Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Dynamik Athanasios samt seiner bis an die Zähne bewaffneten Bande, und wäre sie Wenn solche Lammsgeduld die Gesellschaft unsrer Zeit oder auch nur Dynamik Athanasios samt seiner bis an die Zähne bewaffneten Bande, und wäre sie Wenn solche Lammsgeduld die Gesellschaft unsrer Zeit oder auch nur <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0068" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212544"/> <fw type="header" place="top"> Dynamik</fw><lb/> <p xml:id="ID_155" prev="#ID_154"> Athanasios samt seiner bis an die Zähne bewaffneten Bande, und wäre sie<lb/> tausend Strolche stark, gegenüber einem Ravachol und den Tausenden, die zu<lb/> dessen Bande gehören! Dort wird Herr Cohn um etwas von seinen Schätzen<lb/> erleichtert — gut, es ist nicht recht, und kriegt man den Athanasios, so henkt<lb/> man ihn. Nur daß Athauasios sich nicht kriegen läßt, sich verbirgt und in<lb/> harmloser Tracht den friedlichen Bürger spielend, fortan vielleicht ein stilles,<lb/> höchst ungefährliches Dasein führt. Ein Nnvachol, mit einer Blechkapsel be¬<lb/> waffnet, kann den Palast Vourbon samt allen Deputirten in die Luft sprengen,<lb/> ja er kann noch mehr, nämlich Louvre oder Aotrv vamo als ?ari8 in Ruinen<lb/> legen, ehe mau mit allen zu Gebote stehenden Mitteln und in ganz Europa<lb/> der ungeheuern Gefahr zu begegnen sucht, die einem Ravachol durch die mo¬<lb/> dernen Sprengstoffe in die Hand gelegt ist. Kann man aber etwa die Börse<lb/> des Herrn Cohn oder irgend eines andern Mannes mit dem Wert vergleichen,<lb/> den der Louvre für die gesamte kultivirte Welt hat? Kann man die Ziele<lb/> eines Räubers denen eines Anarchisten gleich stellen? Kann man die Gefähr¬<lb/> lichkeit ihrer Waffen vergleichen? Kann man die Moral des Räubers niedriger<lb/> stellen als die des Anarchisten, oder die moralische Kraft der türkischen Re¬<lb/> gierung niedriger als die der französischen Negierung und des Pariser Schwur¬<lb/> gerichts? Kann man, in gewissem Sinne genommen, sagen, die staatlichen Zu¬<lb/> stände seien gesicherter, der Schutz von Leben und Gütern größer, der Sinn für<lb/> Ordnung stärker in der Heimat eines Ravachol, als in der eines Athanasios?<lb/> Und nach wie vor erklärt ein Ravachol seine That für eine löbliche, nützliche<lb/> That, die Nachahmung verdiene, und rühmt sich des Zerstvrens und findet<lb/> Anhänger, die nicht verfolgt noch dingfest gemacht werden, bis auch sie dies<lb/> oder das auffliegen lassen. Es wandelt einen bei diesem Vergleich fast die<lb/> Neigung an, sich aus der Nähe eines Navcichvl fortzumachen und einen Atha¬<lb/> nasios zum Nachbar zu suchen. Weiß wie Wolle erscheint das Verbrechen im<lb/> Balkan, und blutrot das in Paris. Athanasios samt seinen Gesellen ist ver¬<lb/> schwunden; aber überall in Frankreich, Belgien, in Spanien, in Italien knallt<lb/> es von Sprengpatronen, die Bande der Dynamitpolitiker ist sehr groß und<lb/> sehr viel besser bewaffnet und sehr viel zerstörungswlltiger, als es alle Räuber¬<lb/> banden Europas jemals waren. Und diese Bande geht frei umher, rühmt<lb/> sich ihres Handwerks, unterhält Zeitungen, und die Welt will sie im ganzen<lb/> noch nicht einmal sür Verbrecher halten, man untersucht ganz ernsthaft diese<lb/> Dynamitpvlitik nach Für und Wider, und meint, das wäre keine Verbrecher¬<lb/> bande, sondern eine Partei, das wären nicht Halunken, sondern Politiker!</p><lb/> <p xml:id="ID_156" next="#ID_157"> Wenn solche Lammsgeduld die Gesellschaft unsrer Zeit oder auch nur<lb/> einen Teil beseelt, dann verdient sie wohl auch vom Wolf gefressen zu werden;<lb/> es wäre bald zu Ende mit unsrer Kultur. In den Darlegungen Toquevilles<lb/> und Taines über die große Revolution hat mich kaum etwas andres so in<lb/> Erstaunen gesetzt, als die Lammsnatur der französischen Aristokratie beim</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0068]
