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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Lischerleben auf der Adria

Bären. Deal sein Rachen und sein unersättlicher Bauch wütet nicht nur gegen
Fische, sondern auch gegen Menschen, die das Unglück haben, in den Bereich
des Tiers zu kommen. sogar noch auf dem Lande hat man sich vor ihm
in Acht zu nehmen. Vor wenigen Jahren wurde zu Bueeari einem Manne,
der sich als Neugieriger ans dem Hafendamm zu nahe hinangewagt hatte, von
einem solchen Fisch, der schon auf dem Trocknen lag, ein Fuß kurzweg ab¬
gebissen. Eine solche Zugabe zu dem Schauspiel, das die Ankunft dieser be-
floßteu Zuzügler aus der Fremde gewährt, steigert natürlich die Wirkung des
ganzen Auftritts. Doch bleibt er auch ohnedies so seltsam und merkwürdig,
daß ihn niemand vergißt.

Wer weiß, wodurch ein Ungetüm, wie der Thunfisch, dieser rohe, un¬
geschlachte Räuber, in den Ruf eines zärtlichen Ehegatten gekommen ist!
Thatsache ist, daß er wegen dieser seiner Eigenschaft bei Hochzeitsmahlen der
Römer auf den Tisch gebracht wurde. Vielleicht verdankt er dies dem blinden
Eigensinn, mit dem sich die Männchen um die eierlegenden Weibchen an den
Küstenscharen und dem verderblichen Netze entgegendrängen.

Wenn wir griechische und römische Bücher hervorholen wollten, so fände
man darin eine Menge von Seiten, auf denen dieses Unholds Erwähnung
gethan wird; das "sardische Eingesalzene" war nichts andres als das Fleisch
des Thunfischs. Man hat gesagt, daß seine Wanderungen, die seit Jahrtausenden
ununterbrochen fortgehn, einem sich unablässig bewegenden Strome von
nährenden Fleisch glichen. Der Mensch kann mit diesem Strome, aus dem
ein Geschlecht nach dem andern schöpft, verschwenderisch Hausen, und er thut
es auch. Viele Tausende von Gulden wirft der gedankenlose Fischer jährlich
auf den Schindanger. Denn man hält es nicht für nötig, die ungeheuern
Fleischmassen, die an diesen Klippen, insbesondre an den dalmatischen, aus dem
Meere gezogen werden, einzusalzen, sodaß man oft die Hälfte der Beute und
noch mehr zerstören muß, ehe sie in der Fischhalle zu Trieft und Venedig
ankommt -- eine Art von Verwüstung des Reichtums, wie er leider noch bei
andern Erzeugnissen, insbesondre beim Wein, beklagt werden muß.

Ein andrer Fisch, der gleich dem Thun nur plötzlich und zeitweilig in
Scharen auftaucht, ist die Makrele (italienisch Seombro, slawisch Lvearda).
Auch für das Erscheinen dieses Zugfisches giebt der Frühsommer das Zeichen.
Schon am Tage des heiligen Markus (25. April) wird er erwartet. Es ist
das derselbe Tag, wo im koatischen Binnenland von den Geistlichen die Weizen¬
felder eingesegnet werden. "Der heilige Markus zündet das Meer an und
fängt alle Makrelen." Am Vorabend sieht man die Feuerzeichen der Fischer,
da sie ihr Geschäft meistens bei Nacht, beim Schein von Fichteuholzflammen
betreiben.

Gleich dem Fange des Thuns setzt sich auch das Fangen der Makrele den
ganzen Sommer hindurch fort. Da es aber nicht nur mit Netzen verschiedner


Grenzboten 111 1892 11
Lischerleben auf der Adria

Bären. Deal sein Rachen und sein unersättlicher Bauch wütet nicht nur gegen
Fische, sondern auch gegen Menschen, die das Unglück haben, in den Bereich
des Tiers zu kommen. sogar noch auf dem Lande hat man sich vor ihm
in Acht zu nehmen. Vor wenigen Jahren wurde zu Bueeari einem Manne,
der sich als Neugieriger ans dem Hafendamm zu nahe hinangewagt hatte, von
einem solchen Fisch, der schon auf dem Trocknen lag, ein Fuß kurzweg ab¬
gebissen. Eine solche Zugabe zu dem Schauspiel, das die Ankunft dieser be-
floßteu Zuzügler aus der Fremde gewährt, steigert natürlich die Wirkung des
ganzen Auftritts. Doch bleibt er auch ohnedies so seltsam und merkwürdig,
daß ihn niemand vergißt.

Wer weiß, wodurch ein Ungetüm, wie der Thunfisch, dieser rohe, un¬
geschlachte Räuber, in den Ruf eines zärtlichen Ehegatten gekommen ist!
Thatsache ist, daß er wegen dieser seiner Eigenschaft bei Hochzeitsmahlen der
Römer auf den Tisch gebracht wurde. Vielleicht verdankt er dies dem blinden
Eigensinn, mit dem sich die Männchen um die eierlegenden Weibchen an den
Küstenscharen und dem verderblichen Netze entgegendrängen.

