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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Die Stimmung in Siiddeutschland

nicht auf -- vergessen beiden wird. Was unsre Ansicht in dieser Frage be¬
trifft, so können wir dem Weinbauer nicht vollkommen Unrecht geben, denn
wir sind der Überzeugung, daß sich zwar der Weinhandel mit der Einfuhr der
italienischen Weine nicht nur abzufinden, sondern daran tüchtig zu verdienen
wissen wird, daß aber der Weinbauer, der ohnehin vielfach in wirtschaftlicher
Abhängigkeit von seinem Abnehmer, dem Weinhändler, lebt, sich noch in höherm
Grade als früher von diesem die Preise für seine Erzeugnisse wird vorschreiben
lassen müssen. Das in sozialer Beziehung bedauerlichste dabei ist, daß lediglich
die kleinen Leute unter einer solchen Abhängigkeit leiden; die großen Wein¬
gutsbesitzer in der Pfalz und am Rhein wissen nichts davon. Dieses Gefühl
einer drohenden Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage ist nun wohl mehr
ein instinktives; aber wie stark es ist, haben die vielen Versammlungen bewiesen,
die seiner Zeit zur Abwehr der Masseneinfnhr italienischer Weine abgehalten
wurden.

Es scheint aber, als ob man dem süddeutschen Bauer überhaupt keine
Ruhe mehr gönnen wolle; kaum fängt er an sich in die neuen Verhältnisse
des Weinbaues zu schicken, so geht die Nachricht von einem Verbot des in¬
ländischen Tabakbaues durch die Presse. Zwar ist sie offiziös als falsch be¬
zeichnet worden, wer aber die ländliche Bevölkerung kennt, weiß, daß das ein¬
mal erregte Mißtrauen sehr schwer zu bannen ist; man malt sich die Folgen eines
solchen Verbotes aus,idas wieder die kleinen süddeutschen Landwirte, nament¬
lich auch in der so reichstreucn Pfalz, bedeutend schädigen würde, und mancher
kleine Bauer, der mit schwerer Arbeit auf seinem kleinen Areal lediglich durch
den Tabakbau seine Existenz finden kann, denkt mit Sorgen an die Zukunft,
in der Befürchtung, daß der heute fallen gelassene Plan morgen wieder auf¬
genommen werden kann. Auf eine solche Art kann sich die Reichsregierung
bei dem wichtigsten Teile der süddeutschen Bevölkerung, bei den Bauern, keine
Freunde erwerben, und so traurig es ist, wir begreifen es, wenn sich eine
Abkühlung der Gefühle, die einst so hoch in der Brust schlugen, bemerkbar macht.

Daß diese sozusagen wirtschaftliche Verstimmung in den großen Städten
des Südens keinen solchen Umfang erreicht hat wie ans dem Lande, ist sehr
natürlich; man spürt dort nicht so deutlich, wo den Landmann der Schuh
drückt, und ist auch mehr mit großen politischen Fragen beschäftigt. Um diese
Verhältnisse klar zu überschauen, muß man erwägen, welchen Umfang die
Gegnerschaft des Ultramontanismus in Süddeutschland gewonnen hat, und
darf nicht vergessen, daß der süddeutsche Ultramontanismus mit Vorliebe im
Bunde mit der Demokratie und, so weit er vorhanden ist, mit dem Freisinn wirkt,
daß er also gar keinen Anspruch darauf machen darf, in irgend einem Sinne
als konservativ bezeichnet zu werden. Der national denkende Süddeutsche
kennt denn auch kein größeres politisches Unglück, als ein Wachsen der
Macht des Zentrums. Ob wir diese Ansicht sür eine einseitige erklären, ist


Die Stimmung in Siiddeutschland

nicht auf — vergessen beiden wird. Was unsre Ansicht in dieser Frage be¬
trifft, so können wir dem Weinbauer nicht vollkommen Unrecht geben, denn
wir sind der Überzeugung, daß sich zwar der Weinhandel mit der Einfuhr der
italienischen Weine nicht nur abzufinden, sondern daran tüchtig zu verdienen
wissen wird, daß aber der Weinbauer, der ohnehin vielfach in wirtschaftlicher
Abhängigkeit von seinem Abnehmer, dem Weinhändler, lebt, sich noch in höherm
Grade als früher von diesem die Preise für seine Erzeugnisse wird vorschreiben
lassen müssen. Das in sozialer Beziehung bedauerlichste dabei ist, daß lediglich
die kleinen Leute unter einer solchen Abhängigkeit leiden; die großen Wein¬
gutsbesitzer in der Pfalz und am Rhein wissen nichts davon. Dieses Gefühl
einer drohenden Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage ist nun wohl mehr
ein instinktives; aber wie stark es ist, haben die vielen Versammlungen bewiesen,
die seiner Zeit zur Abwehr der Masseneinfnhr italienischer Weine abgehalten
wurden.

