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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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das alte Rom selbst mit unsern "Großstädten." Wie viele Bajäs haben wir
heute, welche stolze Namen- und Rangliste läßt sich von ihnen zusammen¬
stellen, und was ist das gerühmte antike Meerwunder gegen die Wuuderstätten,
die wir mit allen möglichen großartigen, von der Wissenschaft und Technik
ausgeklügelten Verbesserungen ausgestattet haben?

Wenn es sich darum handelte, anzugeben, was für unsre Zeit sozusagen
typisch ist, so würde es niemand einfallen, ein Winkelblüttchen in Schilda oder
eine fünfsitzige Postkutsche oder eine abgelegne Kleinstadt zu nennen, ebenso¬
wenig ein in einer Ecke verstecktes Wellen- oder Luftbad der See oder des
Gebirges mit einigen einsamen Gästen; das Große, also auch die großen Bäder
sind das Kennzeichen unsrer Zeit. Das Kleine kann ihren hohen Anfor¬
derungen nicht genügen. Unter den Linden in Berlin ist jüngst ein neuer
Prachtbau, ein großes Theater mit Cafe;, Restaurant und Hotel entstanden,
so groß, daß es sich fragt, ob sich die Unternehmer nicht verrechnet haben,
indem sie ihrer Zeit vorausgeeilt sind, da selbst Berlin für etwas so Gro߬
artiges vielleicht noch nicht groß genug ist. Wie der Welthandel "unter dem
Zeichen des Weltverkehrs" weit höhere Ansprüche mit seinen riesigen Schnell¬
dampfern an die Lage und die Einrichtungen der Seehäfen stellt als ehemals,
so haben die Bäder immer schwierigere und umsänglichere Bedingungen zu
erfüllen, wenn sie mit der Zeit fortschreiten wollen. Der Badeverkehr wird
immer lebhafter, der Andrang steigt mehr und mehr, die Gesellschaft wird
satter und verwöhnter. Ein auf der Höhe der Zeit stehendes Bad muß zu¬
nächst gute Eisenbahn- und unter Umständen anch gute Dampferverbindungen
haben, besonders mit den Großstädten, und zwar sowohl häufige wie schnelle
Verbindungen. Die Tag- und Nachtschncllzüge müssen an den Endpunkten
nach allen Richtungen gute Anschlusse haben, unterwegs nicht zu oft anhalten
und "durchgehen" oder wenigstens "Dnrchgangswageu" haben. Die Dampf¬
schiffe müssen groß sein und sicher, ruhig und schnell fahren. Die Reisenden
müssen, wenn irgend möglich, mit dein Dampfer oder Zug bis unmittelbar
in den Bestimmungsort, nahe an die Thür des Quartiers, das sie beziehen
wollen, gelangen können- Die Kosten der Fahrt aber sind für die Badegäste
möglichst zu ermäßigen, besonders sür die entfernter wohnenden, damit der
Besuch der Bäder nicht leide, und in der Erwartung, daß der vermehrte Ver¬
kehr den Unterschied in den Einnahmen bei den niedrigern Fahrpreisen mehr
als ausgleichen werde. In den Kurorten selbst müssen Eisenbahn und Post
ebenfalls prompt ihre Pflicht thun, und wenn auch ihr Personal für die
Badezeit verdoppelt werden müßte, Briefe, Zeitungen und Telegramme müssen
pünktlich bestellt werden, denn von der "Welt" will man auch im Bade nicht
abgeschnitten sein, und ohne Zeitungen kann man nicht mehr leben. Der
Badeaufenthalt muß den Gästen in jeder Beziehung angenehm und bequem
gemacht werde". Spazierwege, Anssichtspuukte, Erfrischungshalleu, gemütliche


das alte Rom selbst mit unsern „Großstädten." Wie viele Bajäs haben wir
heute, welche stolze Namen- und Rangliste läßt sich von ihnen zusammen¬
stellen, und was ist das gerühmte antike Meerwunder gegen die Wuuderstätten,
die wir mit allen möglichen großartigen, von der Wissenschaft und Technik
ausgeklügelten Verbesserungen ausgestattet haben?

