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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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zu Ihnen, Herr Professor, bitte, sagen Sie mir, wie ich das am besten be¬
werkstelligen kann.

Der Professor besann sich eine Weile, dann sagte er, indem er sich über
das struppige Kopfhaar fuhr: Lassen Sie die Wissenschaft in Ruhe und leben
Sie von Ihren Renten!

Luise lachte. Wenn ich so glücklich wäre, Renten zu beziehen, Herr Pro¬
fessor, dann süße ich nicht hier. Verzeihen Sie, für mich ist die Frauenfrage
lune Frage der Eitelkeit, sondern des Magens. Mein Vater war Geheimrat

Knorre unterbrach sie barsch: So, und da hat sich kein Leutnant gefunden?

Das verstehe ich nicht.

In so, das können Sie auch nicht verstehen. Er machte eine Pause,
dann sagte er: Weshalb sorgen Ihre Brüder nicht für Sie?

Ich hatte mir einen, und der ist als Student verbummelt und zu Grunde
gegangen, nachdem er die Mutter ins Grab und mich um alle Habe gebracht
hatte. Ich bin arm wie eine Kirchenmaus. Ich will meinem Vater keinen
^vrwurf macheu, aber der echte deutsche Maun sorgt ja für seine Söhne
und gi^se für den dümmsten und verkommensten den letzten Groschen aus,
aber das Schicksal seiner Tochter überläßt er willenlos dem Zufall. Sagen
Sie selbst, Herr Professor, müßten wir armen Beamteutöchter nicht alle zu
Grunde gehen, wenn wir alle so wären, wie uns das indische Märchen schildert!
^ein, etwas Inhalt haben wir doch, wenn nicht den geistigen, so doch deu
uwralischen, der nötig ist, uns Enterbte aufrecht zu halten.

Sie schwieg. Nach einer Weile fragte der Professor: Haben Sie keine
verwandten?

Nein, und wenn ich welche hätte, so würde ich es für schmachvoll halten,
wich von einem Verwandten ernähren zu lassen, der vielleicht selbst für Weib
und Kind zu sorgen hat. Die Müdcheu, die sich hieran anklammern, sind
doppelt beklagenswert. Sie zerstören sich ihren Lebenszweck, und sie sind be¬
wußt oder unbewußt oft schuld an den Zerwürfnissen und dem Unglück junger
Familien und aufwachsender Geschlechter. Nein, Herr Professor, so lange ich
arbeiten kann, will ich mir selbst mein Brot verdienen.

Das ist sehr schön. Aber glauben Sie, daß Sie mit Ihrer nnprvdnt-
^en, d. h. in pekuniärer Beziehung gegenwärtig ganz unfruchtbaren Wissen¬
schaft Ihr Brot verdienen können? Wir haben schon genug Gelehrten-
Proletariat, wollen Sie das noch vermehren?

Ich studire, um bei dem großen Wettbewerb leichter eine feste Stelle an
w'er städtischen Schule zu erhalten. Die Thätigkeit und das Wanderleben
w'er Gouvernante habe ich satt. Lieber Holz im Walde sammeln oder Torf
lochen, als beständig mit den Dummheiten und Launen unsrer modernen
bitter kämpfen zu müssen.

Also das Leben einer Lehrerin um einer Schule erscheint Ihnen begehrens-


zu Ihnen, Herr Professor, bitte, sagen Sie mir, wie ich das am besten be¬
werkstelligen kann.

Der Professor besann sich eine Weile, dann sagte er, indem er sich über
das struppige Kopfhaar fuhr: Lassen Sie die Wissenschaft in Ruhe und leben
Sie von Ihren Renten!

Luise lachte. Wenn ich so glücklich wäre, Renten zu beziehen, Herr Pro¬
fessor, dann süße ich nicht hier. Verzeihen Sie, für mich ist die Frauenfrage
lune Frage der Eitelkeit, sondern des Magens. Mein Vater war Geheimrat

Knorre unterbrach sie barsch: So, und da hat sich kein Leutnant gefunden?

Das verstehe ich nicht.

In so, das können Sie auch nicht verstehen. Er machte eine Pause,
dann sagte er: Weshalb sorgen Ihre Brüder nicht für Sie?

Ich hatte mir einen, und der ist als Student verbummelt und zu Grunde
gegangen, nachdem er die Mutter ins Grab und mich um alle Habe gebracht
hatte. Ich bin arm wie eine Kirchenmaus. Ich will meinem Vater keinen
^vrwurf macheu, aber der echte deutsche Maun sorgt ja für seine Söhne
und gi^se für den dümmsten und verkommensten den letzten Groschen aus,
aber das Schicksal seiner Tochter überläßt er willenlos dem Zufall. Sagen
Sie selbst, Herr Professor, müßten wir armen Beamteutöchter nicht alle zu
Grunde gehen, wenn wir alle so wären, wie uns das indische Märchen schildert!
^ein, etwas Inhalt haben wir doch, wenn nicht den geistigen, so doch deu
uwralischen, der nötig ist, uns Enterbte aufrecht zu halten.

