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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Äußerungen, wie behält er sich stets den Rückweg und alle möglichen Wege
vor! Die öffentliche Meinung hat sich unzweideutig gegen die Räumung aus¬
gesprochen, sie laßt sich nicht vor den Kopf stoßen und beiseite schieben,
und schon die bloße Andeutung der Möglichkeit, Uganda doch zu opfern, trotz
allem, was die Briten von ihm erwartet und was sie an Kapital hineingesteckt
haben, und trotz allem, was sie an Hoffnungen, Wünschen und Erinnerungen
mit dem Lande verknüpft, diese Andeutung genügt, selbst dem eine Zeit lang
so geschmähten und geächteten Stanley wieder zu Ansehn, Zuhörern und An¬
betern zu verhelfen.

So wenig wie die englische, wird es gelingen, die deutsche öffentliche
Meinung einzuschläfern, sodaß sie alles, Kolonialpolitik und Kolonien, Afrika
und Samoa wieder vergäße. Ein allmählicher Abbruch dieser Beziehungen
und el>? langsames Aufgeben der Kvloniallaudschaften ist heute nicht mehr so
leicht möglich wie in frühern Zeiten. Was anfangs nur verletzte Empfind¬
lichkeit, leise Verstimmung und stummer Vorwurf ist, wird, wenn die Absicht
gemerkt wird, laute Entrüstung; das würde sich zum Beispiel in dem Falle
zeigen, wenn die englische Regierung ernsthaft, was allerdings durchaus nicht
anzunehmen ist, auf einem gänzlichen Rückzug bestünde. Die öffentliche Mei¬
nung der Neuzeit ist eher einem energischen und offensiven Auftreten, dem sie
die Kraft anmerkt, als einer übertriebnen Vorsicht, die sie als Schwäche und
Unfähigkeit auslegt, zugethan.

Man schlägt gewöhnlich ein Interesse des Publikums, das bei den
Kolonien in Frage kommt, viel zu gering an, obwohl es eine wichtige Rolle
spielt. Wir "stehen im Zeichen des Weltverkehrs," das heißt nicht bloß, daß
wir über die Ozeane mit den fernen und fernsten Ländern im Verkehr stehen,
sondern es heißt auch, daß wir uns für das Wesen und die Eigentümlichkeiten
der fremden Länder und für die Schicksale ihrer Bewohner, selbst wenn der
einzelne nie die Länder selbst zu sehen bekommt und nie mit ihren Be¬
wohnern in Berührung kommt, weit mehr interessiren, als unsre Vorfahren
gethan haben. Es war leicht gesagt: Was geht uns der arabische Sklaven¬
handel und was geht uns die afrikanische Sklaverei an? haben wir nicht
genug vor unsrer eignen Thür zu kehren? Thatsächlich geht uns mehr oder
weniger schon alle Welt etwas an, Amerika geht uns etwas an, China
kann uns nicht gleichgiltig sein mit seinen Millionen von Einwohnern, und
auch Afrika geht uns recht viel an. Das Interesse der öffentlichen Meinung
ist zum großen Teil ein geographisch-historisches. Die Erdkunde und die Ge¬
schichte, Wissenschaften, die begründet und hoch entwickelt zu haben ein haupt¬
sächliches Verdienst unsers Jahrhunderts ist, sind durch den Unterricht und
die Lektüre auch dem letzten aus der Volksschule abgegangnen bis zu einem
gewissen Grade anziehend und vertraut gemacht. Jeder hat Bücher und Auf¬
sätze über die fremden Weltteile gelesen, immer neue Abbildungen gesehen,


Äußerungen, wie behält er sich stets den Rückweg und alle möglichen Wege
vor! Die öffentliche Meinung hat sich unzweideutig gegen die Räumung aus¬
gesprochen, sie laßt sich nicht vor den Kopf stoßen und beiseite schieben,
und schon die bloße Andeutung der Möglichkeit, Uganda doch zu opfern, trotz
allem, was die Briten von ihm erwartet und was sie an Kapital hineingesteckt
haben, und trotz allem, was sie an Hoffnungen, Wünschen und Erinnerungen
mit dem Lande verknüpft, diese Andeutung genügt, selbst dem eine Zeit lang
so geschmähten und geächteten Stanley wieder zu Ansehn, Zuhörern und An¬
betern zu verhelfen.

So wenig wie die englische, wird es gelingen, die deutsche öffentliche
Meinung einzuschläfern, sodaß sie alles, Kolonialpolitik und Kolonien, Afrika
und Samoa wieder vergäße. Ein allmählicher Abbruch dieser Beziehungen
und el>? langsames Aufgeben der Kvloniallaudschaften ist heute nicht mehr so
leicht möglich wie in frühern Zeiten. Was anfangs nur verletzte Empfind¬
lichkeit, leise Verstimmung und stummer Vorwurf ist, wird, wenn die Absicht
gemerkt wird, laute Entrüstung; das würde sich zum Beispiel in dem Falle
zeigen, wenn die englische Regierung ernsthaft, was allerdings durchaus nicht
anzunehmen ist, auf einem gänzlichen Rückzug bestünde. Die öffentliche Mei¬
nung der Neuzeit ist eher einem energischen und offensiven Auftreten, dem sie
die Kraft anmerkt, als einer übertriebnen Vorsicht, die sie als Schwäche und
Unfähigkeit auslegt, zugethan.

