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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Friedrich Hölderlin

rohen Eifersuchtsszene Hölderlin tief und tötlich verletzt habe, oder ob man
ohne Erklärungen scheinbar kalt und ruhig schied, gleichviel, ob er Diotima
von Homburg aus zu einem letzten Abschied wieder sah oder Wonne und Weh
dieses Abschieds nur träumte, er litt im September 1798 die Trennung von
der Frau, die ihm seine Welt geworden war. Den Nachklang dieser Tage
vernehmen wir aus Hyperions Worten: ,,Da wollt ich sterben, Diotima, und
ich glaubt ein heilig Werk zu thun. Aber wie kann das heilig sein, was
Liebende trennt? wie kann das heilig sein, was unsers Lebens frommes Glück
zerrüttet?"

Je reiner Hölderlins Verhältnis zu Frau Goulard gewesen war, um so
tiefer mußte sich der Stachel in seine Seele senken, daß die Welt ihm auch
das zertreten hatte, daß die Wirklichkeit keine Form für die Empfindung und
das Recht tiefinnigen Seelenverständnisfes hatte. Mit der wachsenden Einsicht,
daß er das Gelebte nicht noch einmal leben, nicht fortleben könnte, legte sich
neuer Schatten der Schwermut über seine innere Welt. Alles, was er im
Leben noch versuchte, sich emporzurichten, blieb vergeblich, die Gewalt der
schmerzlichen Erinnerung beugte und zog ihn nieder, und schmerzlich bekennt
Menons Klage um Diotima: Sie haben mein Auge mir genommen, auch mich
hab ich verloren mit ihr!

Er verlebte in Homburg, in der Nähe seines Freundes, des Regierungs¬
rath Sinclair, ein stilles den Musen gewidmetes Jahr, vollendete den "Hyperion,"
und dichtete an jenem Trauerspiel "Empedokles," von dem uns ein bedeutendes
Fragment erhalten ist. Er versuchte unter Sinclairs beständiger freundschaft¬
licher Leitung dem Leben wieder näherzutreten, begleitete im November 1799
den Freund zum Kongreß von Rnstatt, der freilich keinem Dichter und am
wenigsten einem Dichter seiner Art etwas sein konnte, knüpfte selbst eine
Verbindung mit dem kunstsinnigen kleinen Landgrafenhofe von Homburg an,
erkannte aber doch wiederum seine Unfähigkeit, von dem Ertrage seiner Feder
zu leben. "Weißt Du die Wurzel alles meines Übels? Ich möchte der Kunst
leben, an der mein Herz hängt, und muß mich herumarbeiten unter den Menschen,
daß ich oft so herzlich lebensmüde bin. Und warum das? Weil die Kunst
wohl ihre Meister, aber den Schüler nicht nährt," hatte er noch in der letzten
Frankfurter Zeit seinem Stiefbruder Karl zugerufen. So wurde ihm auch in
dein letzten Jahre des Jahrhunderts der Sommer nicht zu teil, um den er die
Parzen gebeten hatte:

Das äußere Bedürfnis, das ihm, nach dem Leben der Frankfurter Jahre,
armseliger und verächtlicher als je erschien, trieb ihn in die Heimat zurück,


Friedrich Hölderlin

rohen Eifersuchtsszene Hölderlin tief und tötlich verletzt habe, oder ob man
ohne Erklärungen scheinbar kalt und ruhig schied, gleichviel, ob er Diotima
von Homburg aus zu einem letzten Abschied wieder sah oder Wonne und Weh
dieses Abschieds nur träumte, er litt im September 1798 die Trennung von
der Frau, die ihm seine Welt geworden war. Den Nachklang dieser Tage
vernehmen wir aus Hyperions Worten: ,,Da wollt ich sterben, Diotima, und
ich glaubt ein heilig Werk zu thun. Aber wie kann das heilig sein, was
Liebende trennt? wie kann das heilig sein, was unsers Lebens frommes Glück
zerrüttet?"

Je reiner Hölderlins Verhältnis zu Frau Goulard gewesen war, um so
tiefer mußte sich der Stachel in seine Seele senken, daß die Welt ihm auch
das zertreten hatte, daß die Wirklichkeit keine Form für die Empfindung und
das Recht tiefinnigen Seelenverständnisfes hatte. Mit der wachsenden Einsicht,
daß er das Gelebte nicht noch einmal leben, nicht fortleben könnte, legte sich
neuer Schatten der Schwermut über seine innere Welt. Alles, was er im
Leben noch versuchte, sich emporzurichten, blieb vergeblich, die Gewalt der
schmerzlichen Erinnerung beugte und zog ihn nieder, und schmerzlich bekennt
Menons Klage um Diotima: Sie haben mein Auge mir genommen, auch mich
hab ich verloren mit ihr!

