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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Lin bedenklicher Widerspruch

geber nicht möglich machen. Man hört es oft aussprechen, daß, wie es den
Arbeitern freistehe, ihre Forderungen zu stellen, zu gehn oder zu bleiben, so
auch die Arbeitgeber in der Annahme von Arbeitern unbeschränkt sein müßten.
Man muß zugeben, daß, solange ein solcher Kriegszustand vorhanden ist, bei
dem jeder Teil einseitig nur das eigne Interesse verfolgt, die wohlthätigen
Maßregeln, die wir im Auge haben, kaum ausführbar sein würden. So lange
keine Sicherheit vorhanden ist, daß nicht Streiks ausbrechen, die die Produktion
lahmlegen, so lange nicht Organe geschaffen sind, die im Fall von Streitig¬
keiten den Frieden herzustellen geeignet sind, kann den Unternehmern nicht ver¬
boten werden, Hilfskräfte heranzuziehen, gleichviel woher sie kommen mögen.
Wir wollen aber einmal annehmen, daß dieser äußerst niedrige Standpunkt
des Klassenkampfes, der sich in gegenseitiger Chikane, in Streiks und Aus¬
sperrungen äußert, überwunden wäre, und wollen von der Voraussetzung aus¬
gehen, daß Mittel gefunden seien, Streitigkeiten in friedlicher Weise zu schlichten.
Dann bleibt immer die Thatsache bestehen, daß es der Arbeiterwelt dnrch die
Zulassung ausländischer Arbeitskräfte erschwert wird, einen gerechten und
billigen Anteil an dem Ertrage von Landwirtschaft und Industrie zu erlangen.
Die Wertschätzung der Arbeit sinkt im Verhältnis zum Kapital, so lauge Ar¬
beitskräfte in unbeschränkter Zahl verfügbar sind.

Die Unternehmer behaupten, sie könnten keine höhern Löhne gewähren,
ohne ihre Unternehmungen und ihre eigne Existenz gefährdet zu sehn. Die
Wahrheit dieser Behauptung ist im Einzelfall schwer festzustellen. Das ist
außer Zweifel, daß, je mehr vom Ertrage der Arbeit dem Arbeiter zufällt,
um so weniger dem Unternehmer bleibt. In vielen Fällen wären aber die
Unternehmer sehr wohl imstande, dem Arbeiter einen höhern Betrag der Arbeit
zuzuwenden. Die hohen Dividenden mancher Aktienunternehmungen, das Ge¬
deihen zahlreicher Privatunternehmungen, die sich dem Lichte der Öffentlichkeit
zu entziehen verstehn, liefern den Beweis. Wenn aber in der That viele
Unternehmer nicht in so günstiger Lage sind, wenn sowohl Fabriken wie land¬
wirtschaftliche Betriebe nicht so hohe Erträge abwerfen, daß die Löhne erhöht
werden können, woran liegt das in der Mehrzahl der Fälle? Es liegt daran,
daß die Erträge sofort im Kapital ihren Ausdruck finden. Sobald die Erträge
eines Grundstücks, einer Fabrik steigen, werden Grundstück und Fabrik zu
einem Wert geschätzt, der dein Reinertrage entspricht. Wird ein Grundstück
verkauft, so bemißt sich der Kaufpreis nach dein wahrscheinlichen Ertrage,
ebenso der Kaufpreis einer Fabrik. Der letzte Käufer (oder der Erbe, dem
das Grundstück oder die Fabrik zugefallen ist) befindet sich demnach stets in
der Lage, gesteigerte Ausgaben vermeiden zu müssen, weil sonst der berechnete
Reinertrag nicht mehr gewonnen werden kann. Ebenso steigen die Aktien bei
zunehmendem Ertrage eines Unternehmens bis zu der Höhe, wo wenig mehr
als landesüblicher Zins übrig bleibt. Der gestiegne Wert der Grundstücke


