Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

die bunte Schärpe nur so flogen, und sagte: Gleich! gleich! Dann kam sie
mit einem gefüllten Glase zurück und trank die Blume ab.

Kennen Sie mich noch, Fräulein Lieschen? fragte ich. Sie sah mich eine
Weile fragend an und guckte dann nach der Decke, als wollte sie in Gedanken
die unendliche Reihe von Männern vorbeifliegen lassen, deren Bekanntschaft
sie sich zu erfreuen hatte. Ich mußte wohl ganz hinten stecken, denn es dauerte
lange, bis sie sagte: Ah, Sie sind wohl der Student, der einmal neben uus
gewohnt hat und so oft zu meinem Vater kam?

Ganz recht, Fräulein Lieschen! Wie geht es denn Ihrem Vater?

Na Gott hab ihn selig! rief sie mit einer abwehrenden Handbewegung.
Tot gesoffen hat er sich. Haus und Garten hat er durch die Kehle gejagt.

Das thut mir leid. Freilich, er liebte das Trinken, aber er war doch
sonst ein braver Kerl. Er hatte Sie auch sehr lieb, Fräulein Lieschen.

Pah, die Liebe! Was ich mir dafür kaufe!

Er hats mir aber oft gesagt und hats Ihnen doch auch gezeigt!

Ja, bis die Geschichte mit dem Polacken kam. Wissen Sie, der ist an
allem schuld. Na, Schwamm drüber!

Sie wurde von einem Gaste gerufen und plauderte dann lachend und
scherzend mit dem eine Weile.

Der Redner hatte geendigt, und ein Klavierspieler -- es war wohl noch
immer der alte Blinde aus meiner Studentenzeit -- sing an im Hintergrunde
zu arbeiten. Es klang, als ob er nicht mit den Händen, sondern mit dem
Gesäß auf den Tasten hin- und hersprängc. Meine Gedanken flogen zehn
Jahre zurück und schweiften in das Gürtchen des alten Pedells. Ich sah das
Mädchen wieder hinter den Stachelbeersträuchern sitzen und ihren Kopf ver¬
schämt verstecken, wenn ein Student vorbeiging. Und nun stand sie da, auf¬
gedonnert, mit unechtem Schmuck überladen, das Gesicht gepudert und ge¬
schminkt, in einer verräucherten Bierkneipe, und schritt dnrch die Reihen der
Männer und der lüsternen jungen Burschen mit einladenden Blicken und heraus¬
fordernden Bewegungen. (1 qcms lnutg,die> rvrum!

Was ist deun aus dein polnischen Studenten geworden? fragte ich
sie, als sie wieder neben meinem Stuhl stand und ihre Hand auf meine
Schulter legte.

Der Halunke! stieß sie hervor, indem sie die Faust ballte. Jetzt ist er
Arzt in Schlesien oder Posen, ich weiß uicht wo. Im vorigen Jahre war er
auf seiner Hochzeitsreise hier in Berlin; und denken Sie sich, der Kerl hatte
die Unverschämtheit, mich aufzusuchen. Aber ich habe Rache genommen, grim¬
mige Rache! Der wird an mich denken. Sie kennen doch den Roman Nana?
Sehn Sie, so habe ichs gemacht.

Sie lachte, griff nach meinem Glase und trank die Hälfte aus.

Gefällt Ihnen denn Ihr jetziges Lebe"? fragte ich etwas abwehrend.


die bunte Schärpe nur so flogen, und sagte: Gleich! gleich! Dann kam sie
mit einem gefüllten Glase zurück und trank die Blume ab.

Kennen Sie mich noch, Fräulein Lieschen? fragte ich. Sie sah mich eine
Weile fragend an und guckte dann nach der Decke, als wollte sie in Gedanken
die unendliche Reihe von Männern vorbeifliegen lassen, deren Bekanntschaft
sie sich zu erfreuen hatte. Ich mußte wohl ganz hinten stecken, denn es dauerte
lange, bis sie sagte: Ah, Sie sind wohl der Student, der einmal neben uus
gewohnt hat und so oft zu meinem Vater kam?

Ganz recht, Fräulein Lieschen! Wie geht es denn Ihrem Vater?

Na Gott hab ihn selig! rief sie mit einer abwehrenden Handbewegung.
Tot gesoffen hat er sich. Haus und Garten hat er durch die Kehle gejagt.

Das thut mir leid. Freilich, er liebte das Trinken, aber er war doch
sonst ein braver Kerl. Er hatte Sie auch sehr lieb, Fräulein Lieschen.

Pah, die Liebe! Was ich mir dafür kaufe!

Er hats mir aber oft gesagt und hats Ihnen doch auch gezeigt!

