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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Ferien, Bäder und Landstraßen

vielen "Bourgeois" und "Arbeitern" keineswegs so groß, daß er die Arbeiter
sämtlich von dem Zusammenleben mit den übrigen in den Bädern ausschlösse.
Es giebt Arbeiter in Menge, die dieselben Bedürfnisse und Empfindungen wie
die Bourgeois haben, und da sie zugleich moralisch reif, aufgeklärt und ge¬
bildet geung sind, in der passenden Kleidung jede "Saison" mitmachen zu
können, ohne aufzufallen und anzustoßen, uicht einsehen werden, warum die
allgemeine Mode sie und mir immer sie uicht gelten und mitzählen läßt.
Lieber Gott, was gehört denn schließlich zu einem "gebildeten" Auftreten?
Die Bildung ist oft erstaunlich oberflächlich, die Gesellschaft ist in diesem
Punkte sehr anspruchslos, Unterscheidung von mir und mich, etwas "Lit¬
teratur," Besuch des Theaters, fleißiges Lesen der Zeitungen und "Journale"
und ein paar Tanzstunden sind völlig genügend, besonders wenn das Ganze
mit etwas Firnis überstrichen ist und die Kleider dazu kommen, die zwar keine
Menschen, aber bekanntlich "Leute" machen. Die "höhere Schule" allein thut
es uicht, und selbst einem ehemaligen Gymnasiasten kann es unter Umständen
begegnen, daß er vor der Redegewandtheit, der Schreibfertigkeit und den ge¬
schichtlichen Kenntnissen eines einfachen Arbeiters, der sich in seineu Muße¬
stunden weitergebildet hat, die Segel streichen muß. Wenn also schon in dieser
Hinsicht die intelligenten Arbeiter der großen Städte nicht begreifen werden,
warum ihnen die Genüsse des Badelebens vorenthalten werden sollen, so ist
außerdem die sogenannte Bourgeoisie so unklug, sich dieses Leben so angenehm
zu machen, daß es notwendig den "Neid der besitzlosen Klasse" erregen muß.
Ob man selbst Gelegenheit hat, sich das noble Treiben anzusehen, ob man die
verlockenden Beschreibungen oder die zum Besuch anfeuernden Reklamen liest,
ob man die Abbildungen in den illustrirten Zeitschriften mustert, der Wunsch
ist allzu natürlich, daß man auch dabei sein und mitthun möchte. Wie es im
Bade zugeht, das wissen auch die, die niemals dort gewesen sind, und wenns
auch nur vom Hörensagen wäre. Nehmen doch die Herrschaften ihre Dienst¬
mädchen mit, da diese allein und auf eigne Faust wohl noch nicht ins Bad
reisen, und die zurückkommenden verfehlen dann nicht, den zurückgebliebnen
Bekannten zu erzählen, wie schön es war. Es soll vorkommen, daß Dienst¬
mädchen so erpicht auf die Badezeit sind, daß ihre Herrschaften schon ihret¬
wegen in irgend ein Bad gehen müssen! Das ist die Folge der Kultur, die
alle Welt beleckt. Das neunzehnte Jahrhundert -- natürlich den alö Äöols,
denn seltsamerweise hat man sich angewöhnt, unter dem neunzehnten Jahr¬
hundert die glanzvollen Jahre nach 1870 zu verstehen; die Deutschen vor
Anno 1848 haben von dem wahren Wesen dieser seit Bestehen der Welt fort¬
geschrittensten "Epoche" keinen leisen Begriff gehabt -- dies Jahrhundert der
Kultur hat nichts Bvllkommeneres, nichts Feineres hervorgebracht, als ein
"fashionables" Bad. Das Bajä des alten kaiserlichen Roms kann sich mit
den vornehmen Sammelplätzen unsrer feinen Welt uicht messen, so wenig wie


