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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Friedrich Hölderlin

Vorstellung, den Seinigen zu lieb ein Jährchen hindurch bei Beschwerlichkeiten
gleichgiltig zu sein und über Narrheiten zu lachen, all dies bewog mich, end¬
lich Ihnen, liebe Mama, zu folgen. Elternrat beruhigt immerhin. Geh es,
wie es will, hab ich doch diesen Trost."

Der Biograph hat sicher Recht, wenn er diese Fügsamkeit des jungen
Mannes aus die Liebe zu den Seinigen, das innige Verwachsensein mit der
Familie zurückführt. Gleichwohl dürfte ihr noch etwas andres zu Grunde ge¬
legen haben: die gefährliche völlige Gleichgiltigkeit gegen jedes Schicksal, das
ihm im gewöhnlichen Gang der Dinge etwa blühen konnte. Wie er sich durch
die Schönheit seiner leiblichen Erscheinung von der großen Mehrzahl seiner
Landsleute und Kommilitonen unterschied ("seine regelmäßige Gesichtsbildung,
der sanfte Ausdruck seines Gesichts, sein schöner Wuchs, sein sorgfältiger rein¬
licher Anzug und jener unverkennbare Ausdruck des Höhern in seinem ganzen
Wesen sind mir immer gegenwärtig geblieben," heißt es in Rehfues Erinne¬
rungen) -- so lebte in seiner Seele ein Schönheitsbedürfnis, ein lechzendes
Verlangen nach innerer Harmonie und seligem Frieden des Daseins, denen
gegenüber alle Zustände seiner Zeit und Umgebung hoffnungslos und drückend
erschienen. Im Vergleich zu der Hoffnung, daß Begeisterung mit allmächtigen
Wonnen, in goldnen Wolken den Frühling der Völker erneuern, das erwachte
Gefühl des Göttlichen dem Menschen seine Gottheit und seiner Brust die
schöne Jugend wieder bringen werde (Hyperion), war freilich jede Möglichkeit,
die einem Tübinger Magister offen stand, bedeutungslos, die eine ausge¬
nommen, in poetischer Vertiefung und Kraft für die raschere Verwirklichung
des goldnen Traums zu wirken. In der That ist die Sehnsucht nach dichte¬
rischer Ausbildung und Bethätigung der rote Faden, der sich durch Hölderlins
Jugend- und Universitätszeit hindurchzieht. Die unwirtlichen Träume waren
seine Wirklichkeit, neben der die Realitäten seines Lebens unwirklich wurden.

Im Jahre 1790 erwarb er den Magistergrad und schrieb seiner Mutter,
nachdem er ihr die Kosten dieser akademischen Promotion berechnet hatte: "Frei¬
lich ists ärgerlich, da die ganze Sache so unnütz ist. Meinetwegen könnten
alle Magisters und Doctors Titel, samt hochgelahrt und hochgeboren in
Morea sein." Er zitterte förmlich vor dem, was die Mehrzahl der Studi-
renden ersehnt, vor einer frühen Versorgung, und zog jede Hauslehrerstellung,
der sich leicht wieder entrinnen ließ, und die wenigstens die Möglichkeit eines
völligen Umschwungs seines Schicksals in sich einschloß, den Anerbietungen
des Stuttgarter Konsistoriums zu einem Vikariat vor; er fragte sich selbst in
einem Briefe an seine Mutter: "Ist es Glück oder Unglück, daß mir die Natur
diesen unüberwindlichen Trieb gab, die Kräfte in mir immer mehr und mehr
auszubilden?" Er wußte bereits, als er im Jahre 1793 durch Schillers Ver¬
mittelung als Hofmeister in das Haus Charlottes von Kalb gerufen wurde,
daß die Allsbildung seiner Kräfte, vor allem der poetischen, sein einziges Ziel


Friedrich Hölderlin

Vorstellung, den Seinigen zu lieb ein Jährchen hindurch bei Beschwerlichkeiten
gleichgiltig zu sein und über Narrheiten zu lachen, all dies bewog mich, end¬
lich Ihnen, liebe Mama, zu folgen. Elternrat beruhigt immerhin. Geh es,
wie es will, hab ich doch diesen Trost."

Der Biograph hat sicher Recht, wenn er diese Fügsamkeit des jungen
Mannes aus die Liebe zu den Seinigen, das innige Verwachsensein mit der
Familie zurückführt. Gleichwohl dürfte ihr noch etwas andres zu Grunde ge¬
legen haben: die gefährliche völlige Gleichgiltigkeit gegen jedes Schicksal, das
ihm im gewöhnlichen Gang der Dinge etwa blühen konnte. Wie er sich durch
die Schönheit seiner leiblichen Erscheinung von der großen Mehrzahl seiner
Landsleute und Kommilitonen unterschied („seine regelmäßige Gesichtsbildung,
der sanfte Ausdruck seines Gesichts, sein schöner Wuchs, sein sorgfältiger rein¬
licher Anzug und jener unverkennbare Ausdruck des Höhern in seinem ganzen
Wesen sind mir immer gegenwärtig geblieben," heißt es in Rehfues Erinne¬
rungen) — so lebte in seiner Seele ein Schönheitsbedürfnis, ein lechzendes
Verlangen nach innerer Harmonie und seligem Frieden des Daseins, denen
gegenüber alle Zustände seiner Zeit und Umgebung hoffnungslos und drückend
erschienen. Im Vergleich zu der Hoffnung, daß Begeisterung mit allmächtigen
Wonnen, in goldnen Wolken den Frühling der Völker erneuern, das erwachte
Gefühl des Göttlichen dem Menschen seine Gottheit und seiner Brust die
schöne Jugend wieder bringen werde (Hyperion), war freilich jede Möglichkeit,
die einem Tübinger Magister offen stand, bedeutungslos, die eine ausge¬
nommen, in poetischer Vertiefung und Kraft für die raschere Verwirklichung
des goldnen Traums zu wirken. In der That ist die Sehnsucht nach dichte¬
rischer Ausbildung und Bethätigung der rote Faden, der sich durch Hölderlins
Jugend- und Universitätszeit hindurchzieht. Die unwirtlichen Träume waren
seine Wirklichkeit, neben der die Realitäten seines Lebens unwirklich wurden.

