Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ferdinand Gregorovius

Teil seiner täglichen Aufzeichnungen zur Publikation bestimmt, der in die Zeit
seines zusammenhängenden römischen Aufenthaltes fiel, und nachträglich aus
diesen Notizen fast alles ausgemerzt, was für die Nachwelt irgend wie ver¬
letzend sein konnte. Bestimmt mag ihn hierzu der Haß haben, den er der
armen Ludmilla Ussing widmet. Die Veröffentlichung von Varnhagens Tage¬
büchern konnte ihm den Gedanken eingeben, dieser mit sast fanatischem Haß
aufgcuommnen Publikation mich seinem Tode etwas gegenüberzustellen, was
von harten Urteilen und Skandalsucht frei war und ebenso viel stilistische Ge¬
wandtheit und geistvolles Urteil zeigte wie Varnhagens Aufzeichnungen. Wer
will es dem Toten vorwerfen, daß er an Varnhagens Ideenfülle und sprach¬
liche Formvollendung denn doch nicht hinanreichte und durch das Bestreben,
jeden oder fast jeden Anstoß zu vermeiden, auch auf die Fülle wahren Lebens
hat verzichten müssen, die bei allem Klatsch in den von Ludmilla Ussing
herausgegebnen Tagebüchern den Leser in Spannung erhält?

Wie weit seine Vorsicht >n der Bearbeitung der Tagebücher gegangen ist,
kann man z. V. daraus sehen, daß nicht selten bei der Erzählung von ganz
unverfänglichen Dingen der Name der handelnden Person nur dnrch den An¬
fangsbuchstaben angedeutet ist. So ist die mit I. bezeichnete Dame, die bei
Frau L. (gemeint ist Frau Lindemann-Frommel) am 30. Januar 1870 musizirt,
nachdem sie aus Fanatismus für Liszt ihre Kiuder verlassen hat, um seine
Schülerin zu werden (Gregorovius bezeichnet sie als "kleine, geistreiche, när¬
rische Person und liszttoll"), die Gräfin Janina; die am 25. April 1869 er¬
wähnte Generalin von G. ist die Gemahlin des Generals von Gansange, und
die junge Fürstin S., von der sich Liszt am II. März 1866 zum Klavier¬
spiel zwingen ließ, war eine Prinzessin Shahovskoy.

Aus demselben Bestreben ist es wohl zu erklären, wenn er eine peinliche
Szene, die sich am 30. November 1862 im preußischen Botschnftshotel ab¬
spielte, nur mit den Worten erwähnt: ,,Vor einigen Tagen fiel der preußische
Gesandte von Canitz in Wahnsinn; er erschien in dem Zimmer, wo der Kron¬
prinz von Preußen, die Kronprinzessin und der Prinz von Wales bei Tafel
saßen, gekleidet in sein türkisches Morgengewand, worin ich ihn so oft ge¬
sehen habe." Die Sache war in Wirklichkeit sehr viel schlimmer: der Irr¬
sinnige behauptete, er sei in seinem Hause, und niemand sonst habe etwas
darin zu sagen; darauf brach die Tobsucht so stark aus, daß ihn der Kron¬
prinz Friedrich mit den Armen umschlingen und so überwältigen mußte.

Doch wir brechen hier ab und sprechen nur deu Wunsch aus, daß bei
einer zweiten Auflage, die gewiß bald notwendig werden wird, einzelne Irr¬
tümer berichtigt werden möchten. So ist Seite 271 aus Jndult ein Jn-
duet, Seite 437 aus Halm ein Holm, Seite 7 aus Mamurrarum ge¬
worden Mamarrarum. Seite 254 hat sich Aquila uera verwandelt in
neva, die Prinzessin von Teano heißt Seite 387 Traro, Arieia wird


