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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Die Waffen nieder?

Verstanden sind, ohne weiteres zusammenwerfen. Das ist ein schwerer Irrtum.
Nicht sowohl das Mehr oder Weniger der liberalen Grundsätze als die Hal¬
tung in nationalen Fragen begründet den entscheidenden Gegensatz zwischen
Volkspartei und deutscher Partei. Partikularistischen Bestrebungen entgegen¬
zutreten, ist die Aufgabe der deutschen Partei heute wie früher; wenn auch
solche Bestrebungen in ernster Stunde schwerlich jemals wieder großen Schaden
anrichten werden, wagen sie sich um so dreister in ruhigen Zeiten hervor, wie
in Württemberg bei Einführung des einreihigen Waffenrocks und sonstigen
Anlässen zu Tage getreten ist. Der deutschfreisiunigen Partei kann niemand
im Ernste vorwerfen, daß sie ähnlichen Sonderbestrebungen huldige. Darum
ist zwischen ihr und den Nationallibernlen nur ein relativer Unterschied, be¬
stimmt durch das Maß liberaler und konstitutioneller Anschauungen, zwischen
Nationalliberalen und Demokraten ein absoluter. Mit den Deutschfreisinnigen,
oder doch mit einem Teil von ihnen, haben die Nationalliberalen die Ver¬
gangenheit gemein und können unter Umständen auch die Zukunft wieder
gemein haben, mit der Volkspartei erstreckt sich ihre Fehde auf die Ver¬
gangenheit so gut wie auf die Gegenwart und wird auch in die Zukunft reichen.
Denn wein das Herz warm für sein großes deutsches Vaterland schlüge, der
muß die Gemeinschaft mit einer Partei fliehen, die, so fortschrittlich sie sich
auf dem Gebiete der innern Politik geberdet, in den großen Fragen der natio¬
nalen Entwicklung des Vaterlandes die reaktionärste aller Parteien ist, deren
Preßvrgan täglich in den Staub zieht, was Tausenden und Abertausenden
heilig und teuer ist, und sich noch immer in dem abgeschmacktesten Mißtrauen
und Haß gegen das Preußentum gefüllt, deren Vertreter endlich sich unter
der Maske partikularistischer Biederkeit an den Landesherrn hinandrängen und
sich ihm als Hüter seiner Sonderrechte anpreisen -- Verlorne Liebesmüh frei¬
lich bei einem Fürsten, der, wie König Wilhelm der Zweite von Württem¬
berg, seinen Unterthanen in nationaler Haltung und patriotischer Gesinnung
ein leuchtendes Vorbild ist.

Während also gegenwärtig bei einem Teile der nationalgesinnten Schwaben
Neigung vorhanden ist, unter gewissen Bedingungen zu den weiter links stehenden
norddeutschen Liberalen freundliche Beziehungen zu unterhalten, ist der Volks¬
partei gegenüber nach wie vor Kampf das Losungswort. Stolz hat diese seit
den letzten Reichstagswahlen ihr Haupt erhoben. Schon mehr als einmal hat
sich das leitende Blatt der Partei zu der Behauptung verstiegen, sie sei die
stärkste unter den Parteien im Schwabenland. Das ist eitel Prahlerei. Sie
hat allerdings im Jahre 1890 von siebzehn Sitzen nenn errungen und seit¬
dem, infolge unglaublichen Mangels an Mut und Thatkraft im gegnerischen
Lager, bei einer Nachwahl ein zehntes Mandat dazu gewonnen. Aber in der
Gesamtzahl der 1890 in Württemberg abgegebnen Stimmen sind die Demo¬
kraten ein gut Stück hinter der deutschen Partei zurückgeblieben. Die unter


Die Waffen nieder?

Verstanden sind, ohne weiteres zusammenwerfen. Das ist ein schwerer Irrtum.
Nicht sowohl das Mehr oder Weniger der liberalen Grundsätze als die Hal¬
tung in nationalen Fragen begründet den entscheidenden Gegensatz zwischen
Volkspartei und deutscher Partei. Partikularistischen Bestrebungen entgegen¬
zutreten, ist die Aufgabe der deutschen Partei heute wie früher; wenn auch
solche Bestrebungen in ernster Stunde schwerlich jemals wieder großen Schaden
anrichten werden, wagen sie sich um so dreister in ruhigen Zeiten hervor, wie
in Württemberg bei Einführung des einreihigen Waffenrocks und sonstigen
Anlässen zu Tage getreten ist. Der deutschfreisiunigen Partei kann niemand
im Ernste vorwerfen, daß sie ähnlichen Sonderbestrebungen huldige. Darum
ist zwischen ihr und den Nationallibernlen nur ein relativer Unterschied, be¬
stimmt durch das Maß liberaler und konstitutioneller Anschauungen, zwischen
Nationalliberalen und Demokraten ein absoluter. Mit den Deutschfreisinnigen,
oder doch mit einem Teil von ihnen, haben die Nationalliberalen die Ver¬
gangenheit gemein und können unter Umständen auch die Zukunft wieder
gemein haben, mit der Volkspartei erstreckt sich ihre Fehde auf die Ver¬
gangenheit so gut wie auf die Gegenwart und wird auch in die Zukunft reichen.
Denn wein das Herz warm für sein großes deutsches Vaterland schlüge, der
muß die Gemeinschaft mit einer Partei fliehen, die, so fortschrittlich sie sich
auf dem Gebiete der innern Politik geberdet, in den großen Fragen der natio¬
nalen Entwicklung des Vaterlandes die reaktionärste aller Parteien ist, deren
Preßvrgan täglich in den Staub zieht, was Tausenden und Abertausenden
heilig und teuer ist, und sich noch immer in dem abgeschmacktesten Mißtrauen
und Haß gegen das Preußentum gefüllt, deren Vertreter endlich sich unter
der Maske partikularistischer Biederkeit an den Landesherrn hinandrängen und
sich ihm als Hüter seiner Sonderrechte anpreisen — Verlorne Liebesmüh frei¬
lich bei einem Fürsten, der, wie König Wilhelm der Zweite von Württem¬
berg, seinen Unterthanen in nationaler Haltung und patriotischer Gesinnung
ein leuchtendes Vorbild ist.

