Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Zur Geschichte der konservativen Doktrin schreiber lernte er die administrativen wie die Jnstizgeschüfte seines Kantons, Haller, der nur einen Augenblick von den damaligen Mvdetheorien er¬ Zur Geschichte der konservativen Doktrin schreiber lernte er die administrativen wie die Jnstizgeschüfte seines Kantons, Haller, der nur einen Augenblick von den damaligen Mvdetheorien er¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0597" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213073"/> <fw type="header" place="top"> Zur Geschichte der konservativen Doktrin</fw><lb/> <p xml:id="ID_1982" prev="#ID_1981"> schreiber lernte er die administrativen wie die Jnstizgeschüfte seines Kantons,<lb/> als Sekretär zweier Tagsatzungen, in Baden und in Frauenfeld, die gemein¬<lb/> samen Angelegenheiten der Eidgenossenschaft aus eigner Anschauung kennen.<lb/> Diplomatische Sendungen führten ihn schon in jungen Jahren nach Frankreich,<lb/> »ach Deutschland und Italien. Er war in Paris, als die Nationalversamm¬<lb/> lung mitten in ihrem Zerstörungswerke begriffen war, in Rastatt, als die<lb/> Abgesandten der deutschen Stände über die Umgestaltungen berieten, die durch<lb/> den Sieg des revolutionären Frankreichs über Kaiser und Reich in diesem<lb/> Reiche notwendig geworden waren. In die Heimat zurückgekehrt, fand er die<lb/> alte Schweiz zusammengebrochen. Und nun sah er, wie dem Lande eine „dem<lb/> bisherigen Verhältnisse fremde und bis ins einzelne hinein der damaligen<lb/> Verfassung der französischen Republik genau nachgebildete, ans gehaltloser<lb/> Theorie und nicht aus dem Leben hervorgcgangne Verfassung" aufgedrängt<lb/> wurde. Bern, das im Laufe der Zeit teils durch Verträge, teils durch Krieg<lb/> weite Landgebiete erworben hatte, die es dnrch Vögte regierte, verlor die<lb/> Herrschaft über diese, da vor dem Staatsrecht der Revolution Vertrüge und<lb/> Krieg keine Rechtsgründe auf Besitztümer waren: das flache Land wurde zu<lb/> einem ebenso berechtigten Gliede des Kantons wie die Stadt. In den Räten,<lb/> die durch Entziehung der richterlichen Befugnisse beschränkt wurden, hatten<lb/> fortan nicht mehr die Patrizier allein zu walten, auch hier wurde das demo¬<lb/> kratische Prinzip der Gleichberechtigung aller eingeführt. Wohl ergaben sich<lb/> aus dieser Veränderung einige Vorteile. Größer aber waren unstreitig die<lb/> Nachteile. „Das behagliche, genügsame Leben, die heitre Ruhe, der Friede, der<lb/> sich in diesem glücklichen Lande niedergelassen hatte, mußte — so sagt ein<lb/> Darsteller dieser Zustände — einem wüsten Treiben der Stürmer und Wühler,<lb/> wie man dort die niedrigen Beweger passend nennt, dem Hasse und der Leiden¬<lb/> schaft der Parteien weichen. Durch die aufgedrungnen französischen Theorien<lb/> wurde der Staat auf eine höchst künstliche unorganische Weise eingerichtet und<lb/> eine Menge von einzelnen Institutionen, die weder dem Lande zusagten, noch<lb/> wohlthätig für das Land wirken konnten, eingeführt. Das traurigste aber<lb/> — so heißt es weiter — ist die gänzliche Zerstörung aller Sicherheit für die<lb/> Zukunft. Der innere Haltpunkt, den die Geschichte des Volks und Staats<lb/> gewährte, geht verloren, der untergrabne Boden schwankt, Veränderung folgt<lb/> auf Veränderung, Revolution auf Revolution."</p><lb/> <p xml:id="ID_1983" next="#ID_1984"> Haller, der nur einen Augenblick von den damaligen Mvdetheorien er¬<lb/> griffen worden war, wandte sich alsbald gegen das neue Wesen: in den „Hel¬<lb/> vetischen Annalen" bekämpfte er es teils mit den Waffen der Satire, teils mit<lb/> ernster Beredsamkeit. Aber die „Annalen" wurden verboten, und er mußte<lb/> das Vaterland verlassen. Nun begab er sich in österreichische Dienste: den<lb/> Feldzug von 1799 und 1800 hat er als Kriegsratssekretär zum Teil in Wien,<lb/> zum Teil im Lager des Erzherzogs Karl erlebt. Die Geschichte der Wirkungen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0597]
Zur Geschichte der konservativen Doktrin
schreiber lernte er die administrativen wie die Jnstizgeschüfte seines Kantons,
als Sekretär zweier Tagsatzungen, in Baden und in Frauenfeld, die gemein¬
samen Angelegenheiten der Eidgenossenschaft aus eigner Anschauung kennen.