Ferdinand Gregorovius

Teil seiner täglichen Aufzeichnungen zur Publikation bestimmt, der in die Zeit
seines zusammenhängenden römischen Aufenthaltes fiel, und nachträglich aus
diesen Notizen fast alles ausgemerzt, was für die Nachwelt irgend wie ver¬
letzend sein konnte. Bestimmt mag ihn hierzu der Haß haben, den er der
armen Ludmilla Ussing widmet. Die Veröffentlichung von Varnhagens Tage¬
büchern konnte ihm den Gedanken eingeben, dieser mit sast fanatischem Haß
aufgcuommnen Publikation mich seinem Tode etwas gegenüberzustellen, was
von harten Urteilen und Skandalsucht frei war und ebenso viel stilistische Ge¬
wandtheit und geistvolles Urteil zeigte wie Varnhagens Aufzeichnungen. Wer
will es dem Toten vorwerfen, daß er an Varnhagens Ideenfülle und sprach¬
liche Formvollendung denn doch nicht hinanreichte und durch das Bestreben,
jeden oder fast jeden Anstoß zu vermeiden, auch auf die Fülle wahren Lebens
hat verzichten müssen, die bei allem Klatsch in den von Ludmilla Ussing
herausgegebnen Tagebüchern den Leser in Spannung erhält?

Wie weit seine Vorsicht >n der Bearbeitung der Tagebücher gegangen ist,
kann man z. V. daraus sehen, daß nicht selten bei der Erzählung von ganz
unverfänglichen Dingen der Name der handelnden Person nur dnrch den An¬
fangsbuchstaben angedeutet ist. So ist die mit I. bezeichnete Dame, die bei
Frau L. (gemeint ist Frau Lindemann-Frommel) am 30. Januar 1870 musizirt,
nachdem sie aus Fanatismus für Liszt ihre Kiuder verlassen hat, um seine
Schülerin zu werden (Gregorovius bezeichnet sie als „kleine, geistreiche, när¬
rische Person und liszttoll"), die Gräfin Janina; die am 25. April 1869 er¬
wähnte Generalin von G. ist die Gemahlin des Generals von Gansange, und
die junge Fürstin S., von der sich Liszt am II. März 1866 zum Klavier¬
spiel zwingen ließ, war eine Prinzessin Shahovskoy.

Aus demselben Bestreben ist es wohl zu erklären, wenn er eine peinliche
Szene, die sich am 30. November 1862 im preußischen Botschnftshotel ab¬
spielte, nur mit den Worten erwähnt: ,,Vor einigen Tagen fiel der preußische
Gesandte von Canitz in Wahnsinn; er erschien in dem Zimmer, wo der Kron¬
prinz von Preußen, die Kronprinzessin und der Prinz von Wales bei Tafel
saßen, gekleidet in sein türkisches Morgengewand, worin ich ihn so oft ge¬
sehen habe." Die Sache war in Wirklichkeit sehr viel schlimmer: der Irr¬
sinnige behauptete, er sei in seinem Hause, und niemand sonst habe etwas
darin zu sagen; darauf brach die Tobsucht so stark aus, daß ihn der Kron¬
prinz Friedrich mit den Armen umschlingen und so überwältigen mußte.

Doch wir brechen hier ab und sprechen nur deu Wunsch aus, daß bei
einer zweiten Auflage, die gewiß bald notwendig werden wird, einzelne Irr¬
tümer berichtigt werden möchten. So ist Seite 271 aus Jndult ein Jn-
duet, Seite 437 aus Halm ein Holm, Seite 7 aus Mamurrarum ge¬
worden Mamarrarum. Seite 254 hat sich Aquila uera verwandelt in
neva, die Prinzessin von Teano heißt Seite 387 Traro, Arieia wird