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geber nicht möglich machen. Man hört es oft aussprechen, daß, wie es den
Arbeitern freistehe, ihre Forderungen zu stellen, zu gehn oder zu bleiben, so
auch die Arbeitgeber in der Annahme von Arbeitern unbeschränkt sein müßten.
Man muß zugeben, daß, solange ein solcher Kriegszustand vorhanden ist, bei
dem jeder Teil einseitig nur das eigne Interesse verfolgt, die wohlthätigen
Maßregeln, die wir im Auge haben, kaum ausführbar sein würden. So lange
keine Sicherheit vorhanden ist, daß nicht Streiks ausbrechen, die die Produktion
lahmlegen, so lange nicht Organe geschaffen sind, die im Fall von Streitig¬
keiten den Frieden herzustellen geeignet sind, kann den Unternehmern nicht ver¬
boten werden, Hilfskräfte heranzuziehen, gleichviel woher sie kommen mögen.
Wir wollen aber einmal annehmen, daß dieser äußerst niedrige Standpunkt
des Klassenkampfes, der sich in gegenseitiger Chikane, in Streiks und Aus¬
sperrungen äußert, überwunden wäre, und wollen von der Voraussetzung aus¬
gehen, daß Mittel gefunden seien, Streitigkeiten in friedlicher Weise zu schlichten.
Dann bleibt immer die Thatsache bestehen, daß es der Arbeiterwelt dnrch die
Zulassung ausländischer Arbeitskräfte erschwert wird, einen gerechten und
billigen Anteil an dem Ertrage von Landwirtschaft und Industrie zu erlangen.
Die Wertschätzung der Arbeit sinkt im Verhältnis zum Kapital, so lauge Ar¬
beitskräfte in unbeschränkter Zahl verfügbar sind.

Die Unternehmer behaupten, sie könnten keine höhern Löhne gewähren,
ohne ihre Unternehmungen und ihre eigne Existenz gefährdet zu sehn. Die
Wahrheit dieser Behauptung ist im Einzelfall schwer festzustellen. Das ist
außer Zweifel, daß, je mehr vom Ertrage der Arbeit dem Arbeiter zufällt,
um so weniger dem Unternehmer bleibt. In vielen Fällen wären aber die
Unternehmer sehr wohl imstande, dem Arbeiter einen höhern Betrag der Arbeit
zuzuwenden. Die hohen Dividenden mancher Aktienunternehmungen, das Ge¬
deihen zahlreicher Privatunternehmungen, die sich dem Lichte der Öffentlichkeit
zu entziehen verstehn, liefern den Beweis. Wenn aber in der That viele
Unternehmer nicht in so günstiger Lage sind, wenn sowohl Fabriken wie land¬
wirtschaftliche Betriebe nicht so hohe Erträge abwerfen, daß die Löhne erhöht
werden können, woran liegt das in der Mehrzahl der Fälle? Es liegt daran,
daß die Erträge sofort im Kapital ihren Ausdruck finden. Sobald die Erträge
eines Grundstücks, einer Fabrik steigen, werden Grundstück und Fabrik zu
einem Wert geschätzt, der dein Reinertrage entspricht. Wird ein Grundstück
verkauft, so bemißt sich der Kaufpreis nach dein wahrscheinlichen Ertrage,
ebenso der Kaufpreis einer Fabrik. Der letzte Käufer (oder der Erbe, dem
das Grundstück oder die Fabrik zugefallen ist) befindet sich demnach stets in
der Lage, gesteigerte Ausgaben vermeiden zu müssen, weil sonst der berechnete
Reinertrag nicht mehr gewonnen werden kann. Ebenso steigen die Aktien bei
zunehmendem Ertrage eines Unternehmens bis zu der Höhe, wo wenig mehr
als landesüblicher Zins übrig bleibt. Der gestiegne Wert der Grundstücke


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/590>, abgerufen am 09.01.2025.