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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Friedrich Hölderlin

noch der Diotimagedichte, laßt schließen, daß Frau Goulard andre als freund¬
schaftliche Gefühle für Hölderlin gehegt habe." Bei der geistigen Anlage
Hölderlins, bei dem erhöhten feierlichen Ausdruck, den er der zartesten Regung
seines Innern giebt, bei der unbedingten rückhaltlosen Hingebung an dieses
stärkste, unüberwindbarste Gefiihl seines Lebens, heiße es uun hoffnungslose
Liebe oder heilige Freundschaft, wird die Streitfrage nie entschieden werden
und um so mehr einer unvermeidlich subjektiven Lösung anheim fallen, als
die unmittelbaren Zeugnisse, die etwaigen Briefe Diotimas und Hyperions,
d, i, Susette Gontards und Hölderlins, absichtlich vernichtet worden zu sein
scheinen. Für die Katastrophe in Hölderlins Leben und die Wirkung der
selig-unseligen Jahre zwischen 1796 und 1798 ist es überdies ganz gleich, ob
man die Empfindung des Dichters für die schöne und edle Frau, sein Er¬
griffensein von dem ganzen Werte dieser seltenen Natur Liebe oder Freund¬
schaft nennt.

Hatten ihm glühende Träume, die nicht Leben werden durften, das Glück
gezeigt, eine solche Frau zu besitzen, mußte er eine Leidenschaft niederkämpfen,
so blieb ihm als dieses Leiden die Gewißheit in der Seele, daß kein zweites
Wesen lebe wie die, die ihm versagt war. Hegte aber Hölderlins Seele nur
Freundschaft für sie, war ihm ihre Ruhe und ihr Mutterglück heilig, genügte
es ihm, daß sie seinen Genius ehrte und sich in seiner geistigen Welt heimisch
fühlte -- um so viel schlimmer dann. Leichter hätte eine glühende Wallung
der Leidenschaft, ein Wagnis alles vergessender Liebe Wirklichkeit werden
können, als eine bleibende Freundschaft zwischen der Frau des patrizischen
Kaufherrn und dem jungen schwäbischen Magister. Er forderte die Freund¬
schaft einer Dame, die nach dem Willen ihres Gatten und den Lebens-
anschauungen ihrer Kreise in ihm nur den ersten Bedienten ihres Haushalts
sehen sollte. Er Hütte voraussehen können, daß dieser Seelenbund gegenüber
den Verhältnissen und Vorurteilen des Tages eine Unmöglichkeit war, daß der
Versuch, ihn durch Beharren in seiner Stellung zu erhalten, ihn selbst und
die vergötterte Freundin mit Bitterkeiten und brennenden Demütigungen be¬
drohte. Aber freilich: "wie sehr der Mensch genötigt ist, um sein einzelnes,
einseitiges, ohnmächtiges Wesen nur zu etwas zu macheu, gegen Verhältnisse,
die ihm widersprechen, die Augen zuzuschließen und sich mit der größten Energie
zu sträuben, glaubt man seiner eignen Anschauung nicht, und doch liegt auch
hiervon der Grund in dem Tiefern, Bessern der menschlichen Natur, da er
Praktisch immer eoustitutiv sein muß und sich eigentlich um das, was geschehe,:
könnte, nicht zu bekümmern hat, sondern um das, was geschehen sollte." Dies
Gvethische Weisheitswort, um eben diese Zeit bei ganz anderm Anlaß ge¬
sprochen (Goethe um Schiller, Weimar, 10. Februar 1798), traf auf Hölderlins
Lage im Gvntardschen Hanse zu, kurz ehe der Bruch eintrat.

Gleichviel, ob es Wahrheit oder Sage ist, daß Susettes Gemahl in einer


Grenzlinien IV 1892 ^
Friedrich Hölderlin

noch der Diotimagedichte, laßt schließen, daß Frau Goulard andre als freund¬
schaftliche Gefühle für Hölderlin gehegt habe." Bei der geistigen Anlage
Hölderlins, bei dem erhöhten feierlichen Ausdruck, den er der zartesten Regung
seines Innern giebt, bei der unbedingten rückhaltlosen Hingebung an dieses
stärkste, unüberwindbarste Gefiihl seines Lebens, heiße es uun hoffnungslose
Liebe oder heilige Freundschaft, wird die Streitfrage nie entschieden werden
und um so mehr einer unvermeidlich subjektiven Lösung anheim fallen, als
die unmittelbaren Zeugnisse, die etwaigen Briefe Diotimas und Hyperions,
d, i, Susette Gontards und Hölderlins, absichtlich vernichtet worden zu sein
scheinen. Für die Katastrophe in Hölderlins Leben und die Wirkung der
selig-unseligen Jahre zwischen 1796 und 1798 ist es überdies ganz gleich, ob
man die Empfindung des Dichters für die schöne und edle Frau, sein Er¬
griffensein von dem ganzen Werte dieser seltenen Natur Liebe oder Freund¬
schaft nennt.

