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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Ferien, Bäder und Bandstraßen

der Pferdefuß des Sozialismus, dieses feindlichen Zwillingsbruders des Kapi¬
talismus, kommt überall zum Vorschein, wenn auch nur von Gehalten, Löhnen,
Preisen, Tarifen, Vereinen und Epidemien geredet wird. Es ist merkwürdig,
daß, so scharf sich die Badegesellschaft nach unten absondert und abschließt,
doch in ihr selbst ein gewisser demokratischer Zug, ein Prinzip der Gleichheit
hervortritt. Die Badegesellschaft ist so "zielbewußt" und solidarisch verbunden
wie das Proletariat, sie bildet eine Gemeinschaft, in der der Einzelne sich dem
Willen der Gesamtheit unterordnet, weil er dasselbe will wie sie. Die Ge¬
meinsamkeit zeigt sich in den Vergnügungen, im Zeitvertreib, in den Mahl¬
zeiten, im Anzug, in der gleichen Kurtaxe; auf die Verschiedenheit der Standes-
nnd Rangverhältnisse wird weniger gegeben, als sonst üblich ist. Das Ver¬
weilen im Badeorte ist an eine einzige allgemein giltige Bedingung geknüpft,
nämlich an die Zahlungsfähigkeit. Wenn anch die Höhe der Ausgaben nach
oben zu in das Belieben der Einzelnen gestellt ist, so ist doch eine untere
Grenze in dem Besitz von Geldmitteln für alle vorgezeichnet. In wessen Kasse
eine tiefe Ebbe eintritt, die unter die stillschweigend vorausgesetzte Normal¬
grenze hinabreicht, der hat den Staub von den Füßen zu schütteln, für den
werden die Pforten des Paradieses geschlossen. Wie sich der der untersten
Stufe der Einkommensteuer angehörende ohne Frage zu den "Besitzenden"
zählen kann, so kann sich der, dessen Barmittel jene untere Normalgrenze er¬
reichen, den Luxus des Badelebens mit vollem Recht gestatten. Infolge dieser
weisen Einrichtung weiß man, daß alle Besucher eine gespickte Börse mit sich
führen, alle sind sich eben auch insofern gleich, daß sie über die erforderliche
klingende Münze verfügen. Die für das schnöde Geld käuflichen Genüsse sind
auch verhältnismäßig gar nicht so teuer. Wenn man die Welt wie Luise
Rebentisch nur nach den fashionabeln Bädern und den feinen Vierteln der Gro߬
städte beurteilte, so würde man von einem modernen Elend keine Spur finden,
Elend! -- wie lächerlich, die Badegäste sind oder thun und scheinen alle
"wohlsituirt."

Im allgemeinen vermögen die besuchtesten Bäder ihren Gästen für wenig
Geld das meiste zu bieten, ähnlich wie eine Fabrik ihre Waren desto billiger
und besser zu liefern vermag, je größer ihre baulichen Anlagen und ihr Absatz
sind. Der Kleinbetrieb scheint sich auch hierin auf die Dauer nicht gegen den
Großbetrieb behaupten zu können, seine Leistungen können entschieden nicht
gegen die des überlegnen Mitbewerbers aufkommen. Das Emporkommen der
"Großbäder," wenn man so in Anlehnung an das Wort Großstädte sagen
darf, ist von deuselben Bedingungen abhängig, ans denen die kapitalistische
Wirtschaft und ihr Anhängsel, die Sozialdemokratie, überhaupt beruhen. Gro߬
städte und Grvßbüder, Kapitalismus und Sozialismus verdanken ihr Dasein
und ihre Macht dem Einfluß der gestiegnen Bevölkerungsdichtigkeit, sie würden
ohne die Massenanhänfung, ohne die Riesenzahl von Menschen nicht sein. In


Grcnzlioten IV 1892 17
Ferien, Bäder und Bandstraßen

der Pferdefuß des Sozialismus, dieses feindlichen Zwillingsbruders des Kapi¬
talismus, kommt überall zum Vorschein, wenn auch nur von Gehalten, Löhnen,
Preisen, Tarifen, Vereinen und Epidemien geredet wird. Es ist merkwürdig,
daß, so scharf sich die Badegesellschaft nach unten absondert und abschließt,
doch in ihr selbst ein gewisser demokratischer Zug, ein Prinzip der Gleichheit
hervortritt. Die Badegesellschaft ist so „zielbewußt" und solidarisch verbunden
wie das Proletariat, sie bildet eine Gemeinschaft, in der der Einzelne sich dem
Willen der Gesamtheit unterordnet, weil er dasselbe will wie sie. Die Ge¬
meinsamkeit zeigt sich in den Vergnügungen, im Zeitvertreib, in den Mahl¬
zeiten, im Anzug, in der gleichen Kurtaxe; auf die Verschiedenheit der Standes-
nnd Rangverhältnisse wird weniger gegeben, als sonst üblich ist. Das Ver¬
weilen im Badeorte ist an eine einzige allgemein giltige Bedingung geknüpft,
nämlich an die Zahlungsfähigkeit. Wenn anch die Höhe der Ausgaben nach
oben zu in das Belieben der Einzelnen gestellt ist, so ist doch eine untere
Grenze in dem Besitz von Geldmitteln für alle vorgezeichnet. In wessen Kasse
eine tiefe Ebbe eintritt, die unter die stillschweigend vorausgesetzte Normal¬
grenze hinabreicht, der hat den Staub von den Füßen zu schütteln, für den
werden die Pforten des Paradieses geschlossen. Wie sich der der untersten
Stufe der Einkommensteuer angehörende ohne Frage zu den „Besitzenden"
zählen kann, so kann sich der, dessen Barmittel jene untere Normalgrenze er¬
reichen, den Luxus des Badelebens mit vollem Recht gestatten. Infolge dieser
weisen Einrichtung weiß man, daß alle Besucher eine gespickte Börse mit sich
führen, alle sind sich eben auch insofern gleich, daß sie über die erforderliche
klingende Münze verfügen. Die für das schnöde Geld käuflichen Genüsse sind
auch verhältnismäßig gar nicht so teuer. Wenn man die Welt wie Luise
Rebentisch nur nach den fashionabeln Bädern und den feinen Vierteln der Gro߬
städte beurteilte, so würde man von einem modernen Elend keine Spur finden,
Elend! — wie lächerlich, die Badegäste sind oder thun und scheinen alle
„wohlsituirt."

