Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Eine etwas unsaubere, aber höchst wichtige Sache

der unterhalb liegenden Orte erkrankten. Neapel und Toulon hatten ihre
Epidemien darum in so bösartiger Form, weil man die Schmutzwässer der
Stadt in den Hafen leitete, und weil die Flut den Unrat zurückbrachte und
an den Ufern auflagerte. Das alles sind wohlbekannte Dinge, aber in Ham¬
burg, wo die Verhältnisse ebenso liegen, hatte man kein Arg. Das ist eine
schwere Schuld der Hamburger Verwaltung.

Dennoch wäre es thöricht und vermessen, wenn man an andern Orten
sagen wollte: So etwas kann bei uns nicht vorkommen. IntiA muros
vLoe>g,or se extra. Auch unsre Flußläufe, besonders die kleinen, an denen größere
Städte liegen, sind aufs äußerste verunreinigt. Die heißen Tage dieses
trocknen Sommers haben nicht sehr erbauliche Dinge an den Tag gebracht.
Gräben und Bäche sind durch Brennereien und Zuckerfabriken zu Stinkstraßen
geworden. Die Kanäle mit ihrem stockenden Wasser werden von den Schiffern
berufsmäßig verunreinigt. In den Häfen der Städte, den Hinterhäusern, den
Aborten der Restaurationen giebt es Schweinerei genug, Schmutzwinkel, die
mit gährenden und faulenden Stoffen tief durchtränkt sind, Auf dem Lande
fließt die Jauche ans den Höfen über die Straße, die Schweineställe sind
ihres Namens würdig, verunreinigte Brunnen, Schöpfbrunnen, Viehschwemmen,
die sich zum Orte verhalten wie der Hamburger Hafen zu Hamburg, giebt es
genug. Und Berlin hat seine Rieselfelder. Es ist nicht auszudenken, was
geschähe, wenn diese Felder von der Cholera angesteckt würden.")

Aber die Hauptsache ist der überall anzutreffende Unfug, daß man den
Unrat der Städte in die Flußläufe abführt, aus denen man sein Trinkwasser
entnimmt. Man denke sich einmal diesen Unsinn aus, ohne Nebengedanken
oder Entschuldigungen einzumischen! Im Mittelalter begrub man die Toten
mitten unter den Lebendigen in den Grüften der Kirchen und hielt das für
gut und schön. Die Folge war die Pest. Wir vermischen unsre Wasser¬
adern, unsre Lebensadern mit Unrat, wir leben auf Fäkalien und halten das
für gut und schön. Die Folge ist die Cholera. Gewiß werden spätere Ge¬
schlechter einmal von uns gerade so denken, wie wir von den Menschen im
Mittelalter.

Man wendet ein, es gehe nicht anders, man könne ans billige Weise den
Unrat nicht anders loswerden. Ganz falsch. Erstens geht es anders, zweitens
kommen die Kosten nicht in Betracht, wenn es sich um Leben und Gesundheit
handelt, und drittens ist das Verfahren, Düngemittel wegzuschwemmen, eine



Man hat die Gefahr erkannt. Virchow warnt davor, daß man die Cholerakeime
auf die Nieselfelder kommen lasse, und Siemers empfiehlt, die aus der Stadt kommenden
Schmutzwäss-r abzukochen, ehe man sie auf die Felder entläßt. Ein schöner Gedanke. Aber
wenn man auch die aus der Stadt kommenden Keime tötet, so kaun man doch nicht hindern,
daß das abgekochte Wasser von neuem infizirt werde, nachdem es in die Rieselgrnben ge¬
treten ist.
Eine etwas unsaubere, aber höchst wichtige Sache

der unterhalb liegenden Orte erkrankten. Neapel und Toulon hatten ihre
Epidemien darum in so bösartiger Form, weil man die Schmutzwässer der
Stadt in den Hafen leitete, und weil die Flut den Unrat zurückbrachte und
an den Ufern auflagerte. Das alles sind wohlbekannte Dinge, aber in Ham¬
burg, wo die Verhältnisse ebenso liegen, hatte man kein Arg. Das ist eine
schwere Schuld der Hamburger Verwaltung.

Dennoch wäre es thöricht und vermessen, wenn man an andern Orten
sagen wollte: So etwas kann bei uns nicht vorkommen. IntiA muros
vLoe>g,or se extra. Auch unsre Flußläufe, besonders die kleinen, an denen größere
Städte liegen, sind aufs äußerste verunreinigt. Die heißen Tage dieses
trocknen Sommers haben nicht sehr erbauliche Dinge an den Tag gebracht.
Gräben und Bäche sind durch Brennereien und Zuckerfabriken zu Stinkstraßen
geworden. Die Kanäle mit ihrem stockenden Wasser werden von den Schiffern
berufsmäßig verunreinigt. In den Häfen der Städte, den Hinterhäusern, den
Aborten der Restaurationen giebt es Schweinerei genug, Schmutzwinkel, die
mit gährenden und faulenden Stoffen tief durchtränkt sind, Auf dem Lande
fließt die Jauche ans den Höfen über die Straße, die Schweineställe sind
ihres Namens würdig, verunreinigte Brunnen, Schöpfbrunnen, Viehschwemmen,
die sich zum Orte verhalten wie der Hamburger Hafen zu Hamburg, giebt es
genug. Und Berlin hat seine Rieselfelder. Es ist nicht auszudenken, was
geschähe, wenn diese Felder von der Cholera angesteckt würden.")