Dynamik
Athanasios samt seiner bis an die Zähne bewaffneten Bande, und wäre sie
tausend Strolche stark, gegenüber einem Ravachol und den Tausenden, die zu
dessen Bande gehören! Dort wird Herr Cohn um etwas von seinen Schätzen
erleichtert — gut, es ist nicht recht, und kriegt man den Athanasios, so henkt
man ihn. Nur daß Athauasios sich nicht kriegen läßt, sich verbirgt und in
harmloser Tracht den friedlichen Bürger spielend, fortan vielleicht ein stilles,
höchst ungefährliches Dasein führt. Ein Nnvachol, mit einer Blechkapsel be¬
waffnet, kann den Palast Vourbon samt allen Deputirten in die Luft sprengen,
ja er kann noch mehr, nämlich Louvre oder Aotrv vamo als ?ari8 in Ruinen
legen, ehe mau mit allen zu Gebote stehenden Mitteln und in ganz Europa
der ungeheuern Gefahr zu begegnen sucht, die einem Ravachol durch die mo¬
dernen Sprengstoffe in die Hand gelegt ist. Kann man aber etwa die Börse
des Herrn Cohn oder irgend eines andern Mannes mit dem Wert vergleichen,
den der Louvre für die gesamte kultivirte Welt hat? Kann man die Ziele
eines Räubers denen eines Anarchisten gleich stellen? Kann man die Gefähr¬
lichkeit ihrer Waffen vergleichen? Kann man die Moral des Räubers niedriger
stellen als die des Anarchisten, oder die moralische Kraft der türkischen Re¬
gierung niedriger als die der französischen Negierung und des Pariser Schwur¬
gerichts? Kann man, in gewissem Sinne genommen, sagen, die staatlichen Zu¬
stände seien gesicherter, der Schutz von Leben und Gütern größer, der Sinn für
Ordnung stärker in der Heimat eines Ravachol, als in der eines Athanasios?
Und nach wie vor erklärt ein Ravachol seine That für eine löbliche, nützliche
That, die Nachahmung verdiene, und rühmt sich des Zerstvrens und findet
Anhänger, die nicht verfolgt noch dingfest gemacht werden, bis auch sie dies
oder das auffliegen lassen. Es wandelt einen bei diesem Vergleich fast die
Neigung an, sich aus der Nähe eines Navcichvl fortzumachen und einen Atha¬
nasios zum Nachbar zu suchen. Weiß wie Wolle erscheint das Verbrechen im
Balkan, und blutrot das in Paris. Athanasios samt seinen Gesellen ist ver¬
schwunden; aber überall in Frankreich, Belgien, in Spanien, in Italien knallt
es von Sprengpatronen, die Bande der Dynamitpolitiker ist sehr groß und
sehr viel besser bewaffnet und sehr viel zerstörungswlltiger, als es alle Räuber¬
banden Europas jemals waren. Und diese Bande geht frei umher, rühmt
sich ihres Handwerks, unterhält Zeitungen, und die Welt will sie im ganzen
noch nicht einmal sür Verbrecher halten, man untersucht ganz ernsthaft diese
Dynamitpvlitik nach Für und Wider, und meint, das wäre keine Verbrecher¬
bande, sondern eine Partei, das wären nicht Halunken, sondern Politiker!
Wenn solche Lammsgeduld die Gesellschaft unsrer Zeit oder auch nur
einen Teil beseelt, dann verdient sie wohl auch vom Wolf gefressen zu werden;
es wäre bald zu Ende mit unsrer Kultur. In den Darlegungen Toquevilles
und Taines über die große Revolution hat mich kaum etwas andres so in
Erstaunen gesetzt, als die Lammsnatur der französischen Aristokratie beim
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