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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Friedrich Hölderlin

rieths Klinik zu Tübingen als vergeblich erwies, die bedenklichen Anfälle von
Tobsucht aber einer stillen Verblödung Platz machten, so that man bekanntlich
das beste, was man überhaupt für ihn thun konnte, man vertraute ihn der
Pflege einer wackern Tübinger Bürgerfamilie an, die sich warmherzig und in
nicht ermüdender Sorgfalt des Kranken annahm.

Im Hause des Tischlermeisters Zimmer verlebte Hölderlin die langen
Jahre von 1807 bis t843, ein Gegenstand schmerzlicher Teilnahme für tiefere,
täppischer Neugier für flachere Naturen. Hindämmernd in verworrenen Selbst¬
gesprächen und gelegentlichen kurzen Unterredungen, abgerissene Verse schreibend,
in denen hie und da ein Funke des ursprünglichen Geistes aufzuckte, und in
denen immer noch ein Nest des sichern Blicks für die stillen Reize der Natur
sichtbar wurde, in hilfloser Gefügigkeit gegenüber seinen Pflegern und Be¬
suchern rennen ihm die Tage, die Monde, die Jahre hin, für die er Bewußt¬
sein und Unterscheidung verloren hatte. Mit tiefer Bewegung liest man, wie
sich der Schatten seines Selbstgefühls in der unschädlichen Eitelkeit zeigte,
daß er von seiner Umgebung den Bibliothekartitel verlangte, den er zuletzt
geführt hatte, daß er den "Hyperion" aufgeschlagen auf seinem Tische hatte
und sich häufig Stellen ans diesem Gedichte in Prosa mit lauter Stimme
vorlas, und daß ihm mitten in seiner Geistesmacht Gefühl und Gewohnheit
des Edeln und Wohlanständigen treu blieben, daß er in seinen verwirrtesten
und heftigsten Augenblicken nie ein unschönes oder unfreundliches Wort sagte.
Nur allzusehr hatte sich ihm erfüllt, was er aus der Tiefe seiner Liebe und
seiner Menschenscheu heraus Hyperion im ersten Buche des Romans sagen
läßt: "Ich überdachte stiller mein Schicksal, meinen Glauben an die Welt,
meine trostlose" Erfahrungen, ich betrachtete den Menschen, wie ich ihn em¬
pfunden und erkannt von früher Jugend an in mannichfaltigen Beziehungen,
fand überall dumpfen oder schreienden Mißlaut, nnr in kindlicher einfältiger
Beschränkung sand ich noch die reinen Melodien -- es ist besser, sagt ich
mir, zur Biene zu werden und sein Haus zu bauen in Unschuld, als zu
herrschen mit den Herren der Welt und, wie mit Wölfen, zu heulen mit ihnen,
als Völker zu meistern und an dem unreinen Stoff sich die Hände zu be¬
flecken; ich wollte nach Tira zurück, um meinen Gärten und Feldern zu leben."

Seine Gärten und Felder hätten ihm die höchsten und reinsten Schöpfungen
der Kunst bedeutet, denen Ebenbürtiges anzureihen die Sehnsucht seines Lebens
gewesen wäre. Sollen wir sagen, die unerfüllte Sehnsucht? Wenn wir be¬
denken, wie verschwindend gering die Zahl derer ist, die sich in Hölderlins
Seele, seine Lyrik (denn anch "Hyperion" ist Lyrik) versenken mochten und
mögen, würden wir wohl so sagen müssen. Erinnern wir uns aber, daß es
doch einzelne giebt und voraussichtlich immer geben wird, die sich dem Zauber
seines Wesens nicht entziehen können, so gilt zuletzt, was er in der Ode
"Dichtermut" gesungen hat:


Friedrich Hölderlin

rieths Klinik zu Tübingen als vergeblich erwies, die bedenklichen Anfälle von
Tobsucht aber einer stillen Verblödung Platz machten, so that man bekanntlich
das beste, was man überhaupt für ihn thun konnte, man vertraute ihn der
Pflege einer wackern Tübinger Bürgerfamilie an, die sich warmherzig und in
nicht ermüdender Sorgfalt des Kranken annahm.

Im Hause des Tischlermeisters Zimmer verlebte Hölderlin die langen
Jahre von 1807 bis t843, ein Gegenstand schmerzlicher Teilnahme für tiefere,
täppischer Neugier für flachere Naturen. Hindämmernd in verworrenen Selbst¬
gesprächen und gelegentlichen kurzen Unterredungen, abgerissene Verse schreibend,
in denen hie und da ein Funke des ursprünglichen Geistes aufzuckte, und in
denen immer noch ein Nest des sichern Blicks für die stillen Reize der Natur
sichtbar wurde, in hilfloser Gefügigkeit gegenüber seinen Pflegern und Be¬
suchern rennen ihm die Tage, die Monde, die Jahre hin, für die er Bewußt¬
sein und Unterscheidung verloren hatte. Mit tiefer Bewegung liest man, wie
sich der Schatten seines Selbstgefühls in der unschädlichen Eitelkeit zeigte,
daß er von seiner Umgebung den Bibliothekartitel verlangte, den er zuletzt
geführt hatte, daß er den „Hyperion" aufgeschlagen auf seinem Tische hatte
und sich häufig Stellen ans diesem Gedichte in Prosa mit lauter Stimme
vorlas, und daß ihm mitten in seiner Geistesmacht Gefühl und Gewohnheit
des Edeln und Wohlanständigen treu blieben, daß er in seinen verwirrtesten
und heftigsten Augenblicken nie ein unschönes oder unfreundliches Wort sagte.
Nur allzusehr hatte sich ihm erfüllt, was er aus der Tiefe seiner Liebe und
seiner Menschenscheu heraus Hyperion im ersten Buche des Romans sagen
läßt: „Ich überdachte stiller mein Schicksal, meinen Glauben an die Welt,
meine trostlose» Erfahrungen, ich betrachtete den Menschen, wie ich ihn em¬
pfunden und erkannt von früher Jugend an in mannichfaltigen Beziehungen,
fand überall dumpfen oder schreienden Mißlaut, nnr in kindlicher einfältiger
Beschränkung sand ich noch die reinen Melodien — es ist besser, sagt ich
mir, zur Biene zu werden und sein Haus zu bauen in Unschuld, als zu
herrschen mit den Herren der Welt und, wie mit Wölfen, zu heulen mit ihnen,
als Völker zu meistern und an dem unreinen Stoff sich die Hände zu be¬
flecken; ich wollte nach Tira zurück, um meinen Gärten und Feldern zu leben."

Seine Gärten und Felder hätten ihm die höchsten und reinsten Schöpfungen
der Kunst bedeutet, denen Ebenbürtiges anzureihen die Sehnsucht seines Lebens
gewesen wäre. Sollen wir sagen, die unerfüllte Sehnsucht? Wenn wir be¬
denken, wie verschwindend gering die Zahl derer ist, die sich in Hölderlins
Seele, seine Lyrik (denn anch „Hyperion" ist Lyrik) versenken mochten und
mögen, würden wir wohl so sagen müssen. Erinnern wir uns aber, daß es
doch einzelne giebt und voraussichtlich immer geben wird, die sich dem Zauber
seines Wesens nicht entziehen können, so gilt zuletzt, was er in der Ode
„Dichtermut" gesungen hat:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/180>, abgerufen am 22.12.2024.