Wenn wir griechische und römische Bücher hervorholen wollten, so fände
man darin eine Menge von Seiten, auf denen dieses Unholds Erwähnung
gethan wird; das „sardische Eingesalzene" war nichts andres als das Fleisch
des Thunfischs. Man hat gesagt, daß seine Wanderungen, die seit Jahrtausenden
ununterbrochen fortgehn, einem sich unablässig bewegenden Strome von
nährenden Fleisch glichen. Der Mensch kann mit diesem Strome, aus dem
ein Geschlecht nach dem andern schöpft, verschwenderisch Hausen, und er thut
es auch. Viele Tausende von Gulden wirft der gedankenlose Fischer jährlich
auf den Schindanger. Denn man hält es nicht für nötig, die ungeheuern
Fleischmassen, die an diesen Klippen, insbesondre an den dalmatischen, aus dem
Meere gezogen werden, einzusalzen, sodaß man oft die Hälfte der Beute und
noch mehr zerstören muß, ehe sie in der Fischhalle zu Trieft und Venedig
ankommt — eine Art von Verwüstung des Reichtums, wie er leider noch bei
andern Erzeugnissen, insbesondre beim Wein, beklagt werden muß.

Ein andrer Fisch, der gleich dem Thun nur plötzlich und zeitweilig in
Scharen auftaucht, ist die Makrele (italienisch Seombro, slawisch Lvearda).
Auch für das Erscheinen dieses Zugfisches giebt der Frühsommer das Zeichen.
Schon am Tage des heiligen Markus (25. April) wird er erwartet. Es ist
das derselbe Tag, wo im koatischen Binnenland von den Geistlichen die Weizen¬
felder eingesegnet werden. „Der heilige Markus zündet das Meer an und
fängt alle Makrelen." Am Vorabend sieht man die Feuerzeichen der Fischer,
da sie ihr Geschäft meistens bei Nacht, beim Schein von Fichteuholzflammen
betreiben.

Gleich dem Fange des Thuns setzt sich auch das Fangen der Makrele den
ganzen Sommer hindurch fort. Da es aber nicht nur mit Netzen verschiedner


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[0089] Lischerleben auf der Adria Bären. Deal sein Rachen und sein unersättlicher Bauch wütet nicht nur gegen Fische, sondern auch gegen Menschen, die das Unglück haben, in den Bereich des Tiers zu kommen. sogar noch auf dem Lande hat man sich vor ihm in Acht zu nehmen. Vor wenigen Jahren wurde zu Bueeari einem Manne, der sich als Neugieriger ans dem Hafendamm zu nahe hinangewagt hatte, von einem solchen Fisch, der schon auf dem Trocknen lag, ein Fuß kurzweg ab¬ gebissen. Eine solche Zugabe zu dem Schauspiel, das die Ankunft dieser be- floßteu Zuzügler aus der Fremde gewährt, steigert natürlich die Wirkung des ganzen Auftritts. Doch bleibt er auch ohnedies so seltsam und merkwürdig, daß ihn niemand vergißt. Wer weiß, wodurch ein Ungetüm, wie der Thunfisch, dieser rohe, un¬ geschlachte Räuber, in den Ruf eines zärtlichen Ehegatten gekommen ist! Thatsache ist, daß er wegen dieser seiner Eigenschaft bei Hochzeitsmahlen der Römer auf den Tisch gebracht wurde. Vielleicht verdankt er dies dem blinden Eigensinn, mit dem sich die Männchen um die eierlegenden Weibchen an den Küstenscharen und dem verderblichen Netze entgegendrängen. Wenn wir griechische und römische Bücher hervorholen wollten, so fände man darin eine Menge von Seiten, auf denen dieses Unholds Erwähnung gethan wird; das „sardische Eingesalzene" war nichts andres als das Fleisch des Thunfischs. Man hat gesagt, daß seine Wanderungen, die seit Jahrtausenden ununterbrochen fortgehn, einem sich unablässig bewegenden Strome von nährenden Fleisch glichen. Der Mensch kann mit diesem Strome, aus dem ein Geschlecht nach dem andern schöpft, verschwenderisch Hausen, und er thut es auch. Viele Tausende von Gulden wirft der gedankenlose Fischer jährlich auf den Schindanger. Denn man hält es nicht für nötig, die ungeheuern Fleischmassen, die an diesen Klippen, insbesondre an den dalmatischen, aus dem Meere gezogen werden, einzusalzen, sodaß man oft die Hälfte der Beute und noch mehr zerstören muß, ehe sie in der Fischhalle zu Trieft und Venedig ankommt — eine Art von Verwüstung des Reichtums, wie er leider noch bei andern Erzeugnissen, insbesondre beim Wein, beklagt werden muß. Ein andrer Fisch, der gleich dem Thun nur plötzlich und zeitweilig in Scharen auftaucht, ist die Makrele (italienisch Seombro, slawisch Lvearda). Auch für das Erscheinen dieses Zugfisches giebt der Frühsommer das Zeichen. Schon am Tage des heiligen Markus (25. April) wird er erwartet. Es ist das derselbe Tag, wo im koatischen Binnenland von den Geistlichen die Weizen¬ felder eingesegnet werden. „Der heilige Markus zündet das Meer an und fängt alle Makrelen." Am Vorabend sieht man die Feuerzeichen der Fischer, da sie ihr Geschäft meistens bei Nacht, beim Schein von Fichteuholzflammen betreiben. Gleich dem Fange des Thuns setzt sich auch das Fangen der Makrele den ganzen Sommer hindurch fort. Da es aber nicht nur mit Netzen verschiedner Grenzboten 111 1892 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/89>, abgerufen am 08.01.2025.