdeckte Raub allgemein für sittlich erlaubt
gehalten wird, ist damit auch dem Kapitalzins das Brandmal abgewischt, das
ihm früher anhaftete. Ehedem liehen nur solche Personen Geld, die in Not
waren, und aus der Not des andern Vorteil ziehen ist ein so offenbares Un¬
recht, daß es von der öffentlichen Meinung stets als Wucher verabscheut wird.
Heute leiht der Fabrikant Geld für sein Unternehmen, d. h. sür sein verdecktes
Raubshstem, daher gilt das Zinsnehmen allgemein für erlaubt. In Wirk¬
lichkeit ist aber der Zinsnehmer weiter nichts als des Räubers stiller Kom¬
pagnon, und auch der Arbeiter, der sich ein Sparkassenbuch erwirbt, ist ein
kleiner Räuber. Die vielgepriesene Harmonie zwischen Kapital und Arbeit
gleicht der Harmonie zwischen Braten und hungrigen Magen; beide Paare
stimmen ganz vortrefflich zusammen, wenn der Hungrige der Besitzer des
Bratens, und wenn der Arbeiter Eigentümer des Kapitals ist; leider fügt es sich
aber gewöhnlich so, daß der eine den Hunger und der andre den Braten hat.
Wie dann dieser Zustand noch dnrch das Maschinenwesen verschärft worden
ist, schildert Grvnlnnd in der herkömmlichen Weise. Der heutige Lohnarbeiter
befindet sich häufig in einer nicht weniger hilflosen Lage und entbehrt in
demselben Grade alle Annehmlichkeiten des Lebens wie der Wilde, dabei ist
er noch der Freiheit des Wilden beraubt. Im Mittelalter genügte die vier¬
tägige Arbeit des Mannes, die Familie auf eine ganze Woche mit allem
Nötigen zu versorgen. Im fünfzehnten Jahrhundert galten in England acht,
im siebzehnten zehn Stunden als tägliche Normalarbeitszeit. Heute muß der
pennsylvanische Grubenarbeiter sein Weib und seine zehnjährigen Kinder in
die Grube schicken, damit die Familie leben kann, und die Arbeitszeit dauert
zwölf und mehr Stunden. "Wie könnten unsre stumpfblickenden (ox-s^sa),
gedrillten Arbeiter unter der Herrschaft einer vom Brodherrn auferlegten
Fabrikordnung, die ihnen das Reden, das Lachen verbietet, auch nur einen
Augenblick daran denken, sich mit den fröhlichen Meistern und Gesellen des
verachteten Mittelalters zu vergleichen!" Darum begrüßt ein berechtigter
Wutschrei jede neu ausgeheckte Maschine; sind die Maschinen doch in mehr
als einem Sinne Folterwerkzeuge, und besteht doch ihre furchtbarste Wirkung


Ein amerikanischer Sozialist

zu wenig beiträgt. Nur aus diesem Grunde sind verschwenderische Gewohn¬
heiten^ wenn sie größere Kreise ergreifen, volkswirtschaftlich bedenklich, weil
die Genußsucht oft — keineswegs immer — die Arbeitslust schwächt, weil
also Genußsucht möglicherweise die Produktion vermindern kann.

Kehren wir nun von dieser Abschweifung zu Grvnlund zurück. Kleine
Vermögen, das gesteht er zu, werden durch die eben beschriebne Art des
Sparens hie und da gebildet, große niemals; um drei Millionen Mark zu
„sparen," müßte ein gut bezahlter Arbeiter 3000 Jahre lang darben. Große
Vermögen werden nur durch den Raub am Arbeitsertrag andrer aufgesammelt,
wozu dann noch andre Kunstgriffe kommen, die der kapitalistische Wirtschafts¬
betrieb ausbildet. Indem dieser verdeckte Raub allgemein für sittlich erlaubt
gehalten wird, ist damit auch dem Kapitalzins das Brandmal abgewischt, das
ihm früher anhaftete. Ehedem liehen nur solche Personen Geld, die in Not
waren, und aus der Not des andern Vorteil ziehen ist ein so offenbares Un¬
recht, daß es von der öffentlichen Meinung stets als Wucher verabscheut wird.
Heute leiht der Fabrikant Geld für sein Unternehmen, d. h. sür sein verdecktes
Raubshstem, daher gilt das Zinsnehmen allgemein für erlaubt. In Wirk¬
lichkeit ist aber der Zinsnehmer weiter nichts als des Räubers stiller Kom¬
pagnon, und auch der Arbeiter, der sich ein Sparkassenbuch erwirbt, ist ein
kleiner Räuber. Die vielgepriesene Harmonie zwischen Kapital und Arbeit
gleicht der Harmonie zwischen Braten und hungrigen Magen; beide Paare
stimmen ganz vortrefflich zusammen, wenn der Hungrige der Besitzer des
Bratens, und wenn der Arbeiter Eigentümer des Kapitals ist; leider fügt es sich
aber gewöhnlich so, daß der eine den Hunger und der andre den Braten hat.
Wie dann dieser Zustand noch dnrch das Maschinenwesen verschärft worden
ist, schildert Grvnlnnd in der herkömmlichen Weise. Der heutige Lohnarbeiter
befindet sich häufig in einer nicht weniger hilflosen Lage und entbehrt in
demselben Grade alle Annehmlichkeiten des Lebens wie der Wilde, dabei ist
er noch der Freiheit des Wilden beraubt. Im Mittelalter genügte die vier¬
tägige Arbeit des Mannes, die Familie auf eine ganze Woche mit allem
Nötigen zu versorgen. Im fünfzehnten Jahrhundert galten in England acht,
im siebzehnten zehn Stunden als tägliche Normalarbeitszeit. Heute muß der
pennsylvanische Grubenarbeiter sein Weib und seine zehnjährigen Kinder in
die Grube schicken, damit die Familie leben kann, und die Arbeitszeit dauert
zwölf und mehr Stunden. „Wie könnten unsre stumpfblickenden (ox-s^sa),
gedrillten Arbeiter unter der Herrschaft einer vom Brodherrn auferlegten
Fabrikordnung, die ihnen das Reden, das Lachen verbietet, auch nur einen
Augenblick daran denken, sich mit den fröhlichen Meistern und Gesellen des
verachteten Mittelalters zu vergleichen!" Darum begrüßt ein berechtigter
Wutschrei jede neu ausgeheckte Maschine; sind die Maschinen doch in mehr
als einem Sinne Folterwerkzeuge, und besteht doch ihre furchtbarste Wirkung