Aber die Hauptsache ist der überall anzutreffende Unfug, daß man den
Unrat der Städte in die Flußläufe abführt, aus denen man sein Trinkwasser
entnimmt. Man denke sich einmal diesen Unsinn aus, ohne Nebengedanken
oder Entschuldigungen einzumischen! Im Mittelalter begrub man die Toten
mitten unter den Lebendigen in den Grüften der Kirchen und hielt das für
gut und schön. Die Folge war die Pest. Wir vermischen unsre Wasser¬
adern, unsre Lebensadern mit Unrat, wir leben auf Fäkalien und halten das
für gut und schön. Die Folge ist die Cholera. Gewiß werden spätere Ge¬
schlechter einmal von uns gerade so denken, wie wir von den Menschen im
Mittelalter.

Man wendet ein, es gehe nicht anders, man könne ans billige Weise den
Unrat nicht anders loswerden. Ganz falsch. Erstens geht es anders, zweitens
kommen die Kosten nicht in Betracht, wenn es sich um Leben und Gesundheit
handelt, und drittens ist das Verfahren, Düngemittel wegzuschwemmen, eine



Man hat die Gefahr erkannt. Virchow warnt davor, daß man die Cholerakeime
auf die Nieselfelder kommen lasse, und Siemers empfiehlt, die aus der Stadt kommenden
Schmutzwäss-r abzukochen, ehe man sie auf die Felder entläßt. Ein schöner Gedanke. Aber
wenn man auch die aus der Stadt kommenden Keime tötet, so kaun man doch nicht hindern,
daß das abgekochte Wasser von neuem infizirt werde, nachdem es in die Rieselgrnben ge¬
treten ist.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0015" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213129"/>
          <fw type="header" place="top"> Eine etwas unsaubere, aber höchst wichtige Sache</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_20" prev="#ID_19"> der unterhalb liegenden Orte erkrankten. Neapel und Toulon hatten ihre<lb/>
Epidemien darum in so bösartiger Form, weil man die Schmutzwässer der<lb/>
Stadt in den Hafen leitete, und weil die Flut den Unrat zurückbrachte und<lb/>
an den Ufern auflagerte. Das alles sind wohlbekannte Dinge, aber in Ham¬<lb/>
burg, wo die Verhältnisse ebenso liegen, hatte man kein Arg. Das ist eine<lb/>
schwere Schuld der Hamburger Verwaltung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_21"> Dennoch wäre es thöricht und vermessen, wenn man an andern Orten<lb/>
sagen wollte: So etwas kann bei uns nicht vorkommen. IntiA muros<lb/>
vLoe&gt;g,or se extra. Auch unsre Flußläufe, besonders die kleinen, an denen größere<lb/>
Städte liegen, sind aufs äußerste verunreinigt. Die heißen Tage dieses<lb/>
trocknen Sommers haben nicht sehr erbauliche Dinge an den Tag gebracht.<lb/>
Gräben und Bäche sind durch Brennereien und Zuckerfabriken zu Stinkstraßen<lb/>
geworden. Die Kanäle mit ihrem stockenden Wasser werden von den Schiffern<lb/>
berufsmäßig verunreinigt. In den Häfen der Städte, den Hinterhäusern, den<lb/>
Aborten der Restaurationen giebt es Schweinerei genug, Schmutzwinkel, die<lb/>
mit gährenden und faulenden Stoffen tief durchtränkt sind, Auf dem Lande<lb/>
fließt die Jauche ans den Höfen über die Straße, die Schweineställe sind<lb/>
ihres Namens würdig, verunreinigte Brunnen, Schöpfbrunnen, Viehschwemmen,<lb/>
die sich zum Orte verhalten wie der Hamburger Hafen zu Hamburg, giebt es<lb/>
genug. Und Berlin hat seine Rieselfelder. Es ist nicht auszudenken, was<lb/>
geschähe, wenn diese Felder von der Cholera angesteckt würden.")</p><lb/>
          <p xml:id="ID_22"> Aber die Hauptsache ist der überall anzutreffende Unfug, daß man den<lb/>
Unrat der Städte in die Flußläufe abführt, aus denen man sein Trinkwasser<lb/>
entnimmt. Man denke sich einmal diesen Unsinn aus, ohne Nebengedanken<lb/>
oder Entschuldigungen einzumischen! Im Mittelalter begrub man die Toten<lb/>
mitten unter den Lebendigen in den Grüften der Kirchen und hielt das für<lb/>
gut und schön. Die Folge war die Pest. Wir vermischen unsre Wasser¬<lb/>
adern, unsre Lebensadern mit Unrat, wir leben auf Fäkalien und halten das<lb/>
für gut und schön. Die Folge ist die Cholera. Gewiß werden spätere Ge¬<lb/>
schlechter einmal von uns gerade so denken, wie wir von den Menschen im<lb/>
