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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Die deutsche Aolonialpolitik und die öffentliche Meinung

nehmen wird, wie lang der eingeschlagene Weg sein wird, und wie schnell
oder langsam wir auf ihm vorrücken werden.

Die Gunst der öffentlichen Meinung ist nach wie vor den Kolonien zu¬
gewandt. Auch wäre das Gegenteil geradezu unmöglich, weil sich in dieser
Gunst ein innerer Trieb mit Allgewalt äußert, der sich nicht leicht verschüch¬
tern und zurückdrängen läßt. Ebenso haben wir es mit keiner vorübergehenden
und oberflächlichen, mit keiner dilettantischen Liebhaberei zu thun, sondern mit
einer tiefgehenden, dauernden, im Verstand und im Gemüt wurzelnden Nei¬
gung. Die Gegner der Kolonialpolitik und die, die es nur zu sein glauben,
eS aber nicht wirklich sind, täuschen sich über die Stärke des Antriebes, dem
die öffentliche Meinung folgt, ebenso wie sich die Gegner der Reichseinheit,
sowohl die unversöhnlichen als die mehr scheinbaren, über die Unwiderstehlich¬
keit des Einheitsstrebens täuschten. Wer wäre jetzt noch von dem Wahn ein¬
genommen, daß die Entwicklung zum einheitlichen Ausbau eines deutschen
Reichs rückgängig gemacht werden, daß Deutschland wieder in getrennte und
einander gleichgiltige oder widerwärtige Teilstaaten auseinander gerissen werden
könnte? Der Reichsgedanke hat immer mehr durchgegriffen, hat sich gefestigt
und die partikularistischen Stimmen zum Schweigen oder Leisereden genötigt.
Niemand, selbst nicht die am weitesten nach links stehende Partei, wünscht den
frühern Zustand der Dinge, der veraltet ist und bleibt, zurück, niemand er¬
klärt sich offen gegen jede reichseinheitliche Zusammenfassung, wenn er auch
noch so unzufrieden mit der dem Ganzen gegebnen Form sein sollte. Es will
keiner mehr recht daran glauben, daß das Reich, der Koloß auf schwachen
"thönernen Füßen" ruhe. Und doch ist die Einheit nicht von unten, aus dein
Volke geschaffen worden, der Anstoß kam von oben, Regent und Minister
wurden die Baumeister des deutschen Reiches, glückliche Kriege lieferten den
Mörtel zu dem Bau. Trotz dieses Ursprungs, den die öffentliche Meinung
früher nicht erwartet hatte, ist die Einheit zu einer unwidersprochen, nunmehr
durch langjährigen Bestand geweihten und durch den geschichtlichen Fortgang
gewohnten Thatsache geworden. Die, die aus dem persönlichen Eingreifen des
Kaisers und des Kanzlers auf die Schwäche der Grundlage geschlossen hatten,
hatten sich gründlich geirrt.

Ähnlich verhält es sich mit der Gewinnung von überseeischen Reichs¬
gebieten: sie war die notwendige Folge der endlich errungnen Einigung, sowie
des großartige" Aufschwunges der Industrie und des Handels im neuen Reiche.
Hieraus ging ein Streben nach außen und in die Weite hervor, das außer¬
dem von dem den Deutschen innewohnenden Wärter- und Weiderich genährt
und unterstützt wurde. Es ist verfehlt, auf den äußern Ursprung der deutschen
Kolonialpolitik zu verweisen, um sie als etwas zufälliges und nebensächliches
hinzustellen. Wenn auch einzelne Personen die ersten Schritte thaten und frei¬
willig auf einige von den wenigen herrenlosen Landstrichen, die es noch auf


Die deutsche Aolonialpolitik und die öffentliche Meinung

nehmen wird, wie lang der eingeschlagene Weg sein wird, und wie schnell
oder langsam wir auf ihm vorrücken werden.

Die Gunst der öffentlichen Meinung ist nach wie vor den Kolonien zu¬
gewandt. Auch wäre das Gegenteil geradezu unmöglich, weil sich in dieser
Gunst ein innerer Trieb mit Allgewalt äußert, der sich nicht leicht verschüch¬
tern und zurückdrängen läßt. Ebenso haben wir es mit keiner vorübergehenden
und oberflächlichen, mit keiner dilettantischen Liebhaberei zu thun, sondern mit
einer tiefgehenden, dauernden, im Verstand und im Gemüt wurzelnden Nei¬
gung. Die Gegner der Kolonialpolitik und die, die es nur zu sein glauben,
eS aber nicht wirklich sind, täuschen sich über die Stärke des Antriebes, dem
die öffentliche Meinung folgt, ebenso wie sich die Gegner der Reichseinheit,
sowohl die unversöhnlichen als die mehr scheinbaren, über die Unwiderstehlich¬
keit des Einheitsstrebens täuschten. Wer wäre jetzt noch von dem Wahn ein¬
genommen, daß die Entwicklung zum einheitlichen Ausbau eines deutschen
Reichs rückgängig gemacht werden, daß Deutschland wieder in getrennte und
einander gleichgiltige oder widerwärtige Teilstaaten auseinander gerissen werden
könnte? Der Reichsgedanke hat immer mehr durchgegriffen, hat sich gefestigt
und die partikularistischen Stimmen zum Schweigen oder Leisereden genötigt.
Niemand, selbst nicht die am weitesten nach links stehende Partei, wünscht den
frühern Zustand der Dinge, der veraltet ist und bleibt, zurück, niemand er¬
klärt sich offen gegen jede reichseinheitliche Zusammenfassung, wenn er auch
noch so unzufrieden mit der dem Ganzen gegebnen Form sein sollte. Es will
keiner mehr recht daran glauben, daß das Reich, der Koloß auf schwachen
„thönernen Füßen" ruhe. Und doch ist die Einheit nicht von unten, aus dein
Volke geschaffen worden, der Anstoß kam von oben, Regent und Minister
wurden die Baumeister des deutschen Reiches, glückliche Kriege lieferten den
Mörtel zu dem Bau. Trotz dieses Ursprungs, den die öffentliche Meinung
früher nicht erwartet hatte, ist die Einheit zu einer unwidersprochen, nunmehr
durch langjährigen Bestand geweihten und durch den geschichtlichen Fortgang
gewohnten Thatsache geworden. Die, die aus dem persönlichen Eingreifen des
Kaisers und des Kanzlers auf die Schwäche der Grundlage geschlossen hatten,
hatten sich gründlich geirrt.

Ähnlich verhält es sich mit der Gewinnung von überseeischen Reichs¬
gebieten: sie war die notwendige Folge der endlich errungnen Einigung, sowie
des großartige» Aufschwunges der Industrie und des Handels im neuen Reiche.
Hieraus ging ein Streben nach außen und in die Weite hervor, das außer¬
dem von dem den Deutschen innewohnenden Wärter- und Weiderich genährt
und unterstützt wurde. Es ist verfehlt, auf den äußern Ursprung der deutschen
Kolonialpolitik zu verweisen, um sie als etwas zufälliges und nebensächliches
hinzustellen. Wenn auch einzelne Personen die ersten Schritte thaten und frei¬
willig auf einige von den wenigen herrenlosen Landstrichen, die es noch auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/208>, abgerufen am 22.12.2024.