Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aufklärungen über studentische Dinge

selber, die dadurch allmählich tiefgreifend innerlich umgestaltet werden. Die
norddeutschen Beamten und adlichen Landwirte, die zu ihrer Zeit stramme
und vergnügte Korpsburschen gewesen siud, müssen sich unter den heutigen
Verhältnissen sehr ernsthaft die Frage vorlegen, ob sie überhaupt imstande
seien, ihre Söhne in ihr liebes altes Korps zu schicken. Damit verlieren manche
und gerade alte und tüchtige Korps allmählich ihren bewährten festen Wurzel¬
boden und gelangen mit der Zeit zu völlig veränderten Nekrntirnngsbezirken,
die Plutvkratie verdrängt auch auf diesem Felde die Aristokratie. Die gegen
den Keim dieser Übel ergriffnen Mittel bewirken eher das Gegenteil, wir
meinen die, "Alteherrenkassen" und sonstigen Zuwendungen der Korpsphilister
an die Aktiven. Ganz abgesehn davon, daß es an sich nicht gut ist, wenn
die studirenden Jünglinge in einzelnen Dingen die Pfründner andrer sind, so
wird der Rückhalt, den das Korps an den Alten hat, sowohl zuweilen über¬
schätzt als auch leicht dahin verstanden: uns kanns gar nicht fehlen, wozu
siud denn die alten Herren da? sodaß das, was infolge der Freigebigkeit der
alten Herren hätte erspart oder gut angewandt werden können, oft doppelt
und dreifach anderweitig verjubelt wird. Ein Freund erzählte dem Schreiber
dieser Zeilen: Wir haben unserm Korps auch ein Haus gebaut. Zuerst
nahmen wir von den Aktiven eine verhältnismäßig geringe Miete, die durch
die Alteherrenkasse natürlich wieder zu Gunsten des Korps verwendet wurde.
Zur gleichen Zeit waren die Kassenverhältnisse bei dem aktiven Korps vor¬
trefflich. Dann erließen wir ihnen, quasi zur Belohnung, die Miete; und von
da an wollte es nicht mehr recht gehn.

Überhaupt ist es mit der direkten Einwirkung der alten Herren auf ihre
Aktiven, nicht bloß bei den Korps, sondern bei allen Verbindungen, ein zwie¬
faches Ding. Im ganzen und allgemeinen ist diese enge Beziehung zwischen
ältern, erfahrnen und bewährten Leuten und frischen Studenten eine sehr
hübsche und ersprießliche Errungenschaft für beide Teile, besonders aber
sür die Jungen. Dagegen erweckt das Auftreten einzelner alten Herren ge¬
legentlich unrichtige, ja verderbliche Vorstellungen. Die sitzen das ganze
übrige Jahr mehr oder minder behaglich, jedenfalls aber solid und ohne
Extravaganz daheim, bis der Urlaub kommt und sie sich entschließen, die ersten
Tage davon und den ersten gehäuften Löffel ihres Reisebudgets auf die alte
Musenstadt und ihre Erinnerungen zu verwenden. Da ziehen sie denn fröhlich
mit einem Schwarm von Füchsen umher, "schmeißen" Sektfrühschoppen und
Nachmittagsbowle, gelangen von Erinnerungsdusel und Getrunkenem schwer in
spätester Abendstunde in ihr seudales Hotel, verbrauchen in der nächtlichen
Stille einer gewissen Einzelzelle nach langem vergeblichem Tasten und apathischein
Herumsuchen in der Rocktasche etwa noch ihr Nundreiseheft, machen sich andern¬
tags beim opulenten Katerfrühstück selber darüber lustig und sind dann eines
Tags etwas moralisch verkatzenjammert verschwunden und abgereist, hinterlassen