Im Jahre 1790 erwarb er den Magistergrad und schrieb seiner Mutter,
nachdem er ihr die Kosten dieser akademischen Promotion berechnet hatte: „Frei¬
lich ists ärgerlich, da die ganze Sache so unnütz ist. Meinetwegen könnten
alle Magisters und Doctors Titel, samt hochgelahrt und hochgeboren in
Morea sein." Er zitterte förmlich vor dem, was die Mehrzahl der Studi-
renden ersehnt, vor einer frühen Versorgung, und zog jede Hauslehrerstellung,
der sich leicht wieder entrinnen ließ, und die wenigstens die Möglichkeit eines
völligen Umschwungs seines Schicksals in sich einschloß, den Anerbietungen
des Stuttgarter Konsistoriums zu einem Vikariat vor; er fragte sich selbst in
einem Briefe an seine Mutter: „Ist es Glück oder Unglück, daß mir die Natur
diesen unüberwindlichen Trieb gab, die Kräfte in mir immer mehr und mehr
auszubilden?" Er wußte bereits, als er im Jahre 1793 durch Schillers Ver¬
mittelung als Hofmeister in das Haus Charlottes von Kalb gerufen wurde,
daß die Allsbildung seiner Kräfte, vor allem der poetischen, sein einziges Ziel


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[0126] Friedrich Hölderlin Vorstellung, den Seinigen zu lieb ein Jährchen hindurch bei Beschwerlichkeiten gleichgiltig zu sein und über Narrheiten zu lachen, all dies bewog mich, end¬ lich Ihnen, liebe Mama, zu folgen. Elternrat beruhigt immerhin. Geh es, wie es will, hab ich doch diesen Trost." Der Biograph hat sicher Recht, wenn er diese Fügsamkeit des jungen Mannes aus die Liebe zu den Seinigen, das innige Verwachsensein mit der Familie zurückführt. Gleichwohl dürfte ihr noch etwas andres zu Grunde ge¬ legen haben: die gefährliche völlige Gleichgiltigkeit gegen jedes Schicksal, das ihm im gewöhnlichen Gang der Dinge etwa blühen konnte. Wie er sich durch die Schönheit seiner leiblichen Erscheinung von der großen Mehrzahl seiner Landsleute und Kommilitonen unterschied („seine regelmäßige Gesichtsbildung, der sanfte Ausdruck seines Gesichts, sein schöner Wuchs, sein sorgfältiger rein¬ licher Anzug und jener unverkennbare Ausdruck des Höhern in seinem ganzen Wesen sind mir immer gegenwärtig geblieben," heißt es in Rehfues Erinne¬ rungen) — so lebte in seiner Seele ein Schönheitsbedürfnis, ein lechzendes Verlangen nach innerer Harmonie und seligem Frieden des Daseins, denen gegenüber alle Zustände seiner Zeit und Umgebung hoffnungslos und drückend erschienen. Im Vergleich zu der Hoffnung, daß Begeisterung mit allmächtigen Wonnen, in goldnen Wolken den Frühling der Völker erneuern, das erwachte Gefühl des Göttlichen dem Menschen seine Gottheit und seiner Brust die schöne Jugend wieder bringen werde (Hyperion), war freilich jede Möglichkeit, die einem Tübinger Magister offen stand, bedeutungslos, die eine ausge¬ nommen, in poetischer Vertiefung und Kraft für die raschere Verwirklichung des goldnen Traums zu wirken. In der That ist die Sehnsucht nach dichte¬ rischer Ausbildung und Bethätigung der rote Faden, der sich durch Hölderlins Jugend- und Universitätszeit hindurchzieht. Die unwirtlichen Träume waren seine Wirklichkeit, neben der die Realitäten seines Lebens unwirklich wurden. Im Jahre 1790 erwarb er den Magistergrad und schrieb seiner Mutter, nachdem er ihr die Kosten dieser akademischen Promotion berechnet hatte: „Frei¬ lich ists ärgerlich, da die ganze Sache so unnütz ist. Meinetwegen könnten alle Magisters und Doctors Titel, samt hochgelahrt und hochgeboren in Morea sein." Er zitterte förmlich vor dem, was die Mehrzahl der Studi- renden ersehnt, vor einer frühen Versorgung, und zog jede Hauslehrerstellung, der sich leicht wieder entrinnen ließ, und die wenigstens die Möglichkeit eines völligen Umschwungs seines Schicksals in sich einschloß, den Anerbietungen des Stuttgarter Konsistoriums zu einem Vikariat vor; er fragte sich selbst in einem Briefe an seine Mutter: „Ist es Glück oder Unglück, daß mir die Natur diesen unüberwindlichen Trieb gab, die Kräfte in mir immer mehr und mehr auszubilden?" Er wußte bereits, als er im Jahre 1793 durch Schillers Ver¬ mittelung als Hofmeister in das Haus Charlottes von Kalb gerufen wurde, daß die Allsbildung seiner Kräfte, vor allem der poetischen, sein einziges Ziel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/126>, abgerufen am 23.07.2024.