Wenn es sich darum handelte, anzugeben, was für unsre Zeit sozusagen
typisch ist, so würde es niemand einfallen, ein Winkelblüttchen in Schilda oder
eine fünfsitzige Postkutsche oder eine abgelegne Kleinstadt zu nennen, ebenso¬
wenig ein in einer Ecke verstecktes Wellen- oder Luftbad der See oder des
Gebirges mit einigen einsamen Gästen; das Große, also auch die großen Bäder
sind das Kennzeichen unsrer Zeit. Das Kleine kann ihren hohen Anfor¬
derungen nicht genügen. Unter den Linden in Berlin ist jüngst ein neuer
Prachtbau, ein großes Theater mit Cafe;, Restaurant und Hotel entstanden,
so groß, daß es sich fragt, ob sich die Unternehmer nicht verrechnet haben,
indem sie ihrer Zeit vorausgeeilt sind, da selbst Berlin für etwas so Gro߬
artiges vielleicht noch nicht groß genug ist. Wie der Welthandel „unter dem
Zeichen des Weltverkehrs" weit höhere Ansprüche mit seinen riesigen Schnell¬
dampfern an die Lage und die Einrichtungen der Seehäfen stellt als ehemals,
so haben die Bäder immer schwierigere und umsänglichere Bedingungen zu
erfüllen, wenn sie mit der Zeit fortschreiten wollen. Der Badeverkehr wird
immer lebhafter, der Andrang steigt mehr und mehr, die Gesellschaft wird
satter und verwöhnter. Ein auf der Höhe der Zeit stehendes Bad muß zu¬
nächst gute Eisenbahn- und unter Umständen anch gute Dampferverbindungen
haben, besonders mit den Großstädten, und zwar sowohl häufige wie schnelle
Verbindungen. Die Tag- und Nachtschncllzüge müssen an den Endpunkten
nach allen Richtungen gute Anschlusse haben, unterwegs nicht zu oft anhalten
und „durchgehen" oder wenigstens „Dnrchgangswageu" haben. Die Dampf¬
schiffe müssen groß sein und sicher, ruhig und schnell fahren. Die Reisenden
müssen, wenn irgend möglich, mit dein Dampfer oder Zug bis unmittelbar
in den Bestimmungsort, nahe an die Thür des Quartiers, das sie beziehen
wollen, gelangen können- Die Kosten der Fahrt aber sind für die Badegäste
möglichst zu ermäßigen, besonders sür die entfernter wohnenden, damit der
Besuch der Bäder nicht leide, und in der Erwartung, daß der vermehrte Ver¬
kehr den Unterschied in den Einnahmen bei den niedrigern Fahrpreisen mehr
als ausgleichen werde. In den Kurorten selbst müssen Eisenbahn und Post
ebenfalls prompt ihre Pflicht thun, und wenn auch ihr Personal für die
Badezeit verdoppelt werden müßte, Briefe, Zeitungen und Telegramme müssen
pünktlich bestellt werden, denn von der „Welt" will man auch im Bade nicht
abgeschnitten sein, und ohne Zeitungen kann man nicht mehr leben. Der
Badeaufenthalt muß den Gästen in jeder Beziehung angenehm und bequem
gemacht werde». Spazierwege, Anssichtspuukte, Erfrischungshalleu, gemütliche


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[0135] das alte Rom selbst mit unsern „Großstädten." Wie viele Bajäs haben wir heute, welche stolze Namen- und Rangliste läßt sich von ihnen zusammen¬ stellen, und was ist das gerühmte antike Meerwunder gegen die Wuuderstätten, die wir mit allen möglichen großartigen, von der Wissenschaft und Technik ausgeklügelten Verbesserungen ausgestattet haben? Wenn es sich darum handelte, anzugeben, was für unsre Zeit sozusagen typisch ist, so würde es niemand einfallen, ein Winkelblüttchen in Schilda oder eine fünfsitzige Postkutsche oder eine abgelegne Kleinstadt zu nennen, ebenso¬ wenig ein in einer Ecke verstecktes Wellen- oder Luftbad der See oder des Gebirges mit einigen einsamen Gästen; das Große, also auch die großen Bäder sind das Kennzeichen unsrer Zeit. Das Kleine kann ihren hohen Anfor¬ derungen nicht genügen. Unter den Linden in Berlin ist jüngst ein neuer Prachtbau, ein großes Theater mit Cafe;, Restaurant und Hotel entstanden, so groß, daß es sich fragt, ob sich die Unternehmer nicht verrechnet haben, indem sie ihrer Zeit vorausgeeilt sind, da selbst Berlin für etwas so Gro߬ artiges vielleicht noch nicht groß genug ist. Wie der Welthandel „unter dem Zeichen des Weltverkehrs" weit höhere Ansprüche mit seinen riesigen Schnell¬ dampfern an die Lage und die Einrichtungen der Seehäfen stellt als ehemals, so haben die Bäder immer schwierigere und umsänglichere Bedingungen zu erfüllen, wenn sie mit der Zeit fortschreiten wollen. Der Badeverkehr wird immer lebhafter, der Andrang steigt mehr und mehr, die Gesellschaft wird satter und verwöhnter. Ein auf der Höhe der Zeit stehendes Bad muß zu¬ nächst gute Eisenbahn- und unter Umständen anch gute Dampferverbindungen haben, besonders mit den Großstädten, und zwar sowohl häufige wie schnelle Verbindungen. Die Tag- und Nachtschncllzüge müssen an den Endpunkten nach allen Richtungen gute Anschlusse haben, unterwegs nicht zu oft anhalten und „durchgehen" oder wenigstens „Dnrchgangswageu" haben. Die Dampf¬ schiffe müssen groß sein und sicher, ruhig und schnell fahren. Die Reisenden müssen, wenn irgend möglich, mit dein Dampfer oder Zug bis unmittelbar in den Bestimmungsort, nahe an die Thür des Quartiers, das sie beziehen wollen, gelangen können- Die Kosten der Fahrt aber sind für die Badegäste möglichst zu ermäßigen, besonders sür die entfernter wohnenden, damit der Besuch der Bäder nicht leide, und in der Erwartung, daß der vermehrte Ver¬ kehr den Unterschied in den Einnahmen bei den niedrigern Fahrpreisen mehr als ausgleichen werde. In den Kurorten selbst müssen Eisenbahn und Post ebenfalls prompt ihre Pflicht thun, und wenn auch ihr Personal für die Badezeit verdoppelt werden müßte, Briefe, Zeitungen und Telegramme müssen pünktlich bestellt werden, denn von der „Welt" will man auch im Bade nicht abgeschnitten sein, und ohne Zeitungen kann man nicht mehr leben. Der Badeaufenthalt muß den Gästen in jeder Beziehung angenehm und bequem gemacht werde». Spazierwege, Anssichtspuukte, Erfrischungshalleu, gemütliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/135>, abgerufen am 23.07.2024.