Aufklärungen über studentische Dinge

selber, die dadurch allmählich tiefgreifend innerlich umgestaltet werden. Die
norddeutschen Beamten und adlichen Landwirte, die zu ihrer Zeit stramme
und vergnügte Korpsburschen gewesen siud, müssen sich unter den heutigen
Verhältnissen sehr ernsthaft die Frage vorlegen, ob sie überhaupt imstande
seien, ihre Söhne in ihr liebes altes Korps zu schicken. Damit verlieren manche
und gerade alte und tüchtige Korps allmählich ihren bewährten festen Wurzel¬
boden und gelangen mit der Zeit zu völlig veränderten Nekrntirnngsbezirken,
die Plutvkratie verdrängt auch auf diesem Felde die Aristokratie. Die gegen
den Keim dieser Übel ergriffnen Mittel bewirken eher das Gegenteil, wir
meinen die, „Alteherrenkassen" und sonstigen Zuwendungen der Korpsphilister
an die Aktiven. Ganz abgesehn davon, daß es an sich nicht gut ist, wenn
die studirenden Jünglinge in einzelnen Dingen die Pfründner andrer sind, so
wird der Rückhalt, den das Korps an den Alten hat, sowohl zuweilen über¬
schätzt als auch leicht dahin verstanden: uns kanns gar nicht fehlen, wozu
siud denn die alten Herren da? sodaß das, was infolge der Freigebigkeit der
alten Herren hätte erspart oder gut angewandt werden können, oft doppelt
und dreifach anderweitig verjubelt wird. Ein Freund erzählte dem Schreiber
dieser Zeilen: Wir haben unserm Korps auch ein Haus gebaut. Zuerst
nahmen wir von den Aktiven eine verhältnismäßig geringe Miete, die durch
die Alteherrenkasse natürlich wieder zu Gunsten des Korps verwendet wurde.
Zur gleichen Zeit waren die Kassenverhältnisse bei dem aktiven Korps vor¬
trefflich. Dann erließen wir ihnen, quasi zur Belohnung, die Miete; und von
da an wollte es nicht mehr recht gehn.