Diplomatische Sendungen führten ihn schon in jungen Jahren nach Frankreich,
»ach Deutschland und Italien. Er war in Paris, als die Nationalversamm¬
lung mitten in ihrem Zerstörungswerke begriffen war, in Rastatt, als die
Abgesandten der deutschen Stände über die Umgestaltungen berieten, die durch
den Sieg des revolutionären Frankreichs über Kaiser und Reich in diesem
Reiche notwendig geworden waren. In die Heimat zurückgekehrt, fand er die
alte Schweiz zusammengebrochen. Und nun sah er, wie dem Lande eine „dem
bisherigen Verhältnisse fremde und bis ins einzelne hinein der damaligen
Verfassung der französischen Republik genau nachgebildete, ans gehaltloser
Theorie und nicht aus dem Leben hervorgcgangne Verfassung" aufgedrängt
wurde. Bern, das im Laufe der Zeit teils durch Verträge, teils durch Krieg
weite Landgebiete erworben hatte, die es dnrch Vögte regierte, verlor die
Herrschaft über diese, da vor dem Staatsrecht der Revolution Vertrüge und
Krieg keine Rechtsgründe auf Besitztümer waren: das flache Land wurde zu
einem ebenso berechtigten Gliede des Kantons wie die Stadt. In den Räten,
die durch Entziehung der richterlichen Befugnisse beschränkt wurden, hatten
fortan nicht mehr die Patrizier allein zu walten, auch hier wurde das demo¬
kratische Prinzip der Gleichberechtigung aller eingeführt. Wohl ergaben sich
aus dieser Veränderung einige Vorteile. Größer aber waren unstreitig die
Nachteile. „Das behagliche, genügsame Leben, die heitre Ruhe, der Friede, der
sich in diesem glücklichen Lande niedergelassen hatte, mußte — so sagt ein
Darsteller dieser Zustände — einem wüsten Treiben der Stürmer und Wühler,
wie man dort die niedrigen Beweger passend nennt, dem Hasse und der Leiden¬
schaft der Parteien weichen. Durch die aufgedrungnen französischen Theorien
wurde der Staat auf eine höchst künstliche unorganische Weise eingerichtet und
eine Menge von einzelnen Institutionen, die weder dem Lande zusagten, noch
wohlthätig für das Land wirken konnten, eingeführt. Das traurigste aber
— so heißt es weiter — ist die gänzliche Zerstörung aller Sicherheit für die
Zukunft. Der innere Haltpunkt, den die Geschichte des Volks und Staats
gewährte, geht verloren, der untergrabne Boden schwankt, Veränderung folgt
auf Veränderung, Revolution auf Revolution."
Haller, der nur einen Augenblick von den damaligen Mvdetheorien er¬
griffen worden war, wandte sich alsbald gegen das neue Wesen: in den „Hel¬
vetischen Annalen" bekämpfte er es teils mit den Waffen der Satire, teils mit
ernster Beredsamkeit. Aber die „Annalen" wurden verboten, und er mußte
das Vaterland verlassen. Nun begab er sich in österreichische Dienste: den
Feldzug von 1799 und 1800 hat er als Kriegsratssekretär zum Teil in Wien,
zum Teil im Lager des Erzherzogs Karl erlebt. Die Geschichte der Wirkungen
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