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0100" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213214"/>
          <fw type="header" place="top"> Ferdinand Gregorovius</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_265" prev="#ID_264"> Teil seiner täglichen Aufzeichnungen zur Publikation bestimmt, der in die Zeit<lb/>
seines zusammenhängenden römischen Aufenthaltes fiel, und nachträglich aus<lb/>
diesen Notizen fast alles ausgemerzt, was für die Nachwelt irgend wie ver¬<lb/>
letzend sein konnte. Bestimmt mag ihn hierzu der Haß haben, den er der<lb/>
armen Ludmilla Ussing widmet. Die Veröffentlichung von Varnhagens Tage¬<lb/>
büchern konnte ihm den Gedanken eingeben, dieser mit sast fanatischem Haß<lb/>
aufgcuommnen Publikation mich seinem Tode etwas gegenüberzustellen, was<lb/>
von harten Urteilen und Skandalsucht frei war und ebenso viel stilistische Ge¬<lb/>
wandtheit und geistvolles Urteil zeigte wie Varnhagens Aufzeichnungen. Wer<lb/>
will es dem Toten vorwerfen, daß er an Varnhagens Ideenfülle und sprach¬<lb/>
liche Formvollendung denn doch nicht hinanreichte und durch das Bestreben,<lb/>
jeden oder fast jeden Anstoß zu vermeiden, auch auf die Fülle wahren Lebens<lb/>
hat verzichten müssen, die bei allem Klatsch in den von Ludmilla Ussing<lb/>
herausgegebnen Tagebüchern den Leser in Spannung erhält?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_266"> Wie weit seine Vorsicht &gt;n der Bearbeitung der Tagebücher gegangen ist,<lb/>
kann man z. V. daraus sehen, daß nicht selten bei der Erzählung von ganz<lb/>
unverfänglichen Dingen der Name der handelnden Person nur dnrch den An¬<lb/>
fangsbuchstaben angedeutet ist. So ist die mit I. bezeichnete Dame, die bei<lb/>
Frau L. (gemeint ist Frau Lindemann-Frommel) am 30. Januar 1870 musizirt,<lb/>
nachdem sie aus Fanatismus für Liszt ihre Kiuder verlassen hat, um seine<lb/>
Schülerin zu werden (Gregorovius bezeichnet sie als &#x201E;kleine, geistreiche, när¬<lb/>
rische Person und liszttoll"), die Gräfin Janina; die am 25. April 1869 er¬<lb/>
wähnte Generalin von G. ist die Gemahlin des Generals von Gansange, und<lb/>
die junge Fürstin S., von der sich Liszt am II. März 1866 zum Klavier¬<lb/>
spiel zwingen ließ, war eine Prinzessin Shahovskoy.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_267"> Aus demselben Bestreben ist es wohl zu erklären, wenn er eine peinliche<lb/>
Szene, die sich am 30. November 1862 im preußischen Botschnftshotel ab¬<lb/>
spielte, nur mit den Worten erwähnt: ,,Vor einigen Tagen fiel der preußische<lb/>
Gesandte von Canitz in Wahnsinn; er erschien in dem Zimmer, wo der Kron¬<lb/>
prinz von Preußen, die Kronprinzessin und der Prinz von Wales bei Tafel<lb/>
saßen, gekleidet in sein türkisches Morgengewand, worin ich ihn so oft ge¬<lb/>
sehen habe." Die Sache war in Wirklichkeit sehr viel schlimmer: der Irr¬<lb/>
sinnige behauptete, er sei in seinem Hause, und niemand sonst habe etwas<lb/>
darin zu sagen; darauf brach die Tobsucht so stark aus, daß ihn der Kron¬<lb/>
prinz Friedrich mit den Armen umschlingen und so überwältigen mußte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_268" next="#ID_269"> Doch wir brechen hier ab und sprechen nur deu Wunsch aus, daß bei<lb/>
einer zweiten Auflage, die gewiß bald notwendig werden wird, einzelne Irr¬<lb/>
tümer berichtigt werden möchten. So ist Seite 271 aus Jndult ein Jn-<lb/>