Er verlebte in Homburg, in der Nähe seines Freundes, des Regierungs¬
rath Sinclair, ein stilles den Musen gewidmetes Jahr, vollendete den „Hyperion,"
und dichtete an jenem Trauerspiel „Empedokles," von dem uns ein bedeutendes
Fragment erhalten ist. Er versuchte unter Sinclairs beständiger freundschaft¬
licher Leitung dem Leben wieder näherzutreten, begleitete im November 1799
den Freund zum Kongreß von Rnstatt, der freilich keinem Dichter und am
wenigsten einem Dichter seiner Art etwas sein konnte, knüpfte selbst eine
Verbindung mit dem kunstsinnigen kleinen Landgrafenhofe von Homburg an,
erkannte aber doch wiederum seine Unfähigkeit, von dem Ertrage seiner Feder
zu leben. „Weißt Du die Wurzel alles meines Übels? Ich möchte der Kunst
leben, an der mein Herz hängt, und muß mich herumarbeiten unter den Menschen,
daß ich oft so herzlich lebensmüde bin. Und warum das? Weil die Kunst
wohl ihre Meister, aber den Schüler nicht nährt," hatte er noch in der letzten
Frankfurter Zeit seinem Stiefbruder Karl zugerufen. So wurde ihm auch in
dein letzten Jahre des Jahrhunderts der Sommer nicht zu teil, um den er die
Parzen gebeten hatte:

Das äußere Bedürfnis, das ihm, nach dem Leben der Frankfurter Jahre,
armseliger und verächtlicher als je erschien, trieb ihn in die Heimat zurück,


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[0178] Friedrich Hölderlin rohen Eifersuchtsszene Hölderlin tief und tötlich verletzt habe, oder ob man ohne Erklärungen scheinbar kalt und ruhig schied, gleichviel, ob er Diotima von Homburg aus zu einem letzten Abschied wieder sah oder Wonne und Weh dieses Abschieds nur träumte, er litt im September 1798 die Trennung von der Frau, die ihm seine Welt geworden war. Den Nachklang dieser Tage vernehmen wir aus Hyperions Worten: ,,Da wollt ich sterben, Diotima, und ich glaubt ein heilig Werk zu thun. Aber wie kann das heilig sein, was Liebende trennt? wie kann das heilig sein, was unsers Lebens frommes Glück zerrüttet?" Je reiner Hölderlins Verhältnis zu Frau Goulard gewesen war, um so tiefer mußte sich der Stachel in seine Seele senken, daß die Welt ihm auch das zertreten hatte, daß die Wirklichkeit keine Form für die Empfindung und das Recht tiefinnigen Seelenverständnisfes hatte. Mit der wachsenden Einsicht, daß er das Gelebte nicht noch einmal leben, nicht fortleben könnte, legte sich neuer Schatten der Schwermut über seine innere Welt. Alles, was er im Leben noch versuchte, sich emporzurichten, blieb vergeblich, die Gewalt der schmerzlichen Erinnerung beugte und zog ihn nieder, und schmerzlich bekennt Menons Klage um Diotima: Sie haben mein Auge mir genommen, auch mich hab ich verloren mit ihr! Er verlebte in Homburg, in der Nähe seines Freundes, des Regierungs¬ rath Sinclair, ein stilles den Musen gewidmetes Jahr, vollendete den „Hyperion," und dichtete an jenem Trauerspiel „Empedokles," von dem uns ein bedeutendes Fragment erhalten ist. Er versuchte unter Sinclairs beständiger freundschaft¬ licher Leitung dem Leben wieder näherzutreten, begleitete im November 1799 den Freund zum Kongreß von Rnstatt, der freilich keinem Dichter und am wenigsten einem Dichter seiner Art etwas sein konnte, knüpfte selbst eine Verbindung mit dem kunstsinnigen kleinen Landgrafenhofe von Homburg an, erkannte aber doch wiederum seine Unfähigkeit, von dem Ertrage seiner Feder zu leben. „Weißt Du die Wurzel alles meines Übels? Ich möchte der Kunst leben, an der mein Herz hängt, und muß mich herumarbeiten unter den Menschen, daß ich oft so herzlich lebensmüde bin. Und warum das? Weil die Kunst wohl ihre Meister, aber den Schüler nicht nährt," hatte er noch in der letzten Frankfurter Zeit seinem Stiefbruder Karl zugerufen. So wurde ihm auch in dein letzten Jahre des Jahrhunderts der Sommer nicht zu teil, um den er die Parzen gebeten hatte: Das äußere Bedürfnis, das ihm, nach dem Leben der Frankfurter Jahre, armseliger und verächtlicher als je erschien, trieb ihn in die Heimat zurück,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/178>, abgerufen am 25.08.2024.