Überhaupt ist es mit der direkten Einwirkung der alten Herren auf ihre
Aktiven, nicht bloß bei den Korps, sondern bei allen Verbindungen, ein zwie¬
faches Ding. Im ganzen und allgemeinen ist diese enge Beziehung zwischen
ältern, erfahrnen und bewährten Leuten und frischen Studenten eine sehr
hübsche und ersprießliche Errungenschaft für beide Teile, besonders aber
sür die Jungen. Dagegen erweckt das Auftreten einzelner alten Herren ge¬
legentlich unrichtige, ja verderbliche Vorstellungen. Die sitzen das ganze
übrige Jahr mehr oder minder behaglich, jedenfalls aber solid und ohne
Extravaganz daheim, bis der Urlaub kommt und sie sich entschließen, die ersten
Tage davon und den ersten gehäuften Löffel ihres Reisebudgets auf die alte
Musenstadt und ihre Erinnerungen zu verwenden. Da ziehen sie denn fröhlich
mit einem Schwarm von Füchsen umher, „schmeißen" Sektfrühschoppen und
Nachmittagsbowle, gelangen von Erinnerungsdusel und Getrunkenem schwer in
spätester Abendstunde in ihr seudales Hotel, verbrauchen in der nächtlichen
Stille einer gewissen Einzelzelle nach langem vergeblichem Tasten und apathischein
Herumsuchen in der Rocktasche etwa noch ihr Nundreiseheft, machen sich andern¬
tags beim opulenten Katerfrühstück selber darüber lustig und sind dann eines
Tags etwas moralisch verkatzenjammert verschwunden und abgereist, hinterlassen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0554" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213030"/>
          <fw type="header" place="top"> Aufklärungen über studentische Dinge</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1831" prev="#ID_1830"> selber, die dadurch allmählich tiefgreifend innerlich umgestaltet werden. Die<lb/>
norddeutschen Beamten und adlichen Landwirte, die zu ihrer Zeit stramme<lb/>
und vergnügte Korpsburschen gewesen siud, müssen sich unter den heutigen<lb/>
Verhältnissen sehr ernsthaft die Frage vorlegen, ob sie überhaupt imstande<lb/>
seien, ihre Söhne in ihr liebes altes Korps zu schicken. Damit verlieren manche<lb/>
und gerade alte und tüchtige Korps allmählich ihren bewährten festen Wurzel¬<lb/>
boden und gelangen mit der Zeit zu völlig veränderten Nekrntirnngsbezirken,<lb/>
die Plutvkratie verdrängt auch auf diesem Felde die Aristokratie. Die gegen<lb/>
den Keim dieser Übel ergriffnen Mittel bewirken eher das Gegenteil, wir<lb/>
meinen die, &#x201E;Alteherrenkassen" und sonstigen Zuwendungen der Korpsphilister<lb/>
an die Aktiven. Ganz abgesehn davon, daß es an sich nicht gut ist, wenn<lb/>
die studirenden Jünglinge in einzelnen Dingen die Pfründner andrer sind, so<lb/>
wird der Rückhalt, den das Korps an den Alten hat, sowohl zuweilen über¬<lb/>
schätzt als auch leicht dahin verstanden: uns kanns gar nicht fehlen, wozu<lb/>
siud denn die alten Herren da? sodaß das, was infolge der Freigebigkeit der<lb/>
alten Herren hätte erspart oder gut angewandt werden können, oft doppelt<lb/>
und dreifach anderweitig verjubelt wird. Ein Freund erzählte dem Schreiber<lb/>
dieser Zeilen: Wir haben unserm Korps auch ein Haus gebaut. Zuerst<lb/>
nahmen wir von den Aktiven eine verhältnismäßig geringe Miete, die durch<lb/>
die Alteherrenkasse natürlich wieder zu Gunsten des Korps verwendet wurde.<lb/>
Zur gleichen Zeit waren die Kassenverhältnisse bei dem aktiven Korps vor¬<lb/>
trefflich. Dann erließen wir ihnen, quasi zur Belohnung, die Miete; und von<lb/>
da an wollte es nicht mehr recht gehn.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1832" next="#ID_1833"> Überhaupt ist es mit der direkten Einwirkung der alten Herren auf ihre<lb/>
Aktiven, nicht bloß bei den Korps, sondern bei allen Verbindungen, ein zwie¬<lb/>
faches Ding. Im ganzen und allgemeinen ist diese enge Beziehung zwischen<lb/>
ältern, erfahrnen und bewährten Leuten und frischen Studenten eine sehr<lb/>
hübsche und ersprießliche Errungenschaft für beide Teile, besonders aber<lb/>
sür die Jungen. Dagegen erweckt das Auftreten einzelner alten Herren ge¬<lb/>
legentlich unrichtige, ja verderbliche Vorstellungen. Die sitzen das ganze<lb/>
übrige Jahr mehr oder minder behaglich, jedenfalls aber solid und ohne<lb/>
Extravaganz daheim, bis der Urlaub kommt und sie sich entschließen, die ersten<lb/>
Tage davon und den ersten gehäuften Löffel ihres Reisebudgets auf die alte<lb/>
Musenstadt und ihre Erinnerungen zu verwenden. Da ziehen sie denn fröhlich<lb/>
mit einem Schwarm von Füchsen umher, &#x201E;schmeißen" Sektfrühschoppen und<lb/>
Nachmittagsbowle, gelangen von Erinnerungsdusel und Getrunkenem schwer in<lb/>
spätester Abendstunde in ihr seudales Hotel, verbrauchen in der nächtlichen<lb/>
Stille einer gewissen Einzelzelle nach langem vergeblichem Tasten und apathischein<lb/>
Herumsuchen in der Rocktasche etwa noch ihr Nundreiseheft, machen sich andern¬<lb/>
tags beim opulenten Katerfrühstück selber darüber lustig und sind dann eines<lb/>
Tags etwas moralisch verkatzenjammert verschwunden und abgereist, hinterlassen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0554] Aufklärungen über studentische Dinge selber, die dadurch allmählich tiefgreifend innerlich umgestaltet werden. Die norddeutschen Beamten und adlichen Landwirte, die zu ihrer Zeit stramme und vergnügte Korpsburschen gewesen siud, müssen sich unter den heutigen Verhältnissen sehr ernsthaft die Frage vorlegen, ob