Es scheint aber, als ob man dem süddeutschen Bauer überhaupt keine
Ruhe mehr gönnen wolle; kaum fängt er an sich in die neuen Verhältnisse
des Weinbaues zu schicken, so geht die Nachricht von einem Verbot des in¬
ländischen Tabakbaues durch die Presse. Zwar ist sie offiziös als falsch be¬
zeichnet worden, wer aber die ländliche Bevölkerung kennt, weiß, daß das ein¬
mal erregte Mißtrauen sehr schwer zu bannen ist; man malt sich die Folgen eines
solchen Verbotes aus,idas wieder die kleinen süddeutschen Landwirte, nament¬
lich auch in der so reichstreucn Pfalz, bedeutend schädigen würde, und mancher
kleine Bauer, der mit schwerer Arbeit auf seinem kleinen Areal lediglich durch
den Tabakbau seine Existenz finden kann, denkt mit Sorgen an die Zukunft,
in der Befürchtung, daß der heute fallen gelassene Plan morgen wieder auf¬
genommen werden kann. Auf eine solche Art kann sich die Reichsregierung
bei dem wichtigsten Teile der süddeutschen Bevölkerung, bei den Bauern, keine
Freunde erwerben, und so traurig es ist, wir begreifen es, wenn sich eine
Abkühlung der Gefühle, die einst so hoch in der Brust schlugen, bemerkbar macht.

Daß diese sozusagen wirtschaftliche Verstimmung in den großen Städten
des Südens keinen solchen Umfang erreicht hat wie ans dem Lande, ist sehr
natürlich; man spürt dort nicht so deutlich, wo den Landmann der Schuh
drückt, und ist auch mehr mit großen politischen Fragen beschäftigt. Um diese
Verhältnisse klar zu überschauen, muß man erwägen, welchen Umfang die
Gegnerschaft des Ultramontanismus in Süddeutschland gewonnen hat, und
darf nicht vergessen, daß der süddeutsche Ultramontanismus mit Vorliebe im
Bunde mit der Demokratie und, so weit er vorhanden ist, mit dem Freisinn wirkt,
daß er also gar keinen Anspruch darauf machen darf, in irgend einem Sinne
als konservativ bezeichnet zu werden. Der national denkende Süddeutsche
kennt denn auch kein größeres politisches Unglück, als ein Wachsen der
Macht des Zentrums. Ob wir diese Ansicht sür eine einseitige erklären, ist


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[0010] Die Stimmung in Siiddeutschland nicht auf — vergessen beiden wird. Was unsre Ansicht in dieser Frage be¬ trifft, so können wir dem Weinbauer nicht vollkommen Unrecht geben, denn wir sind der Überzeugung, daß sich zwar der Weinhandel mit der Einfuhr der italienischen Weine nicht nur abzufinden, sondern daran tüchtig zu verdienen wissen wird, daß aber der Weinbauer, der ohnehin vielfach in wirtschaftlicher Abhängigkeit von seinem Abnehmer, dem Weinhändler, lebt, sich noch in höherm Grade als früher von diesem die Preise für seine Erzeugnisse wird vorschreiben lassen müssen. Das in sozialer Beziehung bedauerlichste dabei ist, daß lediglich die kleinen Leute unter einer solchen Abhängigkeit leiden; die großen Wein¬ gutsbesitzer in der Pfalz und am Rhein wissen nichts davon. Dieses Gefühl einer drohenden Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage ist nun wohl mehr ein instinktives; aber wie stark es ist, haben die vielen Versammlungen bewiesen, die seiner Zeit zur Abwehr der Masseneinfnhr italienischer Weine abgehalten wurden. Es scheint aber, als ob man dem süddeutschen Bauer überhaupt keine Ruhe mehr gönnen wolle; kaum fängt er an sich in die neuen Verhältnisse des Weinbaues zu schicken, so geht die Nachricht von einem Verbot des in¬ ländischen Tabakbaues durch die Presse. Zwar ist sie offiziös als falsch be¬ zeichnet worden, wer aber die ländliche Bevölkerung kennt, weiß, daß das ein¬ mal erregte Mißtrauen sehr schwer zu bannen ist; man malt sich die Folgen eines solchen Verbotes aus,idas wieder die kleinen süddeutschen Landwirte, nament¬ lich auch in der so reichstreucn Pfalz, bedeutend schädigen würde, und mancher kleine Bauer, der mit schwerer Arbeit auf seinem kleinen Areal lediglich durch den Tabakbau seine Existenz finden kann, denkt mit Sorgen an die Zukunft, in der Befürchtung, daß der heute fallen gelassene Plan morgen wieder auf¬ genommen werden kann. Auf eine solche Art kann sich die Reichsregierung bei dem wichtigsten Teile der süddeutschen Bevölkerung, bei den Bauern, keine Freunde erwerben, und so traurig es ist, wir begreifen es, wenn sich eine Abkühlung der Gefühle, die einst so hoch in der Brust schlugen, bemerkbar macht. Daß diese sozusagen wirtschaftliche Verstimmung in den großen Städten des Südens keinen solchen Umfang erreicht hat wie ans dem Lande, ist sehr natürlich; man spürt dort nicht so deutlich, wo den Landmann der Schuh drückt, und ist auch mehr mit großen politischen Fragen beschäftigt. Um diese Verhältnisse klar zu überschauen, muß man erwägen, welchen Umfang die Gegnerschaft des Ultramontanismus in Süddeutschland gewonnen hat, und darf nicht vergessen, daß der süddeutsche Ultramontanismus mit Vorliebe im Bunde mit der Demokratie und, so weit er vorhanden ist, mit dem Freisinn wirkt, daß er also gar keinen Anspruch darauf machen darf, in irgend einem Sinne als konservativ bezeichnet zu werden. Der national denkende Süddeutsche kennt denn auch kein größeres politisches Unglück, als ein Wachsen der Macht des Zentrums. Ob wir diese Ansicht sür eine einseitige erklären, ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/10>, abgerufen am 23.07.2024.