duet, Seite 437 aus Halm ein Holm, Seite 7 aus Mamurrarum ge¬<lb/>
worden Mamarrarum. Seite 254 hat sich Aquila uera verwandelt in<lb/>
neva, die Prinzessin von Teano heißt Seite 387 Traro, Arieia wird</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0100] Ferdinand Gregorovius Teil seiner täglichen Aufzeichnungen zur Publikation bestimmt, der in die Zeit seines zusammenhängenden römischen Aufenthaltes fiel, und nachträglich aus diesen Notizen fast alles ausgemerzt, was für die Nachwelt irgend wie ver¬ letzend sein konnte. Bestimmt mag ihn hierzu der Haß haben, den er der armen Ludmilla Ussing widmet. Die Veröffentlichung von Varnhagens Tage¬ büchern konnte ihm den Gedanken eingeben, dieser mit sast fanatischem Haß aufgcuommnen Publikation mich seinem Tode etwas gegenüberzustellen, was von harten Urteilen und Skandalsucht frei war und ebenso viel stilistische Ge¬ wandtheit und geistvolles Urteil zeigte wie Varnhagens Aufzeichnungen. Wer will es dem Toten vorwerfen, daß er an Varnhagens Ideenfülle und sprach¬ liche Formvollendung denn doch nicht hinanreichte und durch das Bestreben, jeden oder fast jeden Anstoß zu vermeiden, auch auf die Fülle wahren Lebens hat verzichten müssen, die bei allem Klatsch in den von Ludmilla Ussing herausgegebnen Tagebüchern den Leser in Spannung erhält? Wie weit seine Vorsicht >n der Bearbeitung der Tagebücher gegangen ist, kann man z. V. daraus sehen, daß nicht selten bei der Erzählung von ganz unverfänglichen Dingen der Name der handelnden Person nur dnrch den An¬ fangsbuchstaben angedeutet ist. So ist die mit I. bezeichnete Dame, die bei Frau L. (gemeint ist Frau Lindemann-Frommel) am 30. Januar 1870 musizirt, nachdem sie aus Fanatismus für Liszt ihre Kiuder verlassen hat, um seine Schülerin zu werden (Gregorovius bezeichnet sie als „kleine, geistreiche, när¬ rische Person und liszttoll"), die Gräfin Janina; die am 25. April 1869 er¬ wähnte Generalin von G. ist die Gemahlin des Generals von Gansange, und die junge Fürstin S., von der sich Liszt am II. März 1866 zum Klavier¬ spiel zwingen ließ, war eine Prinzessin Shahovskoy. Aus demselben Bestreben ist es wohl zu erklären, wenn er eine peinliche Szene, die sich am 30. November 1862 im preußischen Botschnftshotel ab¬ spielte, nur mit den Worten erwähnt: ,,Vor einigen Tagen fiel der preußische Gesandte von Canitz in Wahnsinn; er erschien in dem Zimmer, wo der Kron¬ prinz von Preußen, die Kronprinzessin und der Prinz von Wales bei Tafel saßen, gekleidet in sein türkisches Morgengewand, worin ich ihn so oft ge¬ sehen habe." Die Sache war in Wirklichkeit sehr viel schlimmer: der Irr¬ sinnige behauptete, er sei in seinem Hause, und niemand sonst habe etwas darin zu sagen; darauf brach die Tobsucht so stark aus, daß ihn der Kron¬ prinz Friedrich mit den Armen umschlingen und so überwältigen mußte. Doch wir brechen hier ab und sprechen nur deu Wunsch aus, daß bei einer zweiten Auflage, die gewiß bald notwendig werden wird, einzelne Irr¬ tümer berichtigt werden möchten. So ist Seite 271 aus Jndult ein Jn- duet, Seite 437 aus Halm ein Holm, Seite 7 aus Mamurrarum ge¬ worden Mamarrarum. Seite 254 hat sich Aquila uera verwandelt in neva, die Prinzessin von Teano heißt Seite 387 Traro, Arieia wird

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/100
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/100>, abgerufen am 22.12.2024.