Ja, bis die Geschichte mit dem Polacken kam. Wissen Sie, der ist an
allem schuld. Na, Schwamm drüber!

Sie wurde von einem Gaste gerufen und plauderte dann lachend und
scherzend mit dem eine Weile.

Der Redner hatte geendigt, und ein Klavierspieler — es war wohl noch
immer der alte Blinde aus meiner Studentenzeit — sing an im Hintergrunde
zu arbeiten. Es klang, als ob er nicht mit den Händen, sondern mit dem
Gesäß auf den Tasten hin- und hersprängc. Meine Gedanken flogen zehn
Jahre zurück und schweiften in das Gürtchen des alten Pedells. Ich sah das
Mädchen wieder hinter den Stachelbeersträuchern sitzen und ihren Kopf ver¬
schämt verstecken, wenn ein Student vorbeiging. Und nun stand sie da, auf¬
gedonnert, mit unechtem Schmuck überladen, das Gesicht gepudert und ge¬
schminkt, in einer verräucherten Bierkneipe, und schritt dnrch die Reihen der
Männer und der lüsternen jungen Burschen mit einladenden Blicken und heraus¬
fordernden Bewegungen. (1 qcms lnutg,die> rvrum!

Was ist deun aus dein polnischen Studenten geworden? fragte ich
sie, als sie wieder neben meinem Stuhl stand und ihre Hand auf meine
Schulter legte.

Der Halunke! stieß sie hervor, indem sie die Faust ballte. Jetzt ist er
Arzt in Schlesien oder Posen, ich weiß uicht wo. Im vorigen Jahre war er
auf seiner Hochzeitsreise hier in Berlin; und denken Sie sich, der Kerl hatte
die Unverschämtheit, mich aufzusuchen. Aber ich habe Rache genommen, grim¬
mige Rache! Der wird an mich denken. Sie kennen doch den Roman Nana?
Sehn Sie, so habe ichs gemacht.

Sie lachte, griff nach meinem Glase und trank die Hälfte aus.

