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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Die Waffen nieder?

liberalen einige Bedeutung hat gewinnen können. Über Nacht kann sie diese
wieder verlieren. Nur bis nach Schwaben sind die Deutschfreisinnigen noch
nicht vorgedrungen. Doch würde man sich mit der Annahme täuschen, daß
darum bei uns die Frage, wie sich in Zukunft das Verhältnis der National¬
liberalen zu den Deutschfreisinnigen gestalten solle, geringerer Teilnahme be¬
gegne. Die Ansichten sind geteilt, was niemand wundern wird, der die Ver¬
hältnisse innerhalb der deutschen Partei in Württemberg einigermaßen kennt,
und der weiß, aus wie verschiedenartigen politischen Bestandteilen sie sich zu¬
sammensetzt. Aber einig ist die ganze Partei darin, daß die Unterhaltung
freundschaftlicher Beziehungen zu den Deutschfreisinnigen von einer unerlä߬
lichen Bedingung abhängig gemacht werden muß: das Kriegsbeil, das jene
bisher gegen Fürst Bismarck geschwungen haben, muß begraben werden. Es
ist das freilich keine leichte Zumutung für die Zeitungsschreiber der Partei,
deren kräftigste Nahrung immer noch die Beschäftigung mit dem großen Reichs¬
kanzler bildet (wiewohl sie sich in komischem Widerspruch damit den Anschein
zu geben suchen, als ob seinen Handlungen und Reden gar keine praktische
Bedeutung mehr zukomme), und keine gefühlvolle Seele wird den deutschfrei¬
sinnigen Journalisten das Mitleid versagen, wenn ihnen Fürst Bismarck keinen
Stoff mehr zu orntorischen Leistungen bieten soll, aber ein liberales Versöh¬
nungsfest erfordert dieses Opfer. Denn es geht uicht an, daß von zwei ver¬
bündeten Parteien die eine denselben Mann als Heros vergöttert, die andre
ihn mit Schmutz bewirft. Übrigens wird es ernsthaften und sachlichen deutsch¬
freisinnigen Politikern um so weniger schwer fallen, die nativnalliberalen Brüder
in ihren Gefühlen zu schonen, als eine Rückkehr Bismarcks an die Spitze der
Geschäfte kaum denkbar ist. Auch die Mehrzahl derer, denen Bismarcks Rück¬
tritt tief schmerzlich gewesen ist, strebt eine Rückkehr keineswegs an, wenn
auch nur aus dem einzigen Grunde, weil das deutsche Reich nicht zum zweiten-
male der Beunruhigung und Erschütterung, die ein erneuter Abgang des leider
sterblichen im Gefolge hätte, preisgegeben werden darf.

Wie soll sich nun in Zukunft, das ist eine weitere nicht unwichtige Frage,
das Verhältnis zu der sogenannten Volkspartei gestalten? Soll auch sie in
das große liberale Bündnis eingeschlossen werden, sollen die Nationalliberalen
in Süddeutschland etwa auch gegen sie die Waffen niederlegen? Diese Frage
ist in Schwaben besonders brennend, da sich dort nach wie vor das Haupt¬
quartier jener Partei befindet. Um es kurz zu sagen: die deutsche Partei in
Württemberg wird und kann sich nimmermehr in irgend welche nähere Be¬
ziehungen zu der Volkspartei einlassen. Wohl mag sie sich in der Folge mit
ihr häufiger als früher in der Abwehr reaktionärer Bestrebungen zusammen¬
finden, aber eine solche Bundesgenossenschaft muß eine zufällige bleiben, darf
uicht gesucht werden. Es giebt zahlreiche Politiker, die mit den süddeutschen
Demokraten die "norddeutschen Demokraten," worunter die Dentschfreisinnigen


Die Waffen nieder?

liberalen einige Bedeutung hat gewinnen können. Über Nacht kann sie diese
wieder verlieren. Nur bis nach Schwaben sind die Deutschfreisinnigen noch
nicht vorgedrungen. Doch würde man sich mit der Annahme täuschen, daß
darum bei uns die Frage, wie sich in Zukunft das Verhältnis der National¬
liberalen zu den Deutschfreisinnigen gestalten solle, geringerer Teilnahme be¬
gegne. Die Ansichten sind geteilt, was niemand wundern wird, der die Ver¬
hältnisse innerhalb der deutschen Partei in Württemberg einigermaßen kennt,
und der weiß, aus wie verschiedenartigen politischen Bestandteilen sie sich zu¬
sammensetzt. Aber einig ist die ganze Partei darin, daß die Unterhaltung
freundschaftlicher Beziehungen zu den Deutschfreisinnigen von einer unerlä߬
lichen Bedingung abhängig gemacht werden muß: das Kriegsbeil, das jene
bisher gegen Fürst Bismarck geschwungen haben, muß begraben werden. Es
ist das freilich keine leichte Zumutung für die Zeitungsschreiber der Partei,
deren kräftigste Nahrung immer noch die Beschäftigung mit dem großen Reichs¬
kanzler bildet (wiewohl sie sich in komischem Widerspruch damit den Anschein
zu geben suchen, als ob seinen Handlungen und Reden gar keine praktische
Bedeutung mehr zukomme), und keine gefühlvolle Seele wird den deutschfrei¬
sinnigen Journalisten das Mitleid versagen, wenn ihnen Fürst Bismarck keinen
Stoff mehr zu orntorischen Leistungen bieten soll, aber ein liberales Versöh¬
nungsfest erfordert dieses Opfer. Denn es geht uicht an, daß von zwei ver¬
bündeten Parteien die eine denselben Mann als Heros vergöttert, die andre
ihn mit Schmutz bewirft. Übrigens wird es ernsthaften und sachlichen deutsch¬
freisinnigen Politikern um so weniger schwer fallen, die nativnalliberalen Brüder
in ihren Gefühlen zu schonen, als eine Rückkehr Bismarcks an die Spitze der
Geschäfte kaum denkbar ist. Auch die Mehrzahl derer, denen Bismarcks Rück¬
tritt tief schmerzlich gewesen ist, strebt eine Rückkehr keineswegs an, wenn
auch nur aus dem einzigen Grunde, weil das deutsche Reich nicht zum zweiten-
male der Beunruhigung und Erschütterung, die ein erneuter Abgang des leider
sterblichen im Gefolge hätte, preisgegeben werden darf.

