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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Friedrich Hölderlin

zu kommen und zeigte noch beim Abschiede ihren ganzen edeln Sinn und ihre,
wie ich doch glauben muß, herzliche Freundschaft für mich,"

Vom Oktober 1794 bis zum Juli 1795 dauerte Hölderlins Aufenthalt
in Jena, wo Schiller eben von der Geschichte und der philosophischen Ästhetik
zum poetischen Schaffen zurückkehrte und nebenbei die "Hören" und seinen
Musenalmanach herausgab, wo Fichte eben seine Wissenschaftslehre vom Ka¬
theder herab offenbarte, und wo sich aus ganz Deutschland die empfänglichste
und hochstrebeudste Jugend zu der Hochschule Johann Friedrichs des Gro߬
mütigen drängte. Der Gedanke Hölderlins, sich womöglich unter die Lehr¬
kräfte dieser Hochschule zu reihen, war eine flüchtige Anwandlung und im
Grunde ein Verkennen seiner wahren Natur, er blieb mit aller philosophischen
und philologischen Bildung ein Poet, er konnte sich ja in jede andre als die
künstlerische Bethätigung seines Geistes fügen, aber nicht einleben. Die Nähe
dessen, was in feinen Augen groß und verehrungswürdig war, bewegte, ja
erschütterte ihn aufs tiefste. Im November 1794 schon meldete er an Neuffer:
,,Jch habe jetzt den Kopf und das Herz voll von dem, was ich durch Denken
und Dichten, auch von dem, was ich pflichtmäßig, dnrch Handeln, hinaus¬
führen möchte, letzteres natürlich nicht allein. Die Nähe der wahrhaft großen
Geister und auch die Nähe wahrhaft großer, selbstthätiger, mutiger Herzen
schlägt mich nieder und erhebt mich wechselsweise, ich muß mir heraushelfen
aus Dämmerung und Schlummer, halb entwickelte, halb erstorbene Kräfte
sanft und mit Gewalt wecken und bilden, wenn ich nicht am Ende zu einer
traurigen Resignation meine Zuflucht nehmen soll, wo man sich mit andern
Unmündigen und Unmächtigen tröstet, die Welt gehen läßt, wie sie geht, dein
Untergange und Aufgange der Wahrheit und des Rechts, dem Blühen und
Welken der Kunst, dem Tod und Leben von allem, was den Menschen als
Menschen interessirt, wo man dem allen aus seinem Winkel mit Ruhe zusieht
und, wenns hoch kömmt, den Forderungen der Menschheit seine negative Tugend
entgegenstellt. Lieber das Grab, als diesen Zustand. Und doch hab ich oft
beinah nichts andres im Prospekt. Lieber alter Herzensfreund! in solchen
Augenblicken vermiß ich oft recht Deine Nähe, Deinen Trost und das sichtbare
Beispiel Deiner Festigkeit. Ich weiß, daß auch Dich zuweilen der Mut ver¬
läßt, ich weiß, daß es allgemeines Schicksal der Seelen ist, die mehr als
tierische Bedürfnisse haben. Nur siud die Grade verschieden."

(Schluß folgt)




Friedrich Hölderlin

zu kommen und zeigte noch beim Abschiede ihren ganzen edeln Sinn und ihre,
wie ich doch glauben muß, herzliche Freundschaft für mich,"

