Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Dynamik hundert Jahren! Ja was ist heute überhaupt vor der Zerstörung durch die Dynamik hundert Jahren! Ja was ist heute überhaupt vor der Zerstörung durch die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0063" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212539"/> <fw type="header" place="top"> Dynamik</fw><lb/> <p xml:id="ID_145" prev="#ID_144" next="#ID_146"> hundert Jahren! Ja was ist heute überhaupt vor der Zerstörung durch die<lb/> frevelnde Hand eines einzigen Menschen, durch den zur That werdenden Willen<lb/> weniger Minuten sicher? Ein verbrecherischer, ein wahnsinniger Mensch kann<lb/> in einem Nu den Kölner Dom, den Se. Peter, ja eine Pyramide Ägyptens<lb/> vernichten. Der Gedanke ist unheimlich, grausig. Denn wir kurzlebigen Menschen<lb/> achten die Dauerhaftigkeit unsrer Werke um so höher, als wir uns der Ver¬<lb/> gänglichkeit alles Irdischen und unsrer eignen Kurzlebigkeit bewußt sind; Nur<lb/> empfinden uus selbst dauernder in unsern Werken, wir leben in ihnen fort,<lb/> und darum ist uns heilig, was „grau vor Alter" ist. Und diese unsre höchsten<lb/> Heiligtümer, sie sind heute jedem Buben preisgegeben! Giebt es nicht die<lb/> allerabsvnderlichsten Formen geistiger Unregelmäßigkeit? Kann es nicht jeder¬<lb/> zeit einen weltmüden Touristen geben, der, bloß um etwas außerordentliches<lb/> gethan zu haben, den Vatikan sprengt oder den Louvre? Mir geht aber,<lb/> aufrichtig gestanden, der Vatikan oder der Louvre selbst über das sehr ehren¬<lb/> werte englische Palament. Was der Wut ganzer Völker, was einer langen<lb/> Reihe von Jahrhunderten widerstand, die Schöpfungen von Menschenhand, an<lb/> denen wir uns in unserm menschlichen Bewußtsein erheben um ihrer Größe,<lb/> Schönheit und Dauer willen, um der Kraft des Geistes willen, der sie schuf,<lb/> des Talents, das sie ausführte, die höchsten Werke der Kultur — sie siud heute<lb/> gefährdet, wie sie es noch nie waren. Was ehedem nur ein gewaltiges Natur¬<lb/> ereignis, etwa ein Erdbeben, zu erschüttern vermochte, das vernichtet heute<lb/> jeder, der sich ein paar Zentner Dynamik verschafft. Und jeder kann sich die<lb/> heute verschaffen. Was früher der Kraft von Völkern widerstehen zu können<lb/> schien, ist jetzt wehrlos dem einzelnen preisgegeben. Schon die Möglichkeit<lb/> so ungeheurer Zerstörung reicht hin, die gebildete Welt in steter Sorge zu<lb/> erhalten und die Forderung in ihr zu erwecken, daß diese Sorge so weit als<lb/> irgend möglich aus ihrem Gesichtskreis entfernt werde. Vielleicht wäre uns<lb/> besser, wenn weder das Pulver noch seine spätern Verwandten jemals erfunden<lb/> worden wären; denn wollte man berechnen, wie viel diese Sprengmittel den<lb/> Menschen genützt und wie viel sie zerstört haben, ich glaube, die Rechnung<lb/> würde dafür sprechen, daß wir da ein Danaergeschenk der Kultur empfnngeu<lb/> haben. Freilich, es kommt auch auf den Empfänger an, er kann es nützen oder<lb/> mißbrauchen. Wir Europäer haben das Pulver zwar nicht zuerst erfunden, aber<lb/> sobald wir es kennen lernten, wurde es sofort hauptsächlich zu zerstörenden<lb/> Zwecken verwandt. Die Chinesen haben es viele Jahrhunderte vor uns gekannt,<lb/> aber, soviel ich weiß, nur in beschränktem Maße für den Krieg angewandt. Und<lb/> kaum haben wir Dynamik, Nitroglyeeriu, Fören und wie diese Teufelspulver<lb/> alle heißen, zusammengebraut, so sind wir Kultnreuropäer auch flugs dabei,<lb/> deu möglichst schlechten Gebrauch davon zu machen. Zu allererst treten diese<lb/> Kraftmittel in den Dienst des Krieges der Staaten und der Völker gegen ein¬<lb/> ander; sodann werden sie die Waffe im Kampf der Bürger unter einander:</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0063]