Wie soll sich nun in Zukunft, das ist eine weitere nicht unwichtige Frage,
das Verhältnis zu der sogenannten Volkspartei gestalten? Soll auch sie in
das große liberale Bündnis eingeschlossen werden, sollen die Nationalliberalen
in Süddeutschland etwa auch gegen sie die Waffen niederlegen? Diese Frage
ist in Schwaben besonders brennend, da sich dort nach wie vor das Haupt¬
quartier jener Partei befindet. Um es kurz zu sagen: die deutsche Partei in
Württemberg wird und kann sich nimmermehr in irgend welche nähere Be¬
ziehungen zu der Volkspartei einlassen. Wohl mag sie sich in der Folge mit
ihr häufiger als früher in der Abwehr reaktionärer Bestrebungen zusammen¬
finden, aber eine solche Bundesgenossenschaft muß eine zufällige bleiben, darf
uicht gesucht werden. Es giebt zahlreiche Politiker, die mit den süddeutschen
Demokraten die „norddeutschen Demokraten," worunter die Dentschfreisinnigen


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[0202] Die Waffen nieder? liberalen einige Bedeutung hat gewinnen können. Über Nacht kann sie diese wieder verlieren. Nur bis nach Schwaben sind die Deutschfreisinnigen noch nicht vorgedrungen. Doch würde man sich mit der Annahme täuschen, daß darum bei uns die Frage, wie sich in Zukunft das Verhältnis der National¬ liberalen zu den Deutschfreisinnigen gestalten solle, geringerer Teilnahme be¬ gegne. Die Ansichten sind geteilt, was niemand wundern wird, der die Ver¬ hältnisse innerhalb der deutschen Partei in Württemberg einigermaßen kennt, und der weiß, aus wie verschiedenartigen politischen Bestandteilen sie sich zu¬ sammensetzt. Aber einig ist die ganze Partei darin, daß die Unterhaltung freundschaftlicher Beziehungen zu den Deutschfreisinnigen von einer unerlä߬ lichen Bedingung abhängig gemacht werden muß: das Kriegsbeil, das jene bisher gegen Fürst Bismarck geschwungen haben, muß begraben werden. Es ist das freilich keine leichte Zumutung für die Zeitungsschreiber der Partei, deren kräftigste Nahrung immer noch die Beschäftigung mit dem großen Reichs¬ kanzler bildet (wiewohl sie sich in komischem Widerspruch damit den Anschein zu geben suchen, als ob seinen Handlungen und Reden gar keine praktische Bedeutung mehr zukomme), und keine gefühlvolle Seele wird den deutschfrei¬ sinnigen Journalisten das Mitleid versagen, wenn ihnen Fürst Bismarck keinen Stoff mehr zu orntorischen Leistungen bieten soll, aber ein liberales Versöh¬ nungsfest erfordert dieses Opfer. Denn es geht uicht an, daß von zwei ver¬ bündeten Parteien die eine denselben Mann als Heros vergöttert, die andre ihn mit Schmutz bewirft. Übrigens wird es ernsthaften und sachlichen deutsch¬ freisinnigen Politikern um so weniger schwer fallen, die nativnalliberalen Brüder in ihren Gefühlen zu schonen, als eine Rückkehr Bismarcks an die Spitze der Geschäfte kaum denkbar ist. Auch die Mehrzahl derer, denen Bismarcks Rück¬ tritt tief schmerzlich gewesen ist, strebt eine Rückkehr keineswegs an, wenn auch nur aus dem einzigen Grunde, weil das deutsche Reich nicht zum zweiten- male der Beunruhigung und Erschütterung, die ein erneuter Abgang des leider sterblichen im Gefolge hätte, preisgegeben werden darf. Wie soll sich nun in Zukunft, das ist eine weitere nicht unwichtige Frage, das Verhältnis zu der sogenannten Volkspartei gestalten? Soll auch sie in das große liberale Bündnis eingeschlossen werden, sollen die Nationalliberalen in Süddeutschland etwa auch gegen sie die Waffen niederlegen? Diese Frage ist in Schwaben besonders brennend, da sich dort nach wie vor das Haupt¬ quartier jener Partei befindet. Um es kurz zu sagen: die deutsche Partei in Württemberg wird und kann sich nimmermehr in irgend welche nähere Be¬ ziehungen zu der Volkspartei einlassen. Wohl mag sie sich in der Folge mit ihr häufiger als früher in der Abwehr reaktionärer Bestrebungen zusammen¬ finden, aber eine solche Bundesgenossenschaft muß eine zufällige bleiben, darf uicht gesucht werden. Es giebt zahlreiche Politiker, die mit den süddeutschen Demokraten die „norddeutschen Demokraten," worunter die Dentschfreisinnigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/202>, abgerufen am 23.07.2024.