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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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bleiben und jedes andre nur äußerlich und zufällig von ihm erreicht werden
wurde. Und obwohl er pietätvoll und weichherzig fortfuhr, zu Mutter, Schwester
und Bruder in der Sprache zu reden, die sie verstanden, sich ihnen als ein
Mensch darzustellen, um dessen Zukunft sie nicht allzuschwere Sorgen zu hegen
brauchten ("es ist, wie ich glaube, weder Unbescheidenheit uoch Träumerei,
wenn ich für mein Wesen, soweit ich seine Bedürfnisse kenne, für jetzt noch
eine Lage notwendig halte, in der ich mehr Möglichkeit vor mir sehe, an
mannichfaltigen Gegenständen, ohne die Einschränkungen eines fixirten bürger¬
lichen Verhältnisses, meinen Geist und mein Herz zu nähren," schreibt er an
seine Mutter am 1. Juli 1794), so muß er doch wohl gefühlt haben, daß
ein Geist in ihm lebte, der ihn allem heitern Begnügen mit den engen und
unschönen Verhältnissen entfremdete, in die ihn sein Schicksal gestellt hatte.

Der Aufenthalt im Hause der Frau von Kalb rückte den jugendlichen
Dichter mit einemmale in den Mittelpunkt des geistigem Lebens, der geistigen
Bewegung. Es waren weder gesunde noch erfreuliche häusliche Zustände, die
Hölderlin beim Major von Kalb und seiner geistreichen Frau vorfand: eine
Ehe, zu der die Frau aus Familien- und Vermögensrücksichten gezwungen
worden war, und die in jedem Augenblicke von jedem Sturme der Leidenschaft
bedroht wurde, der durch die Seele der Titanide brauste, ein kränklicher Zög¬
ling, der den unerfahrenen Erzieher anfänglich durch körperliche Schönheit und
zutrauliches Anschlußbedürfnis bestach, und bei dem er doch bald erkennen
mußte, daß alle Mühe und Sorgfalt vergeblich sein würde, ein Haushalt,
worin aristokratische Bedürfnisse und Gewohnheiten beständig mit der Not¬
wendigkeit der Einschränkung stritten, gaben, wie lange sich anch der Haus¬
lehrer darüber zu täusche" suchte, seiner Lage im Kalbschen Hause etwas
gedrücktes. Dabei hatte er doch Ursache, die Energie des Geistes, die reiche
Phantasie, die vorurteilslose Empfindung Charlottes zu bewundern, und war
zu jung, die dunkeln Seiten in der Natur und der Seele der genialen
und unglücklichen Frau klar zu erkennen. Charlotte zeigte sich gütig und
teilnehmend, sie ehrte in dem jungen Hofmeister die bald erkannte poetische
Begabung und deu verwandten Geist, sie empfahl ihn an Schiller, Goethe
und Herder, sie entschloß sich endlich, nachdem sie ihn schon im Oktober 1794
mit ihrem Sohne nach Jena geschickt hatte, ihn im Januar 1795 seiner Ver¬
antwortlichkeit als Erzieher zu entheben. "So erbot sich, meldete Hölderlin
an seinen Freund Neuffer, die Majorin von selbst, meinem Jammer ein Ende
zu machen, ich nahm sie beim Worte, sie wollte aber nicht, daß ich so plötz¬
lich ginge, ich stellte ihr vor, daß ich meiner Gesundheit so bald möglich
Ruhe schaffen, auch mein unterbrochenes Kolleg bei Fichte noch hören möchte,
und sie gab endlich nach, versah mich noch mit Gelde auf ein Vierteljahr,
will sonst alles thun, um mir einen längern Aufenthalt hier möglich zu machen,
bat mich, ja aller Monate ein paar mal hinüber (von Jena nach Weimar)


bleiben und jedes andre nur äußerlich und zufällig von ihm erreicht werden
wurde. Und obwohl er pietätvoll und weichherzig fortfuhr, zu Mutter, Schwester
und Bruder in der Sprache zu reden, die sie verstanden, sich ihnen als ein
Mensch darzustellen, um dessen Zukunft sie nicht allzuschwere Sorgen zu hegen
brauchten („es ist, wie ich glaube, weder Unbescheidenheit uoch Träumerei,
wenn ich für mein Wesen, soweit ich seine Bedürfnisse kenne, für jetzt noch
eine Lage notwendig halte, in der ich mehr Möglichkeit vor mir sehe, an
mannichfaltigen Gegenständen, ohne die Einschränkungen eines fixirten bürger¬
lichen Verhältnisses, meinen Geist und mein Herz zu nähren," schreibt er an
seine Mutter am 1. Juli 1794), so muß er doch wohl gefühlt haben, daß
ein Geist in ihm lebte, der ihn allem heitern Begnügen mit den engen und
unschönen Verhältnissen entfremdete, in die ihn sein Schicksal gestellt hatte.

Der Aufenthalt im Hause der Frau von Kalb rückte den jugendlichen
Dichter mit einemmale in den Mittelpunkt des geistigem Lebens, der geistigen
Bewegung. Es waren weder gesunde noch erfreuliche häusliche Zustände, die
Hölderlin beim Major von Kalb und seiner geistreichen Frau vorfand: eine
Ehe, zu der die Frau aus Familien- und Vermögensrücksichten gezwungen
worden war, und die in jedem Augenblicke von jedem Sturme der Leidenschaft
bedroht wurde, der durch die Seele der Titanide brauste, ein kränklicher Zög¬
ling, der den unerfahrenen Erzieher anfänglich durch körperliche Schönheit und
zutrauliches Anschlußbedürfnis bestach, und bei dem er doch bald erkennen
mußte, daß alle Mühe und Sorgfalt vergeblich sein würde, ein Haushalt,
worin aristokratische Bedürfnisse und Gewohnheiten beständig mit der Not¬
wendigkeit der Einschränkung stritten, gaben, wie lange sich anch der Haus¬
lehrer darüber zu täusche» suchte, seiner Lage im Kalbschen Hause etwas
gedrücktes. Dabei hatte er doch Ursache, die Energie des Geistes, die reiche
Phantasie, die vorurteilslose Empfindung Charlottes zu bewundern, und war
zu jung, die dunkeln Seiten in der Natur und der Seele der genialen
und unglücklichen Frau klar zu erkennen. Charlotte zeigte sich gütig und
teilnehmend, sie ehrte in dem jungen Hofmeister die bald erkannte poetische
Begabung und deu verwandten Geist, sie empfahl ihn an Schiller, Goethe
und Herder, sie entschloß sich endlich, nachdem sie ihn schon im Oktober 1794
mit ihrem Sohne nach Jena geschickt hatte, ihn im Januar 1795 seiner Ver¬
antwortlichkeit als Erzieher zu entheben. „So erbot sich, meldete Hölderlin
an seinen Freund Neuffer, die Majorin von selbst, meinem Jammer ein Ende
zu machen, ich nahm sie beim Worte, sie wollte aber nicht, daß ich so plötz¬
lich ginge, ich stellte ihr vor, daß ich meiner Gesundheit so bald möglich
Ruhe schaffen, auch mein unterbrochenes Kolleg bei Fichte noch hören möchte,
und sie gab endlich nach, versah mich noch mit Gelde auf ein Vierteljahr,
will sonst alles thun, um mir einen längern Aufenthalt hier möglich zu machen,
bat mich, ja aller Monate ein paar mal hinüber (von Jena nach Weimar)


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/127>, abgerufen am 23.07.2024.