Hatten ihm glühende Träume, die nicht Leben werden durften, das Glück
gezeigt, eine solche Frau zu besitzen, mußte er eine Leidenschaft niederkämpfen,
so blieb ihm als dieses Leiden die Gewißheit in der Seele, daß kein zweites
Wesen lebe wie die, die ihm versagt war. Hegte aber Hölderlins Seele nur
Freundschaft für sie, war ihm ihre Ruhe und ihr Mutterglück heilig, genügte
es ihm, daß sie seinen Genius ehrte und sich in seiner geistigen Welt heimisch
fühlte — um so viel schlimmer dann. Leichter hätte eine glühende Wallung
der Leidenschaft, ein Wagnis alles vergessender Liebe Wirklichkeit werden
können, als eine bleibende Freundschaft zwischen der Frau des patrizischen
Kaufherrn und dem jungen schwäbischen Magister. Er forderte die Freund¬
schaft einer Dame, die nach dem Willen ihres Gatten und den Lebens-
anschauungen ihrer Kreise in ihm nur den ersten Bedienten ihres Haushalts
sehen sollte. Er Hütte voraussehen können, daß dieser Seelenbund gegenüber
den Verhältnissen und Vorurteilen des Tages eine Unmöglichkeit war, daß der
Versuch, ihn durch Beharren in seiner Stellung zu erhalten, ihn selbst und
die vergötterte Freundin mit Bitterkeiten und brennenden Demütigungen be¬
drohte. Aber freilich: „wie sehr der Mensch genötigt ist, um sein einzelnes,
einseitiges, ohnmächtiges Wesen nur zu etwas zu macheu, gegen Verhältnisse,
die ihm widersprechen, die Augen zuzuschließen und sich mit der größten Energie
zu sträuben, glaubt man seiner eignen Anschauung nicht, und doch liegt auch
hiervon der Grund in dem Tiefern, Bessern der menschlichen Natur, da er
Praktisch immer eoustitutiv sein muß und sich eigentlich um das, was geschehe,:
könnte, nicht zu bekümmern hat, sondern um das, was geschehen sollte." Dies
Gvethische Weisheitswort, um eben diese Zeit bei ganz anderm Anlaß ge¬
sprochen (Goethe um Schiller, Weimar, 10. Februar 1798), traf auf Hölderlins
Lage im Gvntardschen Hanse zu, kurz ehe der Bruch eintrat.

Gleichviel, ob es Wahrheit oder Sage ist, daß Susettes Gemahl in einer


Grenzlinien IV 1892 ^
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[0177] Friedrich Hölderlin noch der Diotimagedichte, laßt schließen, daß Frau Goulard andre als freund¬ schaftliche Gefühle für Hölderlin gehegt habe." Bei der geistigen Anlage Hölderlins, bei dem erhöhten feierlichen Ausdruck, den er der zartesten Regung seines Innern giebt, bei der unbedingten rückhaltlosen Hingebung an dieses stärkste, unüberwindbarste Gefiihl seines Lebens, heiße es uun hoffnungslose Liebe oder heilige Freundschaft, wird die Streitfrage nie entschieden werden und um so mehr einer unvermeidlich subjektiven Lösung anheim fallen, als die unmittelbaren Zeugnisse, die etwaigen Briefe Diotimas und Hyperions, d, i, Susette Gontards und Hölderlins, absichtlich vernichtet worden zu sein scheinen. Für die Katastrophe in Hölderlins Leben und die Wirkung der selig-unseligen Jahre zwischen 1796 und 1798 ist es überdies ganz gleich, ob man die Empfindung des Dichters für die schöne und edle Frau, sein Er¬ griffensein von dem ganzen Werte dieser seltenen Natur Liebe oder Freund¬ schaft nennt. Hatten ihm glühende Träume, die nicht Leben werden durften, das Glück gezeigt, eine solche Frau zu besitzen, mußte er eine Leidenschaft niederkämpfen, so blieb ihm als dieses Leiden die Gewißheit in der Seele, daß kein zweites Wesen lebe wie die, die ihm versagt war. Hegte aber Hölderlins Seele nur Freundschaft für sie, war ihm ihre Ruhe und ihr Mutterglück heilig, genügte es ihm, daß sie seinen Genius ehrte und sich in seiner geistigen Welt heimisch fühlte — um so viel schlimmer dann. Leichter hätte eine glühende Wallung der Leidenschaft, ein Wagnis alles vergessender Liebe Wirklichkeit werden können, als eine bleibende Freundschaft zwischen der Frau des patrizischen Kaufherrn und dem jungen schwäbischen Magister. Er forderte die Freund¬ schaft einer Dame, die nach dem Willen ihres Gatten und den Lebens- anschauungen ihrer Kreise in ihm nur den ersten Bedienten ihres Haushalts sehen sollte. Er Hütte voraussehen können, daß dieser Seelenbund gegenüber den Verhältnissen und Vorurteilen des Tages eine Unmöglichkeit war, daß der Versuch, ihn durch Beharren in seiner Stellung zu erhalten, ihn selbst und die vergötterte Freundin mit Bitterkeiten und brennenden Demütigungen be¬ drohte. Aber freilich: „wie sehr der Mensch genötigt ist, um sein einzelnes, einseitiges, ohnmächtiges Wesen nur zu etwas zu macheu, gegen Verhältnisse, die ihm widersprechen, die Augen zuzuschließen und sich mit der größten Energie zu sträuben, glaubt man seiner eignen Anschauung nicht, und doch liegt auch hiervon der Grund in dem Tiefern, Bessern der menschlichen Natur, da er Praktisch immer eoustitutiv sein muß und sich eigentlich um das, was geschehe,: könnte, nicht zu bekümmern hat, sondern um das, was geschehen sollte." Dies Gvethische Weisheitswort, um eben diese Zeit bei ganz anderm Anlaß ge¬ sprochen (Goethe um Schiller, Weimar, 10. Februar 1798), traf auf Hölderlins Lage im Gvntardschen Hanse zu, kurz ehe der Bruch eintrat. Gleichviel, ob es Wahrheit oder Sage ist, daß Susettes Gemahl in einer Grenzlinien IV 1892 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/177>, abgerufen am 22.12.2024.