Ferien, Bäder und Landstraßen

vielen „Bourgeois" und „Arbeitern" keineswegs so groß, daß er die Arbeiter
sämtlich von dem Zusammenleben mit den übrigen in den Bädern ausschlösse.
Es giebt Arbeiter in Menge, die dieselben Bedürfnisse und Empfindungen wie
die Bourgeois haben, und da sie zugleich moralisch reif, aufgeklärt und ge¬
bildet geung sind, in der passenden Kleidung jede „Saison" mitmachen zu
können, ohne aufzufallen und anzustoßen, uicht einsehen werden, warum die
allgemeine Mode sie und mir immer sie uicht gelten und mitzählen läßt.
Lieber Gott, was gehört denn schließlich zu einem „gebildeten" Auftreten?
Die Bildung ist oft erstaunlich oberflächlich, die Gesellschaft ist in diesem
Punkte sehr anspruchslos, Unterscheidung von mir und mich, etwas „Lit¬
teratur," Besuch des Theaters, fleißiges Lesen der Zeitungen und „Journale"
und ein paar Tanzstunden sind völlig genügend, besonders wenn das Ganze
mit etwas Firnis überstrichen ist und die Kleider dazu kommen, die zwar keine
Menschen, aber bekanntlich „Leute" machen. Die „höhere Schule" allein thut
es uicht, und selbst einem ehemaligen Gymnasiasten kann es unter Umständen
begegnen, daß er vor der Redegewandtheit, der Schreibfertigkeit und den ge¬
schichtlichen Kenntnissen eines einfachen Arbeiters, der sich in seineu Muße¬
stunden weitergebildet hat, die Segel streichen muß. Wenn also schon in dieser
Hinsicht die intelligenten Arbeiter der großen Städte nicht begreifen werden,
warum ihnen die Genüsse des Badelebens vorenthalten werden sollen, so ist
außerdem die sogenannte Bourgeoisie so unklug, sich dieses Leben so angenehm
zu machen, daß es notwendig den „Neid der besitzlosen Klasse" erregen muß.
Ob man selbst Gelegenheit hat, sich das noble Treiben anzusehen, ob man die
verlockenden Beschreibungen oder die zum Besuch anfeuernden Reklamen liest,
ob man die Abbildungen in den illustrirten Zeitschriften mustert, der Wunsch
ist allzu natürlich, daß man auch dabei sein und mitthun möchte. Wie es im
Bade zugeht, das wissen auch die, die niemals dort gewesen sind, und wenns
auch nur vom Hörensagen wäre. Nehmen doch die Herrschaften ihre Dienst¬
mädchen mit, da diese allein und auf eigne Faust wohl noch nicht ins Bad
reisen, und die zurückkommenden verfehlen dann nicht, den zurückgebliebnen
Bekannten zu erzählen, wie schön es war. Es soll vorkommen, daß Dienst¬
mädchen so erpicht auf die Badezeit sind, daß ihre Herrschaften schon ihret¬
wegen in irgend ein Bad gehen müssen! Das ist die Folge der Kultur, die
alle Welt beleckt. Das neunzehnte Jahrhundert — natürlich den alö Äöols,
denn seltsamerweise hat man sich angewöhnt, unter dem neunzehnten Jahr¬
hundert die glanzvollen Jahre nach 1870 zu verstehen; die Deutschen vor
Anno 1848 haben von dem wahren Wesen dieser seit Bestehen der Welt fort¬
geschrittensten „Epoche" keinen leisen Begriff gehabt — dies Jahrhundert der
Kultur hat nichts Bvllkommeneres, nichts Feineres hervorgebracht, als ein
„fashionables" Bad. Das Bajä des alten kaiserlichen Roms kann sich mit
den vornehmen Sammelplätzen unsrer feinen Welt uicht messen, so wenig wie


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[0134] Ferien, Bäder und Landstraßen vielen „Bourgeois" und „Arbeitern" keineswegs so groß, daß er die Arbeiter sämtlich von dem Zusammenleben mit den übrigen in den Bädern ausschlösse. Es giebt Arbeiter in Menge, die dieselben Bedürfnisse und Empfindungen wie die Bourgeois haben, und da sie zugleich moralisch reif, aufgeklärt und ge¬ bildet geung sind, in der passenden Kleidung jede „Saison" mitmachen zu können, ohne aufzufallen und anzustoßen, uicht einsehen werden, warum die allgemeine Mode sie und mir immer sie uicht gelten und mitzählen läßt. Lieber Gott, was gehört denn schließlich zu einem „gebildeten" Auftreten? Die Bildung ist oft erstaunlich oberflächlich, die Gesellschaft ist in diesem Punkte sehr anspruchslos, Unterscheidung von mir und mich, etwas „Lit¬ teratur," Besuch des Theaters, fleißiges Lesen der Zeitungen und „Journale" und ein paar Tanzstunden sind völlig genügend, besonders wenn das Ganze mit etwas Firnis überstrichen ist und die Kleider dazu kommen, die zwar keine Menschen, aber bekanntlich „Leute" machen. Die „höhere Schule" allein thut es uicht, und selbst einem ehemaligen Gymnasiasten kann es unter Umständen begegnen, daß er vor der Redegewandtheit, der Schreibfertigkeit und den ge¬ schichtlichen Kenntnissen eines einfachen Arbeiters, der sich in seineu Muße¬ stunden weitergebildet hat, die Segel streichen muß. Wenn also schon in dieser Hinsicht die intelligenten Arbeiter der großen Städte nicht begreifen werden, warum ihnen die Genüsse des Badelebens vorenthalten werden sollen, so ist außerdem die sogenannte Bourgeoisie so unklug, sich dieses Leben so angenehm zu machen, daß es notwendig den „Neid der besitzlosen Klasse" erregen muß. Ob man selbst Gelegenheit hat, sich das noble Treiben anzusehen, ob man die verlockenden Beschreibungen oder die zum Besuch anfeuernden Reklamen liest, ob man die Abbildungen in den illustrirten Zeitschriften mustert, der Wunsch ist allzu natürlich, daß man auch dabei sein und mitthun möchte. Wie es im Bade zugeht, das wissen auch die, die niemals dort gewesen sind, und wenns auch nur vom Hörensagen wäre. Nehmen doch die Herrschaften ihre Dienst¬ mädchen mit, da diese allein und auf eigne Faust wohl noch nicht ins Bad reisen, und die zurückkommenden verfehlen dann nicht, den zurückgebliebnen Bekannten zu erzählen, wie schön es war. Es soll vorkommen, daß Dienst¬ mädchen so erpicht auf die Badezeit sind, daß ihre Herrschaften schon ihret¬ wegen in irgend ein Bad gehen müssen! Das ist die Folge der Kultur, die alle Welt beleckt. Das neunzehnte Jahrhundert — natürlich den alö Äöols, denn seltsamerweise hat man sich angewöhnt, unter dem neunzehnten Jahr¬ hundert die glanzvollen Jahre nach 1870 zu verstehen; die Deutschen vor Anno 1848 haben von dem wahren Wesen dieser seit Bestehen der Welt fort¬ geschrittensten „Epoche" keinen leisen Begriff gehabt — dies Jahrhundert der Kultur hat nichts Bvllkommeneres, nichts Feineres hervorgebracht, als ein „fashionables" Bad. Das Bajä des alten kaiserlichen Roms kann sich mit den vornehmen Sammelplätzen unsrer feinen Welt uicht messen, so wenig wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/134>, abgerufen am 23.07.2024.