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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Die Reise ins Aloster

Grashüpfer sind sehr unzuverlässig, sie waren alle verschwunden. Auf welche
Weise sie ihre Flucht bewerkstelligt hatten, war uns ein Rätsel. Jürgen aber
bemerkte ganz richtig, was verloren sei, daß sei verloren, ich solle nur die
Tasche mit den Mäusen holen. Dies geschah denn auch, Jürgen und ich
knieten beide auf dem matt erleuchteten Flur, die Katzen sprangen um uns
herum, und wir versuchten, eine Maus aus der Tasche herauszuholen. Aber
wir mochten sie nicht recht anfassen, denn plötzlich geschah es, daß alle vier
Weißen Mäuse zwischen den Katzen herumliefen, daß die Katzenmutter beinahe
einen Purzelbaum von der Bodentreppe schoß, um möglichst schnell zu ihnen
zu kommen, und daß es eine große, interessante Jagd gab. Wir waren plötzlich
mit unsern Stiefeln allein, und Jürgen meinte, wir sollten nur wieder zu
Bette gehen.

Ich wußte nicht recht, wie ich meinen Verlust auffassen sollte, ob es
besser wäre, zu weinen oder zu lachen. Da kamen Schritte die Treppe herauf,
und wir huschten in unsre Schlafzimmer, und als ich wieder im Bette war,
schlief ich auch bald wieder und fuhr unwirsch in die Höhe, als Jürgen mich
abermals rief. Steh doch auf und sieh aus dem Fenster! sie werfen einen
Vetrunknen aus der Thür, und er schimpft! Höre nur! aber der kann fluchen!

So lagen wir denn aus dem weitgeöffneten Fenster hinaus und horchten
mit Spannung auf den Monolog eines Arbeiters, dem die Thür gewiesen
worden war. Spät konnte es noch nicht sein, denn es gingen noch Leute
auf der Straße; wir meinten aber, es sei mindestens mitten in der Nacht,
und kamen uns dabei ungemein interessant vor. Und alles, was der Arbeiter
sagte, schien wunderhübsch zu sein, nur konnten wir leider den größten Teil
seiner Rede nicht verstehn. --

Am andern Morgen bestiegen wir wieder unsern Wagen, nachdem wir
unsäglich viel Kaffee getrunken und Butterbrot dazu gegessen hatten. Ich war
selig: der Wirt hatte mir eine junge Katze geschenkt.

Das is ein kleinen Kater und ein feines Tier, sagte er; da wirst noch
Spaß an haben! Und ein Mäusefresser! Was sein Mutter is, die is auch
hinter die Mausens her, wie nichts gutes. Heut ganz früh zog sie mit so'n
weißen Diert herum, ich wußt gar nich, daß wir auch Weiße Mäusens hatten!
Na, das is denn ja auch einerlei: willst ihm haben, kannst ihm kriegen!

Na, ob ich "ihm" haben wollte! Eilig nahm ich den kleinen, rot und
schwarz getigerten Wollball an mich und erklärte, zeitlebens für ihn sorgen
und ihn lieben zu wollen. Vater sah zwar etwas bedenklich aus, am liebsten
hätte er wohl den Kater dankend abgelehnt; aber mein Jammer über das ver¬
sagte Kanarienweibchen stand ihm vielleicht noch zu lebhaft vor der Seele.
So durfte ich unbehelligt davonfahren, mein Geschenk auf dem Schoße.

Unterwegs entspann sich ein lebhafter Meinungsaustausch zwischen meinem
Bruder und mir wegen eines Katernamens. Wir hatten eine Hauskatze, die


Die Reise ins Aloster

Grashüpfer sind sehr unzuverlässig, sie waren alle verschwunden. Auf welche
Weise sie ihre Flucht bewerkstelligt hatten, war uns ein Rätsel. Jürgen aber
bemerkte ganz richtig, was verloren sei, daß sei verloren, ich solle nur die
Tasche mit den Mäusen holen. Dies geschah denn auch, Jürgen und ich
knieten beide auf dem matt erleuchteten Flur, die Katzen sprangen um uns
herum, und wir versuchten, eine Maus aus der Tasche herauszuholen. Aber
wir mochten sie nicht recht anfassen, denn plötzlich geschah es, daß alle vier
Weißen Mäuse zwischen den Katzen herumliefen, daß die Katzenmutter beinahe
einen Purzelbaum von der Bodentreppe schoß, um möglichst schnell zu ihnen
zu kommen, und daß es eine große, interessante Jagd gab. Wir waren plötzlich
mit unsern Stiefeln allein, und Jürgen meinte, wir sollten nur wieder zu
Bette gehen.

Ich wußte nicht recht, wie ich meinen Verlust auffassen sollte, ob es
besser wäre, zu weinen oder zu lachen. Da kamen Schritte die Treppe herauf,
und wir huschten in unsre Schlafzimmer, und als ich wieder im Bette war,
schlief ich auch bald wieder und fuhr unwirsch in die Höhe, als Jürgen mich
abermals rief. Steh doch auf und sieh aus dem Fenster! sie werfen einen
Vetrunknen aus der Thür, und er schimpft! Höre nur! aber der kann fluchen!

