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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Die Umbildung der socialdemokratischen Partei

gehen, nötigeufallcs, wenn sie eine Gefahr für die Gesamtheit werden sollte,
mit eiserner Fällst zerschmettert werden müßte. Aber wünschen können dies
doch nur die, die des nach Vernunft, Gerechtigkeit und Geschichte gleich
thörichten Glaubens leben, daß die Weltgeschichte mit dem Augenblick ihren
Höhepunkt erreicht habe, wo die jetzige, wesentlich auf die Interessen des
Bürgertums aufgebaute Gesellschaftsordnung eingerichtet war, und daß von
jetzt um die langsame und organische Entwicklung zu immer bessern und
edlern Formen des Daseins stille zu stehen habe. Wer dies nicht glaubt,
wer die Berechtigung einer Arbeiterbewegung an sich eben so anerkennt, wie
er sür die Vergangenheit die Freiheitsbestrebungen des Bürgertums als einen
Fortschritt erkannt hat, der wird es nur bedauern können, wenn die Arbeiter¬
bewegung auf revolutionäre Irrwege geraten und auf diesen zu Grunde gehen
sollte. Erreicht hätten wir damit weiter nichts, als daß wir durch unsägliches
Elend hindurch wieder auf einen Punkt zurückgedrängt wären, von dem aus
die Arbeiterbewegung doch nur wieder von neuem, wenn auch vielleicht in
andrer Form und mit andern Mitteln, beginnen würde. Wer daher diesen
im letzten Ergebnis doch voraussichtlich nutzlose" Kampf vermeiden will, der
sorge dafür, daß aus der Sozialdemokratie, die nun einmal die Führerin in
jenem Emanzipatiousstreben der Arbeiter geworden ist, mehr und mehr eine
verständige Arbeiterpartei werde, der suche anzuknüpfen an die in ihrer Organi¬
sation erkennbar werdenden lebensvollen Triebe, der stärke die Parteileitung
in ihrem Bestreben, die Massen in Zucht und Ordnung zu halten, und der
spiele nicht den SAMt provocAwur für den verbohrten Unverstand unbelehrbarer
Revolutionäre, indem er ihren Reden schmunzelnd zuhört und ruft: Recht so!
Das ist vom Standpunkte der Sozialdemokratie aus allein prinzipientreu!

Da wird dann von dem ganz unsozialdemokratischen Autoritätsglauben,
den die Führer für sich fordern, von der durchaus uicht demokratischen Art,
in der die Parteileitung die Geschäfte führe, von den hohen Einkünften und
dein guten Leben der Führer geredet, die selbst keine Arbeiter seien und sich
von den Schweißgroschen der Arbeiter ernähren. Das ist eine sehr billige
Kritik, die wir da den "Jungen" nachsprechen! Gewiß ist das alles nicht
sozialdemokratisch und vom Standpunkt eines konsequenten Sozialdemokraten
so verwerflich wie möglich. Aber gerade deshalb ist es das Richtige, gerade
deshalb enthält es Keime für eine zukünftige lebensfähige Arbeiterbewegung.
Eine solche Bewegung braucht einflußreiche Führer an ihrer Spitze, sie braucht
Führer, die nicht arbeiten, sondern sich von den "Schweißgrvschen" der Arbeiter
ernähren, d. h. solche, die der Bewegung ihre volle Zeit,? ihre ganze Arbeits¬
kraft widmen können. Dadurch erreicht man es, daß in dem Maße, wie die
Bewegung wächst, sich der Gesichtskreis der Führer und das Bewußtsein ihrer
Verantwortlichkeit erweitert, und daß sich mehr und^mehr an die Spitze der
Bewegung die Sachkenntnis und Geschäftskunde und somit die uur nach dem


Die Umbildung der socialdemokratischen Partei

gehen, nötigeufallcs, wenn sie eine Gefahr für die Gesamtheit werden sollte,
mit eiserner Fällst zerschmettert werden müßte. Aber wünschen können dies
doch nur die, die des nach Vernunft, Gerechtigkeit und Geschichte gleich
thörichten Glaubens leben, daß die Weltgeschichte mit dem Augenblick ihren
Höhepunkt erreicht habe, wo die jetzige, wesentlich auf die Interessen des
Bürgertums aufgebaute Gesellschaftsordnung eingerichtet war, und daß von
jetzt um die langsame und organische Entwicklung zu immer bessern und
edlern Formen des Daseins stille zu stehen habe. Wer dies nicht glaubt,
wer die Berechtigung einer Arbeiterbewegung an sich eben so anerkennt, wie
er sür die Vergangenheit die Freiheitsbestrebungen des Bürgertums als einen
Fortschritt erkannt hat, der wird es nur bedauern können, wenn die Arbeiter¬
bewegung auf revolutionäre Irrwege geraten und auf diesen zu Grunde gehen
sollte. Erreicht hätten wir damit weiter nichts, als daß wir durch unsägliches
Elend hindurch wieder auf einen Punkt zurückgedrängt wären, von dem aus
die Arbeiterbewegung doch nur wieder von neuem, wenn auch vielleicht in
andrer Form und mit andern Mitteln, beginnen würde. Wer daher diesen
im letzten Ergebnis doch voraussichtlich nutzlose« Kampf vermeiden will, der
sorge dafür, daß aus der Sozialdemokratie, die nun einmal die Führerin in
jenem Emanzipatiousstreben der Arbeiter geworden ist, mehr und mehr eine
verständige Arbeiterpartei werde, der suche anzuknüpfen an die in ihrer Organi¬
sation erkennbar werdenden lebensvollen Triebe, der stärke die Parteileitung
in ihrem Bestreben, die Massen in Zucht und Ordnung zu halten, und der
spiele nicht den SAMt provocAwur für den verbohrten Unverstand unbelehrbarer
Revolutionäre, indem er ihren Reden schmunzelnd zuhört und ruft: Recht so!
Das ist vom Standpunkte der Sozialdemokratie aus allein prinzipientreu!

Da wird dann von dem ganz unsozialdemokratischen Autoritätsglauben,
den die Führer für sich fordern, von der durchaus uicht demokratischen Art,
in der die Parteileitung die Geschäfte führe, von den hohen Einkünften und
dein guten Leben der Führer geredet, die selbst keine Arbeiter seien und sich
von den Schweißgroschen der Arbeiter ernähren. Das ist eine sehr billige
Kritik, die wir da den „Jungen" nachsprechen! Gewiß ist das alles nicht
sozialdemokratisch und vom Standpunkt eines konsequenten Sozialdemokraten
so verwerflich wie möglich. Aber gerade deshalb ist es das Richtige, gerade
deshalb enthält es Keime für eine zukünftige lebensfähige Arbeiterbewegung.
Eine solche Bewegung braucht einflußreiche Führer an ihrer Spitze, sie braucht
Führer, die nicht arbeiten, sondern sich von den „Schweißgrvschen" der Arbeiter
ernähren, d. h. solche, die der Bewegung ihre volle Zeit,? ihre ganze Arbeits¬
kraft widmen können. Dadurch erreicht man es, daß in dem Maße, wie die
Bewegung wächst, sich der Gesichtskreis der Führer und das Bewußtsein ihrer
Verantwortlichkeit erweitert, und daß sich mehr und^mehr an die Spitze der
Bewegung die Sachkenntnis und Geschäftskunde und somit die uur nach dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/106>, abgerufen am 23.07.2024.