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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Bilder aus dem Universttätsleben

möchte ich immer in den Wagen springen, sie an den Schultern packen, sie
schütteln und ihr ins Gesicht schreien: Schlaf nicht, dn faule Drohne, arbeite,
arbeite für deine hungernden Mitschwestern! Es giebt jetzt für uns wichtigere
Dinge zu thun, als sich in die Kissen zu legen und gelangweilt dreinzuschauen!
Sie haben Recht, Herr Professor, wir Frauen sind im Grunde ein eitles,
oberflächliches, genußsüchtiges Geschlecht. Auf den Straßen, in den Anlagen,
auf den Sportplätzen, in den Vergnüguugsorten, in den Läden wimmelt es
von lustwandelnder, nur auf Genuß bedachten jungen und alten Weibern. Sie
sitzen in den Konzerthüusern eine neben der andern mit einer so wichtigen
Miene, als hinge von ihrer Anwesenheit das Glück vieler Tausende ab. In
ganzen Scharen stehen sie vor den Schaufenstern der Modemagazine; vor den
Buchläden sieht man keine. Sie füllen unsre Theater von oben bis unten und
ziehen die Kunst herunter, indem sie kritiklos den thörichtsten und den frivolsten
Dingen Beifall spenden. Sie tänzeln in den Salons und auf den Bazars umher
und entwürdigen die schöne Tugend der Wohlthätigkeit zu einem prahlerischer
Gewerbe. Sie drängen sich zum Zeitvertreib, zur Abwechslung oder aus Neu-
gierde in die Kirchen -- unsre sogenannten gebildeten Frauen und Mädchen sind
überall zu finden, nur nicht da, wo es im stillen zu arbeiten und im stillen
etwas ordentliches zu schaffen giebt. Sie haben ganz Recht, für die meisten
unsers Geschlechts ist das Leben ein großer Kotillon, für den sie erzogen werden,
nud von dem sie möglichst viele, abwechslungsreiche Touren erwarten. Welch
ein entsetzliches Unglück, wenn dann einmal eine Tour ausfällt! Diese Art von
Frauen will gefeiert werden, wie die geheimnisvolle Base im Märchen. Und
dazu kommt die große Gruppe der selbstgerechten, unfehlbaren, pharisäerhafte"
und engherzigen Philisterweiber. Es ist richtig, Herr Professor, das Weib ist sich
selbst der größte Feind, und deshalb komme ich zu Ihnen, weil ich mir offnen,
ehrlichen Rat holen will. Sie sind ein etwas grober Herr, verzeihen Sie, aber
umsomehr bin ich überzeugt, daß Sie mir die Wahrheit sagen werden.

Der Professor suchte im Zimmer uach seinem Rock, aber Franz hatte
ihn mit hinaufgenommen. Fräulein Schmidt bat ihn, sich ihretwegen keine
Unbequemlichkeiten zu machen, und so blieb er in Hemdsärmeln. Sie setzte
sich auf seineu Wink und fuhr dann fort: Ich muß jetzt gründlich arbeiten,
lernen, studiren. Ich habe ja immer gearbeitet, in der Schule, auf dem Se¬
minar, im Auslande, in Oxford, in Paris, wo ich mir das Zeugnis als
^ArvFvö I'uuivörsM erworben habe. Aber das Arbeiten war mehr die
Thätigkeit eines Geldwechslers, der Geldstücke einnimmt und ausgiebt, ohne
darnach zu fragen, wo sie herkommen und wie sie entstanden sind. Mit meinem
ganzen Wissen bewege ich mich, um die Wahrheit zu fügen, auf einem schwan¬
kendem Moorboden. Das ist ein unheimlicher Zustand. Mir fehlt die feste
Grundlage für meine Sprach- und Litteraturstudien, und die kann ich mir
nnr auf einer deutschen Universität verschaffen. Ich habe so viel Zutrauen


Bilder aus dem Universttätsleben

möchte ich immer in den Wagen springen, sie an den Schultern packen, sie
schütteln und ihr ins Gesicht schreien: Schlaf nicht, dn faule Drohne, arbeite,
arbeite für deine hungernden Mitschwestern! Es giebt jetzt für uns wichtigere
Dinge zu thun, als sich in die Kissen zu legen und gelangweilt dreinzuschauen!
Sie haben Recht, Herr Professor, wir Frauen sind im Grunde ein eitles,
oberflächliches, genußsüchtiges Geschlecht. Auf den Straßen, in den Anlagen,
auf den Sportplätzen, in den Vergnüguugsorten, in den Läden wimmelt es
von lustwandelnder, nur auf Genuß bedachten jungen und alten Weibern. Sie
sitzen in den Konzerthüusern eine neben der andern mit einer so wichtigen
Miene, als hinge von ihrer Anwesenheit das Glück vieler Tausende ab. In
ganzen Scharen stehen sie vor den Schaufenstern der Modemagazine; vor den
Buchläden sieht man keine. Sie füllen unsre Theater von oben bis unten und
ziehen die Kunst herunter, indem sie kritiklos den thörichtsten und den frivolsten
Dingen Beifall spenden. Sie tänzeln in den Salons und auf den Bazars umher
und entwürdigen die schöne Tugend der Wohlthätigkeit zu einem prahlerischer
Gewerbe. Sie drängen sich zum Zeitvertreib, zur Abwechslung oder aus Neu-
gierde in die Kirchen — unsre sogenannten gebildeten Frauen und Mädchen sind
überall zu finden, nur nicht da, wo es im stillen zu arbeiten und im stillen
etwas ordentliches zu schaffen giebt. Sie haben ganz Recht, für die meisten
unsers Geschlechts ist das Leben ein großer Kotillon, für den sie erzogen werden,
nud von dem sie möglichst viele, abwechslungsreiche Touren erwarten. Welch
ein entsetzliches Unglück, wenn dann einmal eine Tour ausfällt! Diese Art von
Frauen will gefeiert werden, wie die geheimnisvolle Base im Märchen. Und
dazu kommt die große Gruppe der selbstgerechten, unfehlbaren, pharisäerhafte»
und engherzigen Philisterweiber. Es ist richtig, Herr Professor, das Weib ist sich
selbst der größte Feind, und deshalb komme ich zu Ihnen, weil ich mir offnen,
ehrlichen Rat holen will. Sie sind ein etwas grober Herr, verzeihen Sie, aber
umsomehr bin ich überzeugt, daß Sie mir die Wahrheit sagen werden.