Dynamik
hundert Jahren! Ja was ist heute überhaupt vor der Zerstörung durch die
frevelnde Hand eines einzigen Menschen, durch den zur That werdenden Willen
weniger Minuten sicher? Ein verbrecherischer, ein wahnsinniger Mensch kann
in einem Nu den Kölner Dom, den Se. Peter, ja eine Pyramide Ägyptens
vernichten. Der Gedanke ist unheimlich, grausig. Denn wir kurzlebigen Menschen
achten die Dauerhaftigkeit unsrer Werke um so höher, als wir uns der Ver¬
gänglichkeit alles Irdischen und unsrer eignen Kurzlebigkeit bewußt sind; Nur
empfinden uus selbst dauernder in unsern Werken, wir leben in ihnen fort,
und darum ist uns heilig, was „grau vor Alter" ist. Und diese unsre höchsten
Heiligtümer, sie sind heute jedem Buben preisgegeben! Giebt es nicht die
allerabsvnderlichsten Formen geistiger Unregelmäßigkeit? Kann es nicht jeder¬
zeit einen weltmüden Touristen geben, der, bloß um etwas außerordentliches
gethan zu haben, den Vatikan sprengt oder den Louvre? Mir geht aber,
aufrichtig gestanden, der Vatikan oder der Louvre selbst über das sehr ehren¬
werte englische Palament. Was der Wut ganzer Völker, was einer langen
Reihe von Jahrhunderten widerstand, die Schöpfungen von Menschenhand, an
denen wir uns in unserm menschlichen Bewußtsein erheben um ihrer Größe,
Schönheit und Dauer willen, um der Kraft des Geistes willen, der sie schuf,
des Talents, das sie ausführte, die höchsten Werke der Kultur — sie siud heute
gefährdet, wie sie es noch nie waren. Was ehedem nur ein gewaltiges Natur¬
ereignis, etwa ein Erdbeben, zu erschüttern vermochte, das vernichtet heute
jeder, der sich ein paar Zentner Dynamik verschafft. Und jeder kann sich die
heute verschaffen. Was früher der Kraft von Völkern widerstehen zu können
schien, ist jetzt wehrlos dem einzelnen preisgegeben. Schon die Möglichkeit
so ungeheurer Zerstörung reicht hin, die gebildete Welt in steter Sorge zu
erhalten und die Forderung in ihr zu erwecken, daß diese Sorge so weit als
irgend möglich aus ihrem Gesichtskreis entfernt werde. Vielleicht wäre uns
besser, wenn weder das Pulver noch seine spätern Verwandten jemals erfunden
worden wären; denn wollte man berechnen, wie viel diese Sprengmittel den
Menschen genützt und wie viel sie zerstört haben, ich glaube, die Rechnung
würde dafür sprechen, daß wir da ein Danaergeschenk der Kultur empfnngeu
haben. Freilich, es kommt auch auf den Empfänger an, er kann es nützen oder
mißbrauchen. Wir Europäer haben das Pulver zwar nicht zuerst erfunden, aber
sobald wir es kennen lernten, wurde es sofort hauptsächlich zu zerstörenden
Zwecken verwandt. Die Chinesen haben es viele Jahrhunderte vor uns gekannt,
aber, soviel ich weiß, nur in beschränktem Maße für den Krieg angewandt. Und
kaum haben wir Dynamik, Nitroglyeeriu, Fören und wie diese Teufelspulver
alle heißen, zusammengebraut, so sind wir Kultnreuropäer auch flugs dabei,
deu möglichst schlechten Gebrauch davon zu machen. Zu allererst treten diese
Kraftmittel in den Dienst des Krieges der Staaten und der Völker gegen ein¬
ander; sodann werden sie die Waffe im Kampf der Bürger unter einander:
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