So lagen wir denn aus dem weitgeöffneten Fenster hinaus und horchten
mit Spannung auf den Monolog eines Arbeiters, dem die Thür gewiesen
worden war. Spät konnte es noch nicht sein, denn es gingen noch Leute
auf der Straße; wir meinten aber, es sei mindestens mitten in der Nacht,
und kamen uns dabei ungemein interessant vor. Und alles, was der Arbeiter
sagte, schien wunderhübsch zu sein, nur konnten wir leider den größten Teil
seiner Rede nicht verstehn. —

Am andern Morgen bestiegen wir wieder unsern Wagen, nachdem wir
unsäglich viel Kaffee getrunken und Butterbrot dazu gegessen hatten. Ich war
selig: der Wirt hatte mir eine junge Katze geschenkt.

Das is ein kleinen Kater und ein feines Tier, sagte er; da wirst noch
Spaß an haben! Und ein Mäusefresser! Was sein Mutter is, die is auch
hinter die Mausens her, wie nichts gutes. Heut ganz früh zog sie mit so'n
weißen Diert herum, ich wußt gar nich, daß wir auch Weiße Mäusens hatten!
Na, das is denn ja auch einerlei: willst ihm haben, kannst ihm kriegen!

Na, ob ich „ihm" haben wollte! Eilig nahm ich den kleinen, rot und
schwarz getigerten Wollball an mich und erklärte, zeitlebens für ihn sorgen
und ihn lieben zu wollen. Vater sah zwar etwas bedenklich aus, am liebsten
hätte er wohl den Kater dankend abgelehnt; aber mein Jammer über das ver¬
sagte Kanarienweibchen stand ihm vielleicht noch zu lebhaft vor der Seele.
So durfte ich unbehelligt davonfahren, mein Geschenk auf dem Schoße.

Unterwegs entspann sich ein lebhafter Meinungsaustausch zwischen meinem
Bruder und mir wegen eines Katernamens. Wir hatten eine Hauskatze, die


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[0571] Die Reise ins Aloster Grashüpfer sind sehr unzuverlässig, sie waren alle verschwunden. Auf welche Weise sie ihre Flucht bewerkstelligt hatten, war uns ein Rätsel. Jürgen aber bemerkte ganz richtig, was verloren sei, daß sei verloren, ich solle nur die Tasche mit den Mäusen holen. Dies geschah denn auch, Jürgen und ich knieten beide auf dem matt erleuchteten Flur, die Katzen sprangen um uns herum, und wir versuchten, eine Maus aus der Tasche herauszuholen. Aber wir mochten sie nicht recht anfassen, denn plötzlich geschah es, daß alle vier Weißen Mäuse zwischen den Katzen herumliefen, daß die Katzenmutter beinahe einen Purzelbaum von der Bodentreppe schoß, um möglichst schnell zu ihnen zu kommen, und daß es eine große, interessante Jagd gab. Wir waren plötzlich mit unsern Stiefeln allein, und Jürgen meinte, wir sollten nur wieder zu Bette gehen. Ich wußte nicht recht, wie ich meinen Verlust auffassen sollte, ob es besser wäre, zu weinen oder zu lachen. Da kamen Schritte die Treppe herauf, und wir huschten in unsre Schlafzimmer, und als ich wieder im Bette war, schlief ich auch bald wieder und fuhr unwirsch in die Höhe, als Jürgen mich abermals rief. Steh doch auf und sieh aus dem Fenster! sie werfen einen Vetrunknen aus der Thür, und er schimpft! Höre nur! aber der kann fluchen! So lagen wir denn aus dem weitgeöffneten Fenster hinaus und horchten mit Spannung auf den Monolog eines Arbeiters, dem die Thür gewiesen worden war. Spät konnte es noch nicht sein, denn es gingen noch Leute auf der Straße; wir meinten aber, es sei mindestens mitten in der Nacht, und kamen uns dabei ungemein interessant vor. Und alles, was der Arbeiter sagte, schien wunderhübsch zu sein, nur konnten wir leider den größten Teil seiner Rede nicht verstehn. — Am andern Morgen bestiegen wir wieder unsern Wagen, nachdem wir unsäglich viel Kaffee getrunken und Butterbrot dazu gegessen hatten. Ich war selig: der Wirt hatte mir eine junge Katze geschenkt. Das is ein kleinen Kater und ein feines Tier, sagte er; da wirst noch Spaß an haben! Und ein Mäusefresser! Was sein Mutter is, die is auch hinter die Mausens her, wie nichts gutes. Heut ganz früh zog sie mit so'n weißen Diert herum, ich wußt gar nich, daß wir auch Weiße Mäusens hatten! Na, das is denn ja auch einerlei: willst ihm haben, kannst ihm kriegen! Na, ob ich „ihm" haben wollte! Eilig nahm ich den kleinen, rot und schwarz getigerten Wollball an mich und erklärte, zeitlebens für ihn sorgen und ihn lieben zu wollen. Vater sah zwar etwas bedenklich aus, am liebsten hätte er wohl den Kater dankend abgelehnt; aber mein Jammer über das ver¬ sagte Kanarienweibchen stand ihm vielleicht noch zu lebhaft vor der Seele. So durfte ich unbehelligt davonfahren, mein Geschenk auf dem Schoße. Unterwegs entspann sich ein lebhafter Meinungsaustausch zwischen meinem Bruder und mir wegen eines Katernamens. Wir hatten eine Hauskatze, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/571>, abgerufen am 08.01.2025.