Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Aufklärungen über studentische Dinge arbeit derselben Judenpresse, die den Antisemitismus fortwährend totsagt, und Publikum und übrige Studentenschaft wissen davon nichts, daß gerade Aufklärungen über studentische Dinge arbeit derselben Judenpresse, die den Antisemitismus fortwährend totsagt, und Publikum und übrige Studentenschaft wissen davon nichts, daß gerade <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0560" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213036"/> <fw type="header" place="top"> Aufklärungen über studentische Dinge</fw><lb/> <p xml:id="ID_1846" prev="#ID_1845"> arbeit derselben Judenpresse, die den Antisemitismus fortwährend totsagt, und<lb/> alles dessen, was ihr in bewußter oder uicbtgeahnter Abhängigkeit kritiklos<lb/> nachschreibt und nachredet, hat sich mit dem ganzen fanatischen Haß ihrer<lb/> Leiter auf jegliche» und jegliches, was nur irgendwie ein wenig nach Ab¬<lb/> neigung gegen das Volk der Zukunft schmeckt, auch auf diese Vereine gestürzt.<lb/> Das Publikum weiß von ihnen gewöhnlich nichts weiter, als daß sie anti¬<lb/> semitisch, kulturfeindlich, mittelalterlich, orthodox, reaktionär und durch eine<lb/> geheimnisvolle Verschwörung Stöckers und Bismarcks gegründet sind. Das¬<lb/> selbe weiß aus der Presse und aus deu Gesprächen der Väter auch ein großer<lb/> Teil der Studentenschaft, und da geht es denn ganz ähnlich, wie es beim<lb/> Publikum, bei uns allen geht: die Juden mögen wir alle nicht und halten sie<lb/> für einen Krebsschaden in unserm Volke, für das „Ferment der Dekompo-<lb/> sition," um das Deutsch des wunderbaren Philosemiten Mommsen beizubehalten,<lb/> aber — immer noch hundertmal lieber der Jude, als der Antisemit! Soweit<lb/> hat die tägliche Presse unser ganzes Meinen und Sagen unter ihre Herrschaft<lb/> gebracht. So ist denn auch gerade der Student, soweit er nicht unmittelbare<lb/> Gründe für das Gegenteil hat, überall klar oder unklar antisemitisch, aber von<lb/> dem Kori'M' vor den Vereinen deutscher Studenten vermag er sich zunächst noch<lb/> nicht zu befreien, als unbewußter Gäugelbändliug seiner Lektüre klopft und<lb/> schimpft er auf diese vou alleu Seiten los. Nun, wir können dem Kyffhäuser-<lb/> verbcmde an dieser Stelle verraten, daß schon mancher tüchtige Gegner, mit<lb/> dem sich die Redner der Vereine deutscher Studenten, die Akademischen Blätter<lb/> oder die alte Kyffhäuserzeitung vor Jahren herumgeschlagen haben, seit seinen<lb/> ersten Semestern und seiner Studienzeit beinahe antisemitischer geworden ist,<lb/> als die Vereine deutscher Studenten selber.</p><lb/> <p xml:id="ID_1847" next="#ID_1848"> Publikum und übrige Studentenschaft wissen davon nichts, daß gerade<lb/> die Parole gegen die Juden in diesen Vereinen in frühern Zeiten Mcinungs-<lb/> kämpfe hervorgerufen hat, daß die Vereine sehr unangenehme Auseinander¬<lb/> setzungen mit Bernhard Förster und andern ordentlichen öffentliche!? Antisemiten<lb/> hinter sich haben, und daß der meistverleumdete, Stöcker, dem sich hie und<lb/> da Führer der Vereine näherten und den sie zu Borträgen veranlaßten, erst<lb/> seines persönlichen Auftretens und der damit unausbleiblichen Überzeugungskraft<lb/> seiner ganzen Redlichkeit und Liebe zu unserm Volke bedürfte, um bei der<lb/> Masse der Vereinsmitglieder das Vorurteil zu zerstreuen und sich die Herzen<lb/> zu gewinnen. Am besten konnte man diese Vereine als die studentische Partei<lb/> der nationalen Gesundung bezeichnen; so kamen sie auf nach dem innern Nieder-<lb/> gange alles öffentlichen deutschen Lebens und der ungehemmten Zersetznugs-<lb/> arbeit an den sozialen und geistigen deutscheu Zuständen, die die siebziger<lb/> Jahre bezeichnen, kamen auf aus der Sehnsucht nach Erhaltung und Wieder¬<lb/> erweckung der nationalen und idealen Güter. Das ist ihre Grundlage und<lb/> ihre Tendenz, darüber haben sie niemals Streit unter einander gehabt. Sie</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0560]
Aufklärungen über studentische Dinge
arbeit derselben Judenpresse, die den Antisemitismus fortwährend totsagt, und
alles dessen, was ihr in bewußter oder uicbtgeahnter Abhängigkeit kritiklos
nachschreibt und nachredet, hat sich mit dem ganzen fanatischen Haß ihrer
Leiter auf jegliche» und jegliches, was nur irgendwie ein wenig nach Ab¬
neigung gegen das Volk der Zukunft schmeckt, auch auf diese Vereine gestürzt.