Gefällt Ihnen denn Ihr jetziges Lebe»? fragte ich etwas abwehrend.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0622" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213098"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_2087" prev="#ID_2086"> die bunte Schärpe nur so flogen, und sagte: Gleich! gleich! Dann kam sie<lb/>
mit einem gefüllten Glase zurück und trank die Blume ab.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2088"> Kennen Sie mich noch, Fräulein Lieschen? fragte ich. Sie sah mich eine<lb/>
Weile fragend an und guckte dann nach der Decke, als wollte sie in Gedanken<lb/>
die unendliche Reihe von Männern vorbeifliegen lassen, deren Bekanntschaft<lb/>
sie sich zu erfreuen hatte. Ich mußte wohl ganz hinten stecken, denn es dauerte<lb/>
lange, bis sie sagte: Ah, Sie sind wohl der Student, der einmal neben uus<lb/>
gewohnt hat und so oft zu meinem Vater kam?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2089"> Ganz recht, Fräulein Lieschen! Wie geht es denn Ihrem Vater?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2090"> Na Gott hab ihn selig! rief sie mit einer abwehrenden Handbewegung.<lb/>
Tot gesoffen hat er sich.  Haus und Garten hat er durch die Kehle gejagt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2091"> Das thut mir leid. Freilich, er liebte das Trinken, aber er war doch<lb/>
sonst ein braver Kerl.  Er hatte Sie auch sehr lieb, Fräulein Lieschen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2092"> Pah, die Liebe! Was ich mir dafür kaufe!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2093"> Er hats mir aber oft gesagt und hats Ihnen doch auch gezeigt!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2094"> Ja, bis die Geschichte mit dem Polacken kam. Wissen Sie, der ist an<lb/>
allem schuld.  Na, Schwamm drüber!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2095"> Sie wurde von einem Gaste gerufen und plauderte dann lachend und<lb/>
scherzend mit dem eine Weile.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2096"> Der Redner hatte geendigt, und ein Klavierspieler &#x2014; es war wohl noch<lb/>
immer der alte Blinde aus meiner Studentenzeit &#x2014; sing an im Hintergrunde<lb/>
zu arbeiten. Es klang, als ob er nicht mit den Händen, sondern mit dem<lb/>
Gesäß auf den Tasten hin- und hersprängc. Meine Gedanken flogen zehn<lb/>
Jahre zurück und schweiften in das Gürtchen des alten Pedells. Ich sah das<lb/>
Mädchen wieder hinter den Stachelbeersträuchern sitzen und ihren Kopf ver¬<lb/>
schämt verstecken, wenn ein Student vorbeiging. Und nun stand sie da, auf¬<lb/>
gedonnert, mit unechtem Schmuck überladen, das Gesicht gepudert und ge¬<lb/>
schminkt, in einer verräucherten Bierkneipe, und schritt dnrch die Reihen der<lb/>
Männer und der lüsternen jungen Burschen mit einladenden Blicken und heraus¬<lb/>
fordernden Bewegungen.  (1 qcms lnutg,die&gt; rvrum!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2097"> Was ist deun aus dein polnischen Studenten geworden? fragte ich<lb/>
sie, als sie wieder neben meinem Stuhl stand und ihre Hand auf meine<lb/>
Schulter legte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2098"> Der Halunke! stieß sie hervor, indem sie die Faust ballte. Jetzt ist er<lb/>
Arzt in Schlesien oder Posen, ich weiß uicht wo. Im vorigen Jahre war er<lb/>
auf seiner Hochzeitsreise hier in Berlin; und denken Sie sich, der Kerl hatte<lb/>
die Unverschämtheit, mich aufzusuchen. Aber ich habe Rache genommen, grim¬<lb/>
mige Rache! Der wird an mich denken. Sie kennen doch den Roman Nana?<lb/>
Sehn Sie, so habe ichs gemacht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2099"> Sie lachte, griff nach meinem Glase und trank die Hälfte aus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2100" next="#ID_2101"> Gefällt Ihnen denn Ihr jetziges Lebe»? fragte ich etwas abwehrend.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0622] die bunte Schärpe nur so flogen, und sagte: Gleich! gleich! Dann kam sie mit einem gefüllten Glase zurück und trank die Blume ab. Kennen Sie mich noch, Fräulein Lieschen? fragte ich. Sie sah mich eine Weile fragend an und guckte dann nach der Decke, als wollte sie in Gedanken die unendliche Reihe von Männern vorbeifliegen lassen, deren Bekanntschaft sie sich zu erfreuen hatte. Ich mußte wohl ganz hinten stecken, denn es dauerte lange, bis sie sagte: Ah, Sie sind wohl der Student, der einmal neben uus gewohnt hat und so oft zu meinem Vater kam? Ganz recht, Fräulein Lieschen! Wie geht es denn Ihrem Vater? Na Gott hab ihn selig! rief sie mit einer abwehrenden Handbewegung. Tot gesoffen hat er sich. Haus und Garten hat er durch die Kehle gejagt. Das thut mir leid. Freilich, er liebte das Trinken, aber er war doch sonst ein braver Kerl. Er hatte Sie auch sehr lieb, Fräulein Lieschen. Pah, die Liebe! Was ich mir dafür kaufe! Er hats mir aber oft gesagt und hats Ihnen doch auch gezeigt! Ja, bis die Geschichte mit dem Polacken kam. Wissen Sie, der ist an allem schuld. Na, Schwamm drüber! Sie wurde von einem Gaste gerufen und plauderte dann lachend und scherzend mit dem eine Weile. Der Redner hatte geendigt, und ein Klavierspieler — es war wohl noch immer der alte Blinde aus meiner Studentenzeit — sing an im Hintergrunde zu arbeiten. Es klang, als ob er nicht mit den Händen, sondern mit dem Gesäß auf den Tasten hin- und hersprängc. Meine Gedanken flogen zehn Jahre zurück und schweiften in das Gürtchen des alten Pedells. Ich sah das Mädchen wieder hinter den Stachelbeersträuchern sitzen und ihren Kopf ver¬ schämt verstecken, wenn ein Student vorbeiging. Und nun stand sie da, auf¬ gedonnert, mit unechtem Schmuck überladen, das Gesicht gepudert und ge¬ schminkt, in einer verräucherten Bierkneipe, und schritt dnrch die Reihen der Männer und der lüsternen jungen Burschen mit einladenden Blicken und heraus¬ fordernden Bewegungen. (1 qcms lnutg,die> rvrum! Was ist deun aus dein polnischen Studenten geworden? fragte ich sie, als sie wieder neben meinem Stuhl stand und ihre Hand auf meine Schulter legte. Der Halunke! stieß sie hervor, indem sie die Faust ballte. Jetzt ist er Arzt in Schlesien oder Posen, ich weiß uicht wo. Im vorigen Jahre war er auf seiner Hochzeitsreise hier in Berlin; und denken Sie sich, der Kerl hatte die Unverschämtheit, mich aufzusuchen. Aber ich habe Rache genommen, grim¬ mige Rache! Der wird an mich denken. Sie kennen doch den Roman Nana? Sehn Sie, so habe ichs gemacht. Sie lachte, griff nach meinem Glase und trank die Hälfte aus. Gefällt Ihnen denn Ihr jetziges Lebe»? fragte ich etwas abwehrend.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/622
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/622>, abgerufen am 08.01.2025.