Während also gegenwärtig bei einem Teile der nationalgesinnten Schwaben
Neigung vorhanden ist, unter gewissen Bedingungen zu den weiter links stehenden
norddeutschen Liberalen freundliche Beziehungen zu unterhalten, ist der Volks¬
partei gegenüber nach wie vor Kampf das Losungswort. Stolz hat diese seit
den letzten Reichstagswahlen ihr Haupt erhoben. Schon mehr als einmal hat
sich das leitende Blatt der Partei zu der Behauptung verstiegen, sie sei die
stärkste unter den Parteien im Schwabenland. Das ist eitel Prahlerei. Sie
hat allerdings im Jahre 1890 von siebzehn Sitzen nenn errungen und seit¬
dem, infolge unglaublichen Mangels an Mut und Thatkraft im gegnerischen
Lager, bei einer Nachwahl ein zehntes Mandat dazu gewonnen. Aber in der
Gesamtzahl der 1890 in Württemberg abgegebnen Stimmen sind die Demo¬
kraten ein gut Stück hinter der deutschen Partei zurückgeblieben. Die unter


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[0203] Die Waffen nieder? Verstanden sind, ohne weiteres zusammenwerfen. Das ist ein schwerer Irrtum. Nicht sowohl das Mehr oder Weniger der liberalen Grundsätze als die Hal¬ tung in nationalen Fragen begründet den entscheidenden Gegensatz zwischen Volkspartei und deutscher Partei. Partikularistischen Bestrebungen entgegen¬ zutreten, ist die Aufgabe der deutschen Partei heute wie früher; wenn auch solche Bestrebungen in ernster Stunde schwerlich jemals wieder großen Schaden anrichten werden, wagen sie sich um so dreister in ruhigen Zeiten hervor, wie in Württemberg bei Einführung des einreihigen Waffenrocks und sonstigen Anlässen zu Tage getreten ist. Der deutschfreisiunigen Partei kann niemand im Ernste vorwerfen, daß sie ähnlichen Sonderbestrebungen huldige. Darum ist zwischen ihr und den Nationallibernlen nur ein relativer Unterschied, be¬ stimmt durch das Maß liberaler und konstitutioneller Anschauungen, zwischen Nationalliberalen und Demokraten ein absoluter. Mit den Deutschfreisinnigen, oder doch mit einem Teil von ihnen, haben die Nationalliberalen die Ver¬ gangenheit gemein und können unter Umständen auch die Zukunft wieder gemein haben, mit der Volkspartei erstreckt sich ihre Fehde auf die Ver¬ gangenheit so gut wie auf die Gegenwart und wird auch in die Zukunft reichen. Denn wein das Herz warm für sein großes deutsches Vaterland schlüge, der muß die Gemeinschaft mit einer Partei fliehen, die, so fortschrittlich sie sich auf dem Gebiete der innern Politik geberdet, in den großen Fragen der natio¬ nalen Entwicklung des Vaterlandes die reaktionärste aller Parteien ist, deren Preßvrgan täglich in den Staub zieht, was Tausenden und Abertausenden heilig und teuer ist, und sich noch immer in dem abgeschmacktesten Mißtrauen und Haß gegen das Preußentum gefüllt, deren Vertreter endlich sich unter der Maske partikularistischer Biederkeit an den Landesherrn hinandrängen und sich ihm als Hüter seiner Sonderrechte anpreisen — Verlorne Liebesmüh frei¬ lich bei einem Fürsten, der, wie König Wilhelm der Zweite von Württem¬ berg, seinen Unterthanen in nationaler Haltung und patriotischer Gesinnung ein leuchtendes Vorbild ist. Während also gegenwärtig bei einem Teile der nationalgesinnten Schwaben Neigung vorhanden ist, unter gewissen Bedingungen zu den weiter links stehenden norddeutschen Liberalen freundliche Beziehungen zu unterhalten, ist der Volks¬ partei gegenüber nach wie vor Kampf das Losungswort. Stolz hat diese seit den letzten Reichstagswahlen ihr Haupt erhoben. Schon mehr als einmal hat sich das leitende Blatt der Partei zu der Behauptung verstiegen, sie sei die stärkste unter den Parteien im Schwabenland. Das ist eitel Prahlerei. Sie hat allerdings im Jahre 1890 von siebzehn Sitzen nenn errungen und seit¬ dem, infolge unglaublichen Mangels an Mut und Thatkraft im gegnerischen Lager, bei einer Nachwahl ein zehntes Mandat dazu gewonnen. Aber in der Gesamtzahl der 1890 in Württemberg abgegebnen Stimmen sind die Demo¬ kraten ein gut Stück hinter der deutschen Partei zurückgeblieben. Die unter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/203>, abgerufen am 25.08.2024.