Das Publikum weiß von ihnen gewöhnlich nichts weiter, als daß sie anti¬
semitisch, kulturfeindlich, mittelalterlich, orthodox, reaktionär und durch eine
geheimnisvolle Verschwörung Stöckers und Bismarcks gegründet sind. Das¬
selbe weiß aus der Presse und aus deu Gesprächen der Väter auch ein großer
Teil der Studentenschaft, und da geht es denn ganz ähnlich, wie es beim
Publikum, bei uns allen geht: die Juden mögen wir alle nicht und halten sie
für einen Krebsschaden in unserm Volke, für das „Ferment der Dekompo-
sition," um das Deutsch des wunderbaren Philosemiten Mommsen beizubehalten,
aber — immer noch hundertmal lieber der Jude, als der Antisemit! Soweit
hat die tägliche Presse unser ganzes Meinen und Sagen unter ihre Herrschaft
gebracht. So ist denn auch gerade der Student, soweit er nicht unmittelbare
Gründe für das Gegenteil hat, überall klar oder unklar antisemitisch, aber von
dem Kori'M' vor den Vereinen deutscher Studenten vermag er sich zunächst noch
nicht zu befreien, als unbewußter Gäugelbändliug seiner Lektüre klopft und
schimpft er auf diese vou alleu Seiten los. Nun, wir können dem Kyffhäuser-
verbcmde an dieser Stelle verraten, daß schon mancher tüchtige Gegner, mit
dem sich die Redner der Vereine deutscher Studenten, die Akademischen Blätter
oder die alte Kyffhäuserzeitung vor Jahren herumgeschlagen haben, seit seinen
ersten Semestern und seiner Studienzeit beinahe antisemitischer geworden ist,
als die Vereine deutscher Studenten selber.
Publikum und übrige Studentenschaft wissen davon nichts, daß gerade
die Parole gegen die Juden in diesen Vereinen in frühern Zeiten Mcinungs-
kämpfe hervorgerufen hat, daß die Vereine sehr unangenehme Auseinander¬
setzungen mit Bernhard Förster und andern ordentlichen öffentliche!? Antisemiten
hinter sich haben, und daß der meistverleumdete, Stöcker, dem sich hie und
da Führer der Vereine näherten und den sie zu Borträgen veranlaßten, erst
seines persönlichen Auftretens und der damit unausbleiblichen Überzeugungskraft
seiner ganzen Redlichkeit und Liebe zu unserm Volke bedürfte, um bei der
Masse der Vereinsmitglieder das Vorurteil zu zerstreuen und sich die Herzen
zu gewinnen. Am besten konnte man diese Vereine als die studentische Partei
der nationalen Gesundung bezeichnen; so kamen sie auf nach dem innern Nieder-
gange alles öffentlichen deutschen Lebens und der ungehemmten Zersetznugs-
arbeit an den sozialen und geistigen deutscheu Zuständen, die die siebziger
Jahre bezeichnen, kamen auf aus der Sehnsucht nach Erhaltung und Wieder¬
erweckung der nationalen und idealen Güter. Das ist ihre Grundlage und
ihre Tendenz, darüber haben sie niemals Streit unter einander gehabt. Sie
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