Im allgemeinen vermögen die besuchtesten Bäder ihren Gästen für wenig
Geld das meiste zu bieten, ähnlich wie eine Fabrik ihre Waren desto billiger
und besser zu liefern vermag, je größer ihre baulichen Anlagen und ihr Absatz
sind. Der Kleinbetrieb scheint sich auch hierin auf die Dauer nicht gegen den
Großbetrieb behaupten zu können, seine Leistungen können entschieden nicht
gegen die des überlegnen Mitbewerbers aufkommen. Das Emporkommen der
„Großbäder," wenn man so in Anlehnung an das Wort Großstädte sagen
darf, ist von deuselben Bedingungen abhängig, ans denen die kapitalistische
Wirtschaft und ihr Anhängsel, die Sozialdemokratie, überhaupt beruhen. Gro߬
städte und Grvßbüder, Kapitalismus und Sozialismus verdanken ihr Dasein
und ihre Macht dem Einfluß der gestiegnen Bevölkerungsdichtigkeit, sie würden
ohne die Massenanhänfung, ohne die Riesenzahl von Menschen nicht sein. In


Grcnzlioten IV 1892 17
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[0137] Ferien, Bäder und Bandstraßen der Pferdefuß des Sozialismus, dieses feindlichen Zwillingsbruders des Kapi¬ talismus, kommt überall zum Vorschein, wenn auch nur von Gehalten, Löhnen, Preisen, Tarifen, Vereinen und Epidemien geredet wird. Es ist merkwürdig, daß, so scharf sich die Badegesellschaft nach unten absondert und abschließt, doch in ihr selbst ein gewisser demokratischer Zug, ein Prinzip der Gleichheit hervortritt. Die Badegesellschaft ist so „zielbewußt" und solidarisch verbunden wie das Proletariat, sie bildet eine Gemeinschaft, in der der Einzelne sich dem Willen der Gesamtheit unterordnet, weil er dasselbe will wie sie. Die Ge¬ meinsamkeit zeigt sich in den Vergnügungen, im Zeitvertreib, in den Mahl¬ zeiten, im Anzug, in der gleichen Kurtaxe; auf die Verschiedenheit der Standes- nnd Rangverhältnisse wird weniger gegeben, als sonst üblich ist. Das Ver¬ weilen im Badeorte ist an eine einzige allgemein giltige Bedingung geknüpft, nämlich an die Zahlungsfähigkeit. Wenn anch die Höhe der Ausgaben nach oben zu in das Belieben der Einzelnen gestellt ist, so ist doch eine untere Grenze in dem Besitz von Geldmitteln für alle vorgezeichnet. In wessen Kasse eine tiefe Ebbe eintritt, die unter die stillschweigend vorausgesetzte Normal¬ grenze hinabreicht, der hat den Staub von den Füßen zu schütteln, für den werden die Pforten des Paradieses geschlossen. Wie sich der der untersten Stufe der Einkommensteuer angehörende ohne Frage zu den „Besitzenden" zählen kann, so kann sich der, dessen Barmittel jene untere Normalgrenze er¬ reichen, den Luxus des Badelebens mit vollem Recht gestatten. Infolge dieser weisen Einrichtung weiß man, daß alle Besucher eine gespickte Börse mit sich führen, alle sind sich eben auch insofern gleich, daß sie über die erforderliche klingende Münze verfügen. Die für das schnöde Geld käuflichen Genüsse sind auch verhältnismäßig gar nicht so teuer. Wenn man die Welt wie Luise Rebentisch nur nach den fashionabeln Bädern und den feinen Vierteln der Gro߬ städte beurteilte, so würde man von einem modernen Elend keine Spur finden, Elend! — wie lächerlich, die Badegäste sind oder thun und scheinen alle „wohlsituirt." Im allgemeinen vermögen die besuchtesten Bäder ihren Gästen für wenig Geld das meiste zu bieten, ähnlich wie eine Fabrik ihre Waren desto billiger und besser zu liefern vermag, je größer ihre baulichen Anlagen und ihr Absatz sind. Der Kleinbetrieb scheint sich auch hierin auf die Dauer nicht gegen den Großbetrieb behaupten zu können, seine Leistungen können entschieden nicht gegen die des überlegnen Mitbewerbers aufkommen. Das Emporkommen der „Großbäder," wenn man so in Anlehnung an das Wort Großstädte sagen darf, ist von deuselben Bedingungen abhängig, ans denen die kapitalistische Wirtschaft und ihr Anhängsel, die Sozialdemokratie, überhaupt beruhen. Gro߬ städte und Grvßbüder, Kapitalismus und Sozialismus verdanken ihr Dasein und ihre Macht dem Einfluß der gestiegnen Bevölkerungsdichtigkeit, sie würden ohne die Massenanhänfung, ohne die Riesenzahl von Menschen nicht sein. In Grcnzlioten IV 1892 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/137>, abgerufen am 23.07.2024.