Mittelalter.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_23" next="#ID_24"> Man wendet ein, es gehe nicht anders, man könne ans billige Weise den<lb/>
Unrat nicht anders loswerden. Ganz falsch. Erstens geht es anders, zweitens<lb/>
kommen die Kosten nicht in Betracht, wenn es sich um Leben und Gesundheit<lb/>
handelt, und drittens ist das Verfahren, Düngemittel wegzuschwemmen, eine</p><lb/>
          <note xml:id="FID_3" place="foot"> Man hat die Gefahr erkannt. Virchow warnt davor, daß man die Cholerakeime<lb/>
auf die Nieselfelder kommen lasse, und Siemers empfiehlt, die aus der Stadt kommenden<lb/>
Schmutzwäss-r abzukochen, ehe man sie auf die Felder entläßt. Ein schöner Gedanke. Aber<lb/>
wenn man auch die aus der Stadt kommenden Keime tötet, so kaun man doch nicht hindern,<lb/>
daß das abgekochte Wasser von neuem infizirt werde, nachdem es in die Rieselgrnben ge¬<lb/>
treten ist.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0015] Eine etwas unsaubere, aber höchst wichtige Sache der unterhalb liegenden Orte erkrankten. Neapel und Toulon hatten ihre Epidemien darum in so bösartiger Form, weil man die Schmutzwässer der Stadt in den Hafen leitete, und weil die Flut den Unrat zurückbrachte und an den Ufern auflagerte. Das alles sind wohlbekannte Dinge, aber in Ham¬ burg, wo die Verhältnisse ebenso liegen, hatte man kein Arg. Das ist eine schwere Schuld der Hamburger Verwaltung. Dennoch wäre es thöricht und vermessen, wenn man an andern Orten sagen wollte: So etwas kann bei uns nicht vorkommen. IntiA muros vLoe>g,or se extra. Auch unsre Flußläufe, besonders die kleinen, an denen größere Städte liegen, sind aufs äußerste verunreinigt. Die heißen Tage dieses trocknen Sommers haben nicht sehr erbauliche Dinge an den Tag gebracht. Gräben und Bäche sind durch Brennereien und Zuckerfabriken zu Stinkstraßen geworden. Die Kanäle mit ihrem stockenden Wasser werden von den Schiffern berufsmäßig verunreinigt. In den Häfen der Städte, den Hinterhäusern, den Aborten der Restaurationen giebt es Schweinerei genug, Schmutzwinkel, die mit gährenden und faulenden Stoffen tief durchtränkt sind, Auf dem Lande fließt die Jauche ans den Höfen über die Straße, die Schweineställe sind ihres Namens würdig, verunreinigte Brunnen, Schöpfbrunnen, Viehschwemmen, die sich zum Orte verhalten wie der Hamburger Hafen zu Hamburg, giebt es genug. Und Berlin hat seine Rieselfelder. Es ist nicht auszudenken, was geschähe, wenn diese Felder von der Cholera angesteckt würden.") Aber die Hauptsache ist der überall anzutreffende Unfug, daß man den Unrat der Städte in die Flußläufe abführt, aus denen man sein Trinkwasser entnimmt. Man denke sich einmal diesen Unsinn aus, ohne Nebengedanken oder Entschuldigungen einzumischen! Im Mittelalter begrub man die Toten mitten unter den Lebendigen in den Grüften der Kirchen und hielt das für gut und schön. Die Folge war die Pest. Wir vermischen unsre Wasser¬ adern, unsre Lebensadern mit Unrat, wir leben auf Fäkalien und halten das für gut und schön. Die Folge ist die Cholera. Gewiß werden spätere Ge¬ schlechter einmal von uns gerade so denken, wie wir von den Menschen im Mittelalter. Man wendet ein, es gehe nicht anders, man könne ans billige Weise den Unrat nicht anders loswerden. Ganz falsch. Erstens geht es anders, zweitens kommen die Kosten nicht in Betracht, wenn es sich um Leben und Gesundheit handelt, und drittens ist das Verfahren, Düngemittel wegzuschwemmen, eine Man hat die Gefahr erkannt. Virchow warnt davor, daß man die Cholerakeime auf die Nieselfelder kommen lasse, und Siemers empfiehlt, die aus der Stadt kommenden Schmutzwäss-r abzukochen, ehe man sie auf die Felder entläßt. Ein schöner Gedanke. Aber wenn man auch die aus der Stadt kommenden Keime tötet, so kaun man doch nicht hindern, daß das abgekochte Wasser von neuem infizirt werde, nachdem es in die Rieselgrnben ge¬ treten ist.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/15
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/15>, abgerufen am 23.07.2024.