Der Professor suchte im Zimmer uach seinem Rock, aber Franz hatte
ihn mit hinaufgenommen. Fräulein Schmidt bat ihn, sich ihretwegen keine
Unbequemlichkeiten zu machen, und so blieb er in Hemdsärmeln. Sie setzte
sich auf seineu Wink und fuhr dann fort: Ich muß jetzt gründlich arbeiten,
lernen, studiren. Ich habe ja immer gearbeitet, in der Schule, auf dem Se¬
minar, im Auslande, in Oxford, in Paris, wo ich mir das Zeugnis als
^ArvFvö I'uuivörsM erworben habe. Aber das Arbeiten war mehr die
Thätigkeit eines Geldwechslers, der Geldstücke einnimmt und ausgiebt, ohne
darnach zu fragen, wo sie herkommen und wie sie entstanden sind. Mit meinem
ganzen Wissen bewege ich mich, um die Wahrheit zu fügen, auf einem schwan¬
kendem Moorboden. Das ist ein unheimlicher Zustand. Mir fehlt die feste
Grundlage für meine Sprach- und Litteraturstudien, und die kann ich mir
nnr auf einer deutschen Universität verschaffen. Ich habe so viel Zutrauen


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[0188] Bilder aus dem Universttätsleben möchte ich immer in den Wagen springen, sie an den Schultern packen, sie schütteln und ihr ins Gesicht schreien: Schlaf nicht, dn faule Drohne, arbeite, arbeite für deine hungernden Mitschwestern! Es giebt jetzt für uns wichtigere Dinge zu thun, als sich in die Kissen zu legen und gelangweilt dreinzuschauen! Sie haben Recht, Herr Professor, wir Frauen sind im Grunde ein eitles, oberflächliches, genußsüchtiges Geschlecht. Auf den Straßen, in den Anlagen, auf den Sportplätzen, in den Vergnüguugsorten, in den Läden wimmelt es von lustwandelnder, nur auf Genuß bedachten jungen und alten Weibern. Sie sitzen in den Konzerthüusern eine neben der andern mit einer so wichtigen Miene, als hinge von ihrer Anwesenheit das Glück vieler Tausende ab. In ganzen Scharen stehen sie vor den Schaufenstern der Modemagazine; vor den Buchläden sieht man keine. Sie füllen unsre Theater von oben bis unten und ziehen die Kunst herunter, indem sie kritiklos den thörichtsten und den frivolsten Dingen Beifall spenden. Sie tänzeln in den Salons und auf den Bazars umher und entwürdigen die schöne Tugend der Wohlthätigkeit zu einem prahlerischer Gewerbe. Sie drängen sich zum Zeitvertreib, zur Abwechslung oder aus Neu- gierde in die Kirchen — unsre sogenannten gebildeten Frauen und Mädchen sind überall zu finden, nur nicht da, wo es im stillen zu arbeiten und im stillen etwas ordentliches zu schaffen giebt. Sie haben ganz Recht, für die meisten unsers Geschlechts ist das Leben ein großer Kotillon, für den sie erzogen werden, nud von dem sie möglichst viele, abwechslungsreiche Touren erwarten. Welch ein entsetzliches Unglück, wenn dann einmal eine Tour ausfällt! Diese Art von Frauen will gefeiert werden, wie die geheimnisvolle Base im Märchen. Und dazu kommt die große Gruppe der selbstgerechten, unfehlbaren, pharisäerhafte» und engherzigen Philisterweiber. Es ist richtig, Herr Professor, das Weib ist sich selbst der größte Feind, und deshalb komme ich zu Ihnen, weil ich mir offnen, ehrlichen Rat holen will. Sie sind ein etwas grober Herr, verzeihen Sie, aber umsomehr bin ich überzeugt, daß Sie mir die Wahrheit sagen werden. Der Professor suchte im Zimmer uach seinem Rock, aber Franz hatte ihn mit hinaufgenommen. Fräulein Schmidt bat ihn, sich ihretwegen keine Unbequemlichkeiten zu machen, und so blieb er in Hemdsärmeln. Sie setzte sich auf seineu Wink und fuhr dann fort: Ich muß jetzt gründlich arbeiten, lernen, studiren. Ich habe ja immer gearbeitet, in der Schule, auf dem Se¬ minar, im Auslande, in Oxford, in Paris, wo ich mir das Zeugnis als ^ArvFvö I'uuivörsM erworben habe. Aber das Arbeiten war mehr die Thätigkeit eines Geldwechslers, der Geldstücke einnimmt und ausgiebt, ohne darnach zu fragen, wo sie herkommen und wie sie entstanden sind. Mit meinem ganzen Wissen bewege ich mich, um die Wahrheit zu fügen, auf einem schwan¬ kendem Moorboden. Das ist ein unheimlicher Zustand. Mir fehlt die feste Grundlage für meine Sprach- und Litteraturstudien, und die kann ich mir nnr auf einer deutschen Universität verschaffen. Ich habe so viel Zutrauen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/188>, abgerufen am 22.07.2024.