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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Lin amerikanischer Sozialist

soni Sonnenschein Co. erschienen, das erste schon in dritter Auflage. In
dem zweiten Werke, meint der Herr Einsender, habe Gronlund eine entschiedne
Rechtsschwenkung vollzogen. Wir würden lieber sagen, er habe entschieden
den Fing nach oben genommen. Denn was man bei uns rechts zu nennen
pflegt, dem steht er auch hier nicht weniger feindlich gegenüber wie im ersten
und wie den Herren zur Linken. Aber er stellt den Grundsatz auf und
führt ihn dnrch, daß die soziale Frage keine bloße Magenfrage, sondern
vor allem eine sittliche Frage sei, und er bezeichnet es als den Hauptzweck
dieses zweiten Buches, die Frage ins reine zu bringen, ob der sozialistische
Zukunftsstaat ein Kober voll satter, behaglich grunzender Mastschweine oder
das Reich Gottes auf Erden sein werde. Ihm steht das zweite fest; er glaubt
bestimmt, daß der Atheismus eine Kinderkrankheit des jungen Sozialismus
oder etwas wie der Weinstein an deu Zähnen sei, und daß der ausgereifte
Sozialismus zum erstenmale im Laufe der Zeiten das wahre Christentum ver¬
wirklichen werde. Der Sozialismus, zu dem sich Gronlund bekennt, ist nicht
der doktrinäre der Franzosen, fondern der deutsche, der seiner Ansicht nach
ein natürliches Gewächs und zur Weltherrschaft berufen ist.

Obwohl das ältere der beiden Bücher, dessen erste Allsgabe vor sieben
Jahren erschienen ist, vorzugsweise die volkswirtschaftliche, das zweite haupt¬
sächlich die religiös-sittliche Seite der Sache behandelt, so sällt beider Gedanken¬
gang doch vielfach zusammen. Wir wollen, um den Gedankenkreis des Ver¬
fassers so vollständig wie möglich mit möglichst wenig Worten darstellen zu
können, das erste Buch zu Grunde legen, die Hauptgedanken des zweiten ohne
Angabe ihrer Herkunft ergänzend einfügen und nur wenige Erläuterungen da¬
zwischen streuen. Wie weit wir selbst mit Gronlund übereinstimmen und wie
weit nicht, brauchen wir unsern regelmäßigen Lesern kaum ausdrücklich zu
sagen; doch werden wir die Hauptpunkte in einem kurzen Schlußurteil zu¬
sammenstellen. Die Vereinigten Staaten sind im Sinne sowohl des Kapita¬
lismus als auch des Liberalismus das fortgeschrittenste Land der Welt. Es
versteht sich daher, daß dort die Übelstände der beiden organisch mit einander
verbundnen Systeme am grellsten hervortreten, wie ja auch die blutigen Ar-
beiternnruhen der letzten Monate bekunden. Wie viel in jedem Falle abzu-
ziehen ist, damit die Schilderung auf deutsche Zustünde passe, wird ja jeder
unes seinen persönlichen Erfahrungen ermessen können.

Gronlund beginnt mit einer kleinen Zeichnung. Auf vier, durch eine
Sehne in zwei Abschnitte geteilten Kreisen verzeichnet er die Erträge der In¬
dustrie der Bereinigten Staaten in den Jahren 1850, 1860, 1870 und 1880,
und zwar links von dem Teilungsstrich den Anteil der Arbeiter, die Summe
der Arbeitslöhne, rechts das Surplus, den Anteil der Unternehmer. Die
Zahlen sind der amtlichen Statistik entnommen. Man ersieht daraus, daß
das "Surplns" durchschnittlich 50 Prozent beträgt. Der Gesamtertrag ist


Lin amerikanischer Sozialist

soni Sonnenschein Co. erschienen, das erste schon in dritter Auflage. In
dem zweiten Werke, meint der Herr Einsender, habe Gronlund eine entschiedne
Rechtsschwenkung vollzogen. Wir würden lieber sagen, er habe entschieden
den Fing nach oben genommen. Denn was man bei uns rechts zu nennen
pflegt, dem steht er auch hier nicht weniger feindlich gegenüber wie im ersten
und wie den Herren zur Linken. Aber er stellt den Grundsatz auf und
führt ihn dnrch, daß die soziale Frage keine bloße Magenfrage, sondern
vor allem eine sittliche Frage sei, und er bezeichnet es als den Hauptzweck
dieses zweiten Buches, die Frage ins reine zu bringen, ob der sozialistische
Zukunftsstaat ein Kober voll satter, behaglich grunzender Mastschweine oder
das Reich Gottes auf Erden sein werde. Ihm steht das zweite fest; er glaubt
bestimmt, daß der Atheismus eine Kinderkrankheit des jungen Sozialismus
oder etwas wie der Weinstein an deu Zähnen sei, und daß der ausgereifte
Sozialismus zum erstenmale im Laufe der Zeiten das wahre Christentum ver¬
wirklichen werde. Der Sozialismus, zu dem sich Gronlund bekennt, ist nicht
der doktrinäre der Franzosen, fondern der deutsche, der seiner Ansicht nach
ein natürliches Gewächs und zur Weltherrschaft berufen ist.

Obwohl das ältere der beiden Bücher, dessen erste Allsgabe vor sieben
Jahren erschienen ist, vorzugsweise die volkswirtschaftliche, das zweite haupt¬
sächlich die religiös-sittliche Seite der Sache behandelt, so sällt beider Gedanken¬
gang doch vielfach zusammen. Wir wollen, um den Gedankenkreis des Ver¬
fassers so vollständig wie möglich mit möglichst wenig Worten darstellen zu
können, das erste Buch zu Grunde legen, die Hauptgedanken des zweiten ohne
Angabe ihrer Herkunft ergänzend einfügen und nur wenige Erläuterungen da¬
zwischen streuen. Wie weit wir selbst mit Gronlund übereinstimmen und wie
weit nicht, brauchen wir unsern regelmäßigen Lesern kaum ausdrücklich zu
sagen; doch werden wir die Hauptpunkte in einem kurzen Schlußurteil zu¬
sammenstellen. Die Vereinigten Staaten sind im Sinne sowohl des Kapita¬
lismus als auch des Liberalismus das fortgeschrittenste Land der Welt. Es
versteht sich daher, daß dort die Übelstände der beiden organisch mit einander
verbundnen Systeme am grellsten hervortreten, wie ja auch die blutigen Ar-
beiternnruhen der letzten Monate bekunden. Wie viel in jedem Falle abzu-
ziehen ist, damit die Schilderung auf deutsche Zustünde passe, wird ja jeder
unes seinen persönlichen Erfahrungen ermessen können.

Gronlund beginnt mit einer kleinen Zeichnung. Auf vier, durch eine
Sehne in zwei Abschnitte geteilten Kreisen verzeichnet er die Erträge der In¬
dustrie der Bereinigten Staaten in den Jahren 1850, 1860, 1870 und 1880,
und zwar links von dem Teilungsstrich den Anteil der Arbeiter, die Summe
der Arbeitslöhne, rechts das Surplus, den Anteil der Unternehmer. Die
Zahlen sind der amtlichen Statistik entnommen. Man ersieht daraus, daß
das „Surplns" durchschnittlich 50 Prozent beträgt. Der Gesamtertrag ist


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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/19>, abgerufen am 03.07.2024.