Man schlägt gewöhnlich ein Interesse des Publikums, das bei den
Kolonien in Frage kommt, viel zu gering an, obwohl es eine wichtige Rolle
spielt. Wir „stehen im Zeichen des Weltverkehrs," das heißt nicht bloß, daß
wir über die Ozeane mit den fernen und fernsten Ländern im Verkehr stehen,
sondern es heißt auch, daß wir uns für das Wesen und die Eigentümlichkeiten
der fremden Länder und für die Schicksale ihrer Bewohner, selbst wenn der
einzelne nie die Länder selbst zu sehen bekommt und nie mit ihren Be¬
wohnern in Berührung kommt, weit mehr interessiren, als unsre Vorfahren
gethan haben. Es war leicht gesagt: Was geht uns der arabische Sklaven¬
handel und was geht uns die afrikanische Sklaverei an? haben wir nicht
genug vor unsrer eignen Thür zu kehren? Thatsächlich geht uns mehr oder
weniger schon alle Welt etwas an, Amerika geht uns etwas an, China
kann uns nicht gleichgiltig sein mit seinen Millionen von Einwohnern, und
auch Afrika geht uns recht viel an. Das Interesse der öffentlichen Meinung
ist zum großen Teil ein geographisch-historisches. Die Erdkunde und die Ge¬
schichte, Wissenschaften, die begründet und hoch entwickelt zu haben ein haupt¬
sächliches Verdienst unsers Jahrhunderts ist, sind durch den Unterricht und
die Lektüre auch dem letzten aus der Volksschule abgegangnen bis zu einem
gewissen Grade anziehend und vertraut gemacht. Jeder hat Bücher und Auf¬
sätze über die fremden Weltteile gelesen, immer neue Abbildungen gesehen,


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[0211] Äußerungen, wie behält er sich stets den Rückweg und alle möglichen Wege vor! Die öffentliche Meinung hat sich unzweideutig gegen die Räumung aus¬ gesprochen, sie laßt sich nicht vor den Kopf stoßen und beiseite schieben, und schon die bloße Andeutung der Möglichkeit, Uganda doch zu opfern, trotz allem, was die Briten von ihm erwartet und was sie an Kapital hineingesteckt haben, und trotz allem, was sie an Hoffnungen, Wünschen und Erinnerungen mit dem Lande verknüpft, diese Andeutung genügt, selbst dem eine Zeit lang so geschmähten und geächteten Stanley wieder zu Ansehn, Zuhörern und An¬ betern zu verhelfen. So wenig wie die englische, wird es gelingen, die deutsche öffentliche Meinung einzuschläfern, sodaß sie alles, Kolonialpolitik und Kolonien, Afrika und Samoa wieder vergäße. Ein allmählicher Abbruch dieser Beziehungen und el>? langsames Aufgeben der Kvloniallaudschaften ist heute nicht mehr so leicht möglich wie in frühern Zeiten. Was anfangs nur verletzte Empfind¬ lichkeit, leise Verstimmung und stummer Vorwurf ist, wird, wenn die Absicht gemerkt wird, laute Entrüstung; das würde sich zum Beispiel in dem Falle zeigen, wenn die englische Regierung ernsthaft, was allerdings durchaus nicht anzunehmen ist, auf einem gänzlichen Rückzug bestünde. Die öffentliche Mei¬ nung der Neuzeit ist eher einem energischen und offensiven Auftreten, dem sie die Kraft anmerkt, als einer übertriebnen Vorsicht, die sie als Schwäche und Unfähigkeit auslegt, zugethan. Man schlägt gewöhnlich ein Interesse des Publikums, das bei den Kolonien in Frage kommt, viel zu gering an, obwohl es eine wichtige Rolle spielt. Wir „stehen im Zeichen des Weltverkehrs," das heißt nicht bloß, daß wir über die Ozeane mit den fernen und fernsten Ländern im Verkehr stehen, sondern es heißt auch, daß wir uns für das Wesen und die Eigentümlichkeiten der fremden Länder und für die Schicksale ihrer Bewohner, selbst wenn der einzelne nie die Länder selbst zu sehen bekommt und nie mit ihren Be¬ wohnern in Berührung kommt, weit mehr interessiren, als unsre Vorfahren gethan haben. Es war leicht gesagt: Was geht uns der arabische Sklaven¬ handel und was geht uns die afrikanische Sklaverei an? haben wir nicht genug vor unsrer eignen Thür zu kehren? Thatsächlich geht uns mehr oder weniger schon alle Welt etwas an, Amerika geht uns etwas an, China kann uns nicht gleichgiltig sein mit seinen Millionen von Einwohnern, und auch Afrika geht uns recht viel an. Das Interesse der öffentlichen Meinung ist zum großen Teil ein geographisch-historisches. Die Erdkunde und die Ge¬ schichte, Wissenschaften, die begründet und hoch entwickelt zu haben ein haupt¬ sächliches Verdienst unsers Jahrhunderts ist, sind durch den Unterricht und die Lektüre auch dem letzten aus der Volksschule abgegangnen bis zu einem gewissen Grade anziehend und vertraut gemacht. Jeder hat Bücher und Auf¬ sätze über die fremden Weltteile gelesen, immer neue Abbildungen gesehen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/211>, abgerufen am 23.07.2024.