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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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mersch! Welcher von den Friedensfischeru mag diese Perle aus dem Ozean
des Lebens ans Licht gehoben haben? fragst du, lieber Leser. Nun, diesmal
war es eine Fischerin. Gedenkt man aber der epidemisch gewordnen Titel¬
sucht der Menschen, so kann man nicht leugnen, daß das Kunstfeuerwerk in
Bern bestens vorbereitet war. Die Pyrotechniker männlichen und weiblichen
Geschlechts konnten stolz von dem Schauplatz ihrer Thätigkeit ans bunt leuch¬
tende Schwärmer in die Luft steigen lassen, die in wunderbaren Verschlin¬
gungen an den schwarzen Nachthimmel die Inschrift zeichneten: "Wir sind die
Retter der Menschheit -- und: die Besten dieser Menschheit stehn hinter uns!"

Nur gut, daß es noch andre Maße als das Weltfriedenskongreßmaß giebt,
sonst wäre es wirklich recht traurig um die Welt bestellt.

Retter der Menschheit! Waren wir denn so ganz verloren? Unwillkürlich
kommt man auf den Gedanken, daß die Herrschaften von sich auf andre
schließen. Und welchen verständigen Menschen könnte es wundern, daß die
Bewohner jenes weltverlvruen Wolkenkuckucksheim dem Bewußtsein des eignen
Verlorenseins in sich Raum geben? Wir, die wir hier unter mit unsern Füßen
auf dem Boden der heimischen Erde stehn, wir haben uns bis zu diesem er¬
hebenden Bewußtsein noch nicht emporgearbeitet. Wir sehen in den Bestre¬
bungen der Regierungen, insbesondre unsrer Negierung, zur Erhaltung eines
segensreichen und ehrenvollen Friedens jene natürliche, rückenmarkfeste Huma¬
nität, die allein Geltung haben darf und Geltung haben kann, wenn das
Staatsschiff und mit ihm alle seine Bewohner nicht elendiglich zu Grunde
gehn sollen. Wir brauchen eine Humanität, die mit Menschen und Verhält¬
nissen rechnet, wie sie sind, und nicht wie sie diese Weltbeglücker träumen.

Das Schauspiel, das sich in Bern abspielte, war auch wirklich nicht
dazu angethan, an die Haltbarkeit der "Weltfriedensidee" glauben zu macheu.
Da waren am ersten Tage etwa dreihnndertundsechzig Menschen oder richtiger
Friedensapostel versammelt, aber wer sollte es glauben: die Leute gerieten in
einen so famosen Krieg mit einander, daß sich am zweiten Tage nur noch
etwa sechzig auf dem Schlachtfelde wieder einfanden. Wer aber glaubte,
daß der Krieg nun aufgehört Hütte, der irrt sich; es wurde tüchtig weiter ge¬
zankt und vor versammeltem Volk umarmt, geküßt und wieder gezankt. Ja,
so sieht der "ewige Weltfriede" aus. Es ist jedenfalls gut, daß man eine
Probe davon zu Gehör und zu Gesicht bekommen hat. numme im Ulk hat
den jedenfalls sehr beherzigenswerten Vorschlag zur "Weltfriedensidee" gemacht,
alles, was gegen die Idee ist, einfach mausetot zu schlagen. Da hätte man
praktisch das Haupthindernis der Idee beseitigt, und der Weltfriede wäre ge¬
sichert. Freilich nach unserm Dafürhalten nur für das lebende Geschlecht.
Da es aber nicht unmöglich ist, daß Nunnes Vorschlag in der Ausführung
auf einige kleine Schwierigkeiten stößt, so wollen wir uns vorläufig die von
den Herrschaften selbst aufgestellten notwendigen Bedingungen für die Aus-


mersch! Welcher von den Friedensfischeru mag diese Perle aus dem Ozean
des Lebens ans Licht gehoben haben? fragst du, lieber Leser. Nun, diesmal
war es eine Fischerin. Gedenkt man aber der epidemisch gewordnen Titel¬
sucht der Menschen, so kann man nicht leugnen, daß das Kunstfeuerwerk in
Bern bestens vorbereitet war. Die Pyrotechniker männlichen und weiblichen
Geschlechts konnten stolz von dem Schauplatz ihrer Thätigkeit ans bunt leuch¬
tende Schwärmer in die Luft steigen lassen, die in wunderbaren Verschlin¬
gungen an den schwarzen Nachthimmel die Inschrift zeichneten: „Wir sind die
Retter der Menschheit — und: die Besten dieser Menschheit stehn hinter uns!"

Nur gut, daß es noch andre Maße als das Weltfriedenskongreßmaß giebt,
sonst wäre es wirklich recht traurig um die Welt bestellt.

Retter der Menschheit! Waren wir denn so ganz verloren? Unwillkürlich
kommt man auf den Gedanken, daß die Herrschaften von sich auf andre
schließen. Und welchen verständigen Menschen könnte es wundern, daß die
Bewohner jenes weltverlvruen Wolkenkuckucksheim dem Bewußtsein des eignen
Verlorenseins in sich Raum geben? Wir, die wir hier unter mit unsern Füßen
auf dem Boden der heimischen Erde stehn, wir haben uns bis zu diesem er¬
hebenden Bewußtsein noch nicht emporgearbeitet. Wir sehen in den Bestre¬
bungen der Regierungen, insbesondre unsrer Negierung, zur Erhaltung eines
segensreichen und ehrenvollen Friedens jene natürliche, rückenmarkfeste Huma¬
nität, die allein Geltung haben darf und Geltung haben kann, wenn das
Staatsschiff und mit ihm alle seine Bewohner nicht elendiglich zu Grunde
gehn sollen. Wir brauchen eine Humanität, die mit Menschen und Verhält¬
nissen rechnet, wie sie sind, und nicht wie sie diese Weltbeglücker träumen.

Das Schauspiel, das sich in Bern abspielte, war auch wirklich nicht
dazu angethan, an die Haltbarkeit der „Weltfriedensidee" glauben zu macheu.
Da waren am ersten Tage etwa dreihnndertundsechzig Menschen oder richtiger
Friedensapostel versammelt, aber wer sollte es glauben: die Leute gerieten in
einen so famosen Krieg mit einander, daß sich am zweiten Tage nur noch
etwa sechzig auf dem Schlachtfelde wieder einfanden. Wer aber glaubte,
daß der Krieg nun aufgehört Hütte, der irrt sich; es wurde tüchtig weiter ge¬
zankt und vor versammeltem Volk umarmt, geküßt und wieder gezankt. Ja,
so sieht der „ewige Weltfriede" aus. Es ist jedenfalls gut, daß man eine
Probe davon zu Gehör und zu Gesicht bekommen hat. numme im Ulk hat
den jedenfalls sehr beherzigenswerten Vorschlag zur „Weltfriedensidee" gemacht,
alles, was gegen die Idee ist, einfach mausetot zu schlagen. Da hätte man
praktisch das Haupthindernis der Idee beseitigt, und der Weltfriede wäre ge¬
sichert. Freilich nach unserm Dafürhalten nur für das lebende Geschlecht.
Da es aber nicht unmöglich ist, daß Nunnes Vorschlag in der Ausführung
auf einige kleine Schwierigkeiten stößt, so wollen wir uns vorläufig die von
den Herrschaften selbst aufgestellten notwendigen Bedingungen für die Aus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/154>, abgerufen am 22.12.2024.