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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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hüt Gelegenheit gehabt, Museen und Ausstellungen zu besichtigen, und hat
sogar vielleicht Gesellschaften von Schwarzen oder Braunen, die von Unter-
nehmern nach Europa gebracht wurden, begafft und angestaunt. Man würde
sich irren, wenn man glaubte, daß dergleichen auf die große Masse keinen
besondern Einfluß hätte. Vorstellungen und Anschauungen, Kenntnisse und
Wissen regen die Phantasie an und rufen eine eifrige Teilnahme hervor, die
unter Umstünden zu Opfern bereit ist. In diesem Sinne macht sich sogar
das Berliner Tageblatt um die deutsche Kolonialpolitik verdient, indem es sich
seinen eignen afrikanischen Berichterstatter hält, der ihm fesselnde "Original¬
berichte" schreiben muß; er unternimmt gegenwärtig eine Reise nach Uganda
und folgt damit errötend und etwas spät den Spuren Stanleys, seines großen
.Kollege" in der Journalistik. Niemand wird bestreiten, daß Stanleys Züge
für die Erschließung Afrikas von der allergrößten, von entscheidender Be¬
deutung gewesen sind, warum sollten nicht auch die kleineren Reisen Engen
Wolfs von einigem Wert sein? Selbst die "Feinde" der Kolonialpolitik
wünschen ihr zuweilen nur das Böse, schaffen aber das Gute. Zu der Vor¬
liebe für die Erdkunde, die für die kosmopolitisch angelegten Deutschen von
jeher ein Steckenpferd gewesen ist, gesellt sich nun schon, wie in England, die
Einwirkung unsrer Kolonialgeschichte. Es sind allerdings wenige deutsche
Blätter im Vergleich zu der laugen Reihe von Bänden, aus deuen die glän¬
zende Geschichte der englischen Kolonien besteht, aber immerhin enthalten diese
Blätter Ereignisse und Namen, die jedem wohlbekannt sind, an die er fast
als an Selbstmiterlebtes zurückdenkt, und die einen unauslöschlichen Eindruck
in ihm hinterlassen haben. Es ist also eine kleine, es ist eine kurze, aber
es ist doch eine Vergangenheit, die wie jede vergangne Geschichte auf die
Gegenwart und Zukunft fortwirkt. Da diese Vergangenheit nicht weit zurück¬
liegt, knüpft sich an ihre Trüger, ihre Helden ein desto lebhafteres persönliches,
biographisches Interesse. Wir kennen ihre Namen, Charaktere, Ansichten,
Schicksale, wir haben tausendmal ihre Gesichtszüge im Bilde betrachtet, wir
sind vielleicht sogar in eine gewisse nähere Beziehung zu ihnen getreten, indem
wir sie gelegentlich mit eignen Augen sehen oder sie reden hören konnten oder
die Berichte von Augenzeugen über ihr Thun und Wesen vernahmen. Auf
die Unternehmungen zur Rettung, Befreiung oder richtiger Aufsuchung Emius
waren die Augen der ganzen gebildeten Welt mit der eifrigsten Spannung
gerichtet. Während sich unsre Jugend einst nur an den Beschreibungen der
Thaten, die die Gründer der Kolonien andrer Nationen ausgeführt haben,
belehren, erfrischen und anfeuern konnte, während sie früher aus englischen
und französischen Büchern und ihren Übersetzungen etwa das Leben von Lord
Clive oder von Warren Hastings kennen lernte, denen sie keine deutscheu Lebens¬
bilder an die Seite zu stellen hatte, steht ihr jetzt eine reiche Jugendlitteratur
zur Verfügung, aus der sie ihr Wissen über Afrika und seine modernen, in


hüt Gelegenheit gehabt, Museen und Ausstellungen zu besichtigen, und hat
sogar vielleicht Gesellschaften von Schwarzen oder Braunen, die von Unter-
nehmern nach Europa gebracht wurden, begafft und angestaunt. Man würde
sich irren, wenn man glaubte, daß dergleichen auf die große Masse keinen
besondern Einfluß hätte. Vorstellungen und Anschauungen, Kenntnisse und
Wissen regen die Phantasie an und rufen eine eifrige Teilnahme hervor, die
unter Umstünden zu Opfern bereit ist. In diesem Sinne macht sich sogar
das Berliner Tageblatt um die deutsche Kolonialpolitik verdient, indem es sich
seinen eignen afrikanischen Berichterstatter hält, der ihm fesselnde „Original¬
berichte" schreiben muß; er unternimmt gegenwärtig eine Reise nach Uganda
und folgt damit errötend und etwas spät den Spuren Stanleys, seines großen
.Kollege» in der Journalistik. Niemand wird bestreiten, daß Stanleys Züge
für die Erschließung Afrikas von der allergrößten, von entscheidender Be¬
deutung gewesen sind, warum sollten nicht auch die kleineren Reisen Engen
Wolfs von einigem Wert sein? Selbst die „Feinde" der Kolonialpolitik
wünschen ihr zuweilen nur das Böse, schaffen aber das Gute. Zu der Vor¬
liebe für die Erdkunde, die für die kosmopolitisch angelegten Deutschen von
jeher ein Steckenpferd gewesen ist, gesellt sich nun schon, wie in England, die
Einwirkung unsrer Kolonialgeschichte. Es sind allerdings wenige deutsche
Blätter im Vergleich zu der laugen Reihe von Bänden, aus deuen die glän¬
zende Geschichte der englischen Kolonien besteht, aber immerhin enthalten diese
Blätter Ereignisse und Namen, die jedem wohlbekannt sind, an die er fast
als an Selbstmiterlebtes zurückdenkt, und die einen unauslöschlichen Eindruck
in ihm hinterlassen haben. Es ist also eine kleine, es ist eine kurze, aber
es ist doch eine Vergangenheit, die wie jede vergangne Geschichte auf die
Gegenwart und Zukunft fortwirkt. Da diese Vergangenheit nicht weit zurück¬
liegt, knüpft sich an ihre Trüger, ihre Helden ein desto lebhafteres persönliches,
biographisches Interesse. Wir kennen ihre Namen, Charaktere, Ansichten,
Schicksale, wir haben tausendmal ihre Gesichtszüge im Bilde betrachtet, wir
sind vielleicht sogar in eine gewisse nähere Beziehung zu ihnen getreten, indem
wir sie gelegentlich mit eignen Augen sehen oder sie reden hören konnten oder
die Berichte von Augenzeugen über ihr Thun und Wesen vernahmen. Auf
die Unternehmungen zur Rettung, Befreiung oder richtiger Aufsuchung Emius
waren die Augen der ganzen gebildeten Welt mit der eifrigsten Spannung
gerichtet. Während sich unsre Jugend einst nur an den Beschreibungen der
Thaten, die die Gründer der Kolonien andrer Nationen ausgeführt haben,
belehren, erfrischen und anfeuern konnte, während sie früher aus englischen
und französischen Büchern und ihren Übersetzungen etwa das Leben von Lord
Clive oder von Warren Hastings kennen lernte, denen sie keine deutscheu Lebens¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/212>, abgerufen am 23.07.2024.