Sie schwieg. Nach einer Weile fragte der Professor: Haben Sie keine
verwandten?

Nein, und wenn ich welche hätte, so würde ich es für schmachvoll halten,
wich von einem Verwandten ernähren zu lassen, der vielleicht selbst für Weib
und Kind zu sorgen hat. Die Müdcheu, die sich hieran anklammern, sind
doppelt beklagenswert. Sie zerstören sich ihren Lebenszweck, und sie sind be¬
wußt oder unbewußt oft schuld an den Zerwürfnissen und dem Unglück junger
Familien und aufwachsender Geschlechter. Nein, Herr Professor, so lange ich
arbeiten kann, will ich mir selbst mein Brot verdienen.

Das ist sehr schön. Aber glauben Sie, daß Sie mit Ihrer nnprvdnt-
^en, d. h. in pekuniärer Beziehung gegenwärtig ganz unfruchtbaren Wissen¬
schaft Ihr Brot verdienen können? Wir haben schon genug Gelehrten-
Proletariat, wollen Sie das noch vermehren?

Ich studire, um bei dem großen Wettbewerb leichter eine feste Stelle an
w'er städtischen Schule zu erhalten. Die Thätigkeit und das Wanderleben
w'er Gouvernante habe ich satt. Lieber Holz im Walde sammeln oder Torf
lochen, als beständig mit den Dummheiten und Launen unsrer modernen
bitter kämpfen zu müssen.

Also das Leben einer Lehrerin um einer Schule erscheint Ihnen begehrens-


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[0189] zu Ihnen, Herr Professor, bitte, sagen Sie mir, wie ich das am besten be¬ werkstelligen kann. Der Professor besann sich eine Weile, dann sagte er, indem er sich über das struppige Kopfhaar fuhr: Lassen Sie die Wissenschaft in Ruhe und leben Sie von Ihren Renten! Luise lachte. Wenn ich so glücklich wäre, Renten zu beziehen, Herr Pro¬ fessor, dann süße ich nicht hier. Verzeihen Sie, für mich ist die Frauenfrage lune Frage der Eitelkeit, sondern des Magens. Mein Vater war Geheimrat Knorre unterbrach sie barsch: So, und da hat sich kein Leutnant gefunden? Das verstehe ich nicht. In so, das können Sie auch nicht verstehen. Er machte eine Pause, dann sagte er: Weshalb sorgen Ihre Brüder nicht für Sie? Ich hatte mir einen, und der ist als Student verbummelt und zu Grunde gegangen, nachdem er die Mutter ins Grab und mich um alle Habe gebracht hatte. Ich bin arm wie eine Kirchenmaus. Ich will meinem Vater keinen ^vrwurf macheu, aber der echte deutsche Maun sorgt ja für seine Söhne und gi^se für den dümmsten und verkommensten den letzten Groschen aus, aber das Schicksal seiner Tochter überläßt er willenlos dem Zufall. Sagen Sie selbst, Herr Professor, müßten wir armen Beamteutöchter nicht alle zu Grunde gehen, wenn wir alle so wären, wie uns das indische Märchen schildert! ^ein, etwas Inhalt haben wir doch, wenn nicht den geistigen, so doch deu uwralischen, der nötig ist, uns Enterbte aufrecht zu halten. Sie schwieg. Nach einer Weile fragte der Professor: Haben Sie keine verwandten? Nein, und wenn ich welche hätte, so würde ich es für schmachvoll halten, wich von einem Verwandten ernähren zu lassen, der vielleicht selbst für Weib und Kind zu sorgen hat. Die Müdcheu, die sich hieran anklammern, sind doppelt beklagenswert. Sie zerstören sich ihren Lebenszweck, und sie sind be¬ wußt oder unbewußt oft schuld an den Zerwürfnissen und dem Unglück junger Familien und aufwachsender Geschlechter. Nein, Herr Professor, so lange ich arbeiten kann, will ich mir selbst mein Brot verdienen. Das ist sehr schön. Aber glauben Sie, daß Sie mit Ihrer nnprvdnt- ^en, d. h. in pekuniärer Beziehung gegenwärtig ganz unfruchtbaren Wissen¬ schaft Ihr Brot verdienen können? Wir haben schon genug Gelehrten- Proletariat, wollen Sie das noch vermehren? Ich studire, um bei dem großen Wettbewerb leichter eine feste Stelle an w'er städtischen Schule zu erhalten. Die Thätigkeit und das Wanderleben w'er Gouvernante habe ich satt. Lieber Holz im Walde sammeln oder Torf lochen, als beständig mit den Dummheiten und Launen unsrer modernen bitter kämpfen zu müssen. Also das Leben einer Lehrerin um einer Schule erscheint Ihnen begehrens-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/189>, abgerufen am 23.12.2024.