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[0022] Ein amerikanischer Sozialist zu wenig beiträgt. Nur aus diesem Grunde sind verschwenderische Gewohn¬ heiten^ wenn sie größere Kreise ergreifen, volkswirtschaftlich bedenklich, weil die Genußsucht oft — keineswegs immer — die Arbeitslust schwächt, weil also Genußsucht möglicherweise die Produktion vermindern kann. Kehren wir nun von dieser Abschweifung zu Grvnlund zurück. Kleine Vermögen, das gesteht er zu, werden durch die eben beschriebne Art des Sparens hie und da gebildet, große niemals; um drei Millionen Mark zu „sparen," müßte ein gut bezahlter Arbeiter 3000 Jahre lang darben. Große Vermögen werden nur durch den Raub am Arbeitsertrag andrer aufgesammelt, wozu dann noch andre Kunstgriffe kommen, die der kapitalistische Wirtschafts¬ betrieb ausbildet. Indem dieser verdeckte Raub allgemein für sittlich erlaubt gehalten wird, ist damit auch dem Kapitalzins das Brandmal abgewischt, das ihm früher anhaftete. Ehedem liehen nur solche Personen Geld, die in Not waren, und aus der Not des andern Vorteil ziehen ist ein so offenbares Un¬ recht, daß es von der öffentlichen Meinung stets als Wucher verabscheut wird. Heute leiht der Fabrikant Geld für sein Unternehmen, d. h. sür sein verdecktes Raubshstem, daher gilt das Zinsnehmen allgemein für erlaubt. In Wirk¬ lichkeit ist aber der Zinsnehmer weiter nichts als des Räubers stiller Kom¬ pagnon, und auch der Arbeiter, der sich ein Sparkassenbuch erwirbt, ist ein kleiner Räuber. Die vielgepriesene Harmonie zwischen Kapital und Arbeit gleicht der Harmonie zwischen Braten und hungrigen Magen; beide Paare stimmen ganz vortrefflich zusammen, wenn der Hungrige der Besitzer des Bratens, und wenn der Arbeiter Eigentümer des Kapitals ist; leider fügt es sich aber gewöhnlich so, daß der eine den Hunger und der andre den Braten hat. Wie dann dieser Zustand noch dnrch das Maschinenwesen verschärft worden ist, schildert Grvnlnnd in der herkömmlichen Weise. Der heutige Lohnarbeiter befindet sich häufig in einer nicht weniger hilflosen Lage und entbehrt in demselben Grade alle Annehmlichkeiten des Lebens wie der Wilde, dabei ist er noch der Freiheit des Wilden beraubt. Im Mittelalter genügte die vier¬ tägige Arbeit des Mannes, die Familie auf eine ganze Woche mit allem Nötigen zu versorgen. Im fünfzehnten Jahrhundert galten in England acht, im siebzehnten zehn Stunden als tägliche Normalarbeitszeit. Heute muß der pennsylvanische Grubenarbeiter sein Weib und seine zehnjährigen Kinder in die Grube schicken, damit die Familie leben kann, und die Arbeitszeit dauert zwölf und mehr Stunden. „Wie könnten unsre stumpfblickenden (ox-s^sa), gedrillten Arbeiter unter der Herrschaft einer vom Brodherrn auferlegten Fabrikordnung, die ihnen das Reden, das Lachen verbietet, auch nur einen Augenblick daran denken, sich mit den fröhlichen Meistern und Gesellen des verachteten Mittelalters zu vergleichen!" Darum begrüßt ein berechtigter Wutschrei jede neu ausgeheckte Maschine; sind die Maschinen doch in mehr als einem Sinne Folterwerkzeuge, und besteht doch ihre furchtbarste Wirkung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/22>, abgerufen am 22.12.2024.