Vom Oktober 1794 bis zum Juli 1795 dauerte Hölderlins Aufenthalt
in Jena, wo Schiller eben von der Geschichte und der philosophischen Ästhetik
zum poetischen Schaffen zurückkehrte und nebenbei die „Hören" und seinen
Musenalmanach herausgab, wo Fichte eben seine Wissenschaftslehre vom Ka¬
theder herab offenbarte, und wo sich aus ganz Deutschland die empfänglichste
und hochstrebeudste Jugend zu der Hochschule Johann Friedrichs des Gro߬
mütigen drängte. Der Gedanke Hölderlins, sich womöglich unter die Lehr¬
kräfte dieser Hochschule zu reihen, war eine flüchtige Anwandlung und im
Grunde ein Verkennen seiner wahren Natur, er blieb mit aller philosophischen
und philologischen Bildung ein Poet, er konnte sich ja in jede andre als die
künstlerische Bethätigung seines Geistes fügen, aber nicht einleben. Die Nähe
dessen, was in feinen Augen groß und verehrungswürdig war, bewegte, ja
erschütterte ihn aufs tiefste. Im November 1794 schon meldete er an Neuffer:
,,Jch habe jetzt den Kopf und das Herz voll von dem, was ich durch Denken
und Dichten, auch von dem, was ich pflichtmäßig, dnrch Handeln, hinaus¬
führen möchte, letzteres natürlich nicht allein. Die Nähe der wahrhaft großen
Geister und auch die Nähe wahrhaft großer, selbstthätiger, mutiger Herzen
schlägt mich nieder und erhebt mich wechselsweise, ich muß mir heraushelfen
aus Dämmerung und Schlummer, halb entwickelte, halb erstorbene Kräfte
sanft und mit Gewalt wecken und bilden, wenn ich nicht am Ende zu einer
traurigen Resignation meine Zuflucht nehmen soll, wo man sich mit andern
Unmündigen und Unmächtigen tröstet, die Welt gehen läßt, wie sie geht, dein
Untergange und Aufgange der Wahrheit und des Rechts, dem Blühen und
Welken der Kunst, dem Tod und Leben von allem, was den Menschen als
Menschen interessirt, wo man dem allen aus seinem Winkel mit Ruhe zusieht
und, wenns hoch kömmt, den Forderungen der Menschheit seine negative Tugend
entgegenstellt. Lieber das Grab, als diesen Zustand. Und doch hab ich oft
beinah nichts andres im Prospekt. Lieber alter Herzensfreund! in solchen
Augenblicken vermiß ich oft recht Deine Nähe, Deinen Trost und das sichtbare
Beispiel Deiner Festigkeit. Ich weiß, daß auch Dich zuweilen der Mut ver¬
läßt, ich weiß, daß es allgemeines Schicksal der Seelen ist, die mehr als
tierische Bedürfnisse haben. Nur siud die Grade verschieden."

(Schluß folgt)




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[0128] Friedrich Hölderlin zu kommen und zeigte noch beim Abschiede ihren ganzen edeln Sinn und ihre, wie ich doch glauben muß, herzliche Freundschaft für mich," Vom Oktober 1794 bis zum Juli 1795 dauerte Hölderlins Aufenthalt in Jena, wo Schiller eben von der Geschichte und der philosophischen Ästhetik zum poetischen Schaffen zurückkehrte und nebenbei die „Hören" und seinen Musenalmanach herausgab, wo Fichte eben seine Wissenschaftslehre vom Ka¬ theder herab offenbarte, und wo sich aus ganz Deutschland die empfänglichste und hochstrebeudste Jugend zu der Hochschule Johann Friedrichs des Gro߬ mütigen drängte. Der Gedanke Hölderlins, sich womöglich unter die Lehr¬ kräfte dieser Hochschule zu reihen, war eine flüchtige Anwandlung und im Grunde ein Verkennen seiner wahren Natur, er blieb mit aller philosophischen und philologischen Bildung ein Poet, er konnte sich ja in jede andre als die künstlerische Bethätigung seines Geistes fügen, aber nicht einleben. Die Nähe dessen, was in feinen Augen groß und verehrungswürdig war, bewegte, ja erschütterte ihn aufs tiefste. Im November 1794 schon meldete er an Neuffer: ,,Jch habe jetzt den Kopf und das Herz voll von dem, was ich durch Denken und Dichten, auch von dem, was ich pflichtmäßig, dnrch Handeln, hinaus¬ führen möchte, letzteres natürlich nicht allein. Die Nähe der wahrhaft großen Geister und auch die Nähe wahrhaft großer, selbstthätiger, mutiger Herzen schlägt mich nieder und erhebt mich wechselsweise, ich muß mir heraushelfen aus Dämmerung und Schlummer, halb entwickelte, halb erstorbene Kräfte sanft und mit Gewalt wecken und bilden, wenn ich nicht am Ende zu einer traurigen Resignation meine Zuflucht nehmen soll, wo man sich mit andern Unmündigen und Unmächtigen tröstet, die Welt gehen läßt, wie sie geht, dein Untergange und Aufgange der Wahrheit und des Rechts, dem Blühen und Welken der Kunst, dem Tod und Leben von allem, was den Menschen als Menschen interessirt, wo man dem allen aus seinem Winkel mit Ruhe zusieht und, wenns hoch kömmt, den Forderungen der Menschheit seine negative Tugend entgegenstellt. Lieber das Grab, als diesen Zustand. Und doch hab ich oft beinah nichts andres im Prospekt. Lieber alter Herzensfreund! in solchen Augenblicken vermiß ich oft recht Deine Nähe, Deinen Trost und das sichtbare Beispiel Deiner Festigkeit. Ich weiß, daß auch Dich zuweilen der Mut ver¬ läßt, ich weiß, daß es allgemeines Schicksal der Seelen ist, die mehr als tierische Bedürfnisse haben. Nur siud die Grade verschieden." (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/128>, abgerufen am 23.07.2024.