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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Vie Waffen nieder?

einer günstigen nationalen Losung zu stände gekommenen Wahlen des Jahres
1887 hat die württembergische Volkspnrtei um ihre Sitze bis auf den letzte"
gebracht, der nächste nationale Aufschwung kann ihre Vertreter wieder voll¬
ständig aus dem Parlamente ausschließen. Oder vielmehr bedarf es gnr nicht
eines nationalen Aufschwungs, der künstlich weder gemacht werden kann noch
darf und sich von selbst nur bei außerordentlichen Gelegenheiten einstellt,
sondern es genügt eine entschiedne Haltung der deutschen Partei, die Volks¬
partei in die ihr gebührende Stellung zurückzudrängen. Denn groß ist in
Württemberg die Masse derer, die in der Mitte zwischen beiden Parteien
stehen und je nach den Umständen die Reihen der einen oder der andern ver¬
stärken. Im Jahre 1887 haben diese Parteilosen mit den Nationalliberalen
gestimmt, im Jahre 1890 sind sie in hellen Hausen zu den Demokraten über¬
gelaufen, wobei man, wenn man die richtige Zahl erhalten will, in Anrechnung
bringen muß, daß die Demokraten ihrerseits ohne Zweifel zahlreiche Stimmen
-- namentlich in der Hauptstadt des Landes -- an die Sozialisten abgegeben
haben. Was bei den letzten Neichstagswahlen versäumt worden ist, kann bei
den nächsten nachgeholt werden: bestimmtere Betonung gewisser liberaler For¬
derungen und selbständigere Haltung der Regierung gegenüber. Das ist das
sicherste Mittel für die deutsche Partei, den Verlornen Boden wieder zu ge¬
winnen. Außerdem muß sie besondre Sorgfalt der Auswahl der Kandidaten
zuwenden und dabei Beamtenkandidaturen möglichst vermeiden; denn mit solchen
wird den Gegnern ein bei der gedankenlosen Menge ungeheuer wirksames
Agitationsmittel in die Hand gegeben. Was mit dem Namen eines als un¬
abhängig bekannten Mannes zu erreichen ist, hat die letzte Stuttgarter Wahl
bewiesen, bei der die deutsche Partei dem Ansturm der Sozialisten Stand ge¬
halten hat, trotz volksparteilicher Sonderkandidatur und trotz sehr mäßiger
Begeisterung der Strcngkvuservativen für den nationalliberalen Bewerber.
Überhaupt darf sich die deutsche Partei nicht scheuen, zweifelhafte Elemente,
die sich ihr während der Kartellzeit angeschlossen haben, wieder von sich abzu¬
stoßen, selbst auf die Gefahr hin, konservativ-klerikale Gegenkandidaturen herauf¬
zubeschwören. Es ist noch die Frage, ob uicht vielleicht gerade durch solche
Gegenkcmdidatnren liberale Wähler scharenweise in ihr Lager aus dem
gegnerischen gezogen werden würden. Darauf wird freilich die deutsche Partei
stets Rücksicht zu nehmen haben, daß in ihr Nationalliberale und Freikonser¬
vative friedlich zusammensitzen, und daß dementsprechend dein erwählten Ab¬
geordneten jedesmal die Entscheidung darüber anheimgestellt wird, welcher der
beiden Reichstagsfraktionen er sich anschließen will. Eine zu schroffe Betonung
des liberalen Staudpunkts vonseiten der in der Überzahl befindlichen Na-
tionalliberalen konnte leicht eine Lostrennung des freikvnservativen Flügels
zur Folge haben, was angesichts unsrer schon zuvor hinlänglich zersplitterten
Parteiverhültnisse recht überflüssig wäre.


Vie Waffen nieder?

einer günstigen nationalen Losung zu stände gekommenen Wahlen des Jahres
1887 hat die württembergische Volkspnrtei um ihre Sitze bis auf den letzte»
gebracht, der nächste nationale Aufschwung kann ihre Vertreter wieder voll¬
ständig aus dem Parlamente ausschließen. Oder vielmehr bedarf es gnr nicht
eines nationalen Aufschwungs, der künstlich weder gemacht werden kann noch
darf und sich von selbst nur bei außerordentlichen Gelegenheiten einstellt,
sondern es genügt eine entschiedne Haltung der deutschen Partei, die Volks¬
partei in die ihr gebührende Stellung zurückzudrängen. Denn groß ist in
Württemberg die Masse derer, die in der Mitte zwischen beiden Parteien
stehen und je nach den Umständen die Reihen der einen oder der andern ver¬
stärken. Im Jahre 1887 haben diese Parteilosen mit den Nationalliberalen
gestimmt, im Jahre 1890 sind sie in hellen Hausen zu den Demokraten über¬
gelaufen, wobei man, wenn man die richtige Zahl erhalten will, in Anrechnung
bringen muß, daß die Demokraten ihrerseits ohne Zweifel zahlreiche Stimmen
— namentlich in der Hauptstadt des Landes — an die Sozialisten abgegeben
haben. Was bei den letzten Neichstagswahlen versäumt worden ist, kann bei
den nächsten nachgeholt werden: bestimmtere Betonung gewisser liberaler For¬
derungen und selbständigere Haltung der Regierung gegenüber. Das ist das
sicherste Mittel für die deutsche Partei, den Verlornen Boden wieder zu ge¬
winnen. Außerdem muß sie besondre Sorgfalt der Auswahl der Kandidaten
zuwenden und dabei Beamtenkandidaturen möglichst vermeiden; denn mit solchen
wird den Gegnern ein bei der gedankenlosen Menge ungeheuer wirksames
Agitationsmittel in die Hand gegeben. Was mit dem Namen eines als un¬
abhängig bekannten Mannes zu erreichen ist, hat die letzte Stuttgarter Wahl
bewiesen, bei der die deutsche Partei dem Ansturm der Sozialisten Stand ge¬
halten hat, trotz volksparteilicher Sonderkandidatur und trotz sehr mäßiger
Begeisterung der Strcngkvuservativen für den nationalliberalen Bewerber.
Überhaupt darf sich die deutsche Partei nicht scheuen, zweifelhafte Elemente,
die sich ihr während der Kartellzeit angeschlossen haben, wieder von sich abzu¬
stoßen, selbst auf die Gefahr hin, konservativ-klerikale Gegenkandidaturen herauf¬
zubeschwören. Es ist noch die Frage, ob uicht vielleicht gerade durch solche
Gegenkcmdidatnren liberale Wähler scharenweise in ihr Lager aus dem
gegnerischen gezogen werden würden. Darauf wird freilich die deutsche Partei
stets Rücksicht zu nehmen haben, daß in ihr Nationalliberale und Freikonser¬
vative friedlich zusammensitzen, und daß dementsprechend dein erwählten Ab¬
geordneten jedesmal die Entscheidung darüber anheimgestellt wird, welcher der
beiden Reichstagsfraktionen er sich anschließen will. Eine zu schroffe Betonung
des liberalen Staudpunkts vonseiten der in der Überzahl befindlichen Na-
tionalliberalen konnte leicht eine Lostrennung des freikvnservativen Flügels
zur Folge haben, was angesichts unsrer schon zuvor hinlänglich zersplitterten
Parteiverhültnisse recht überflüssig wäre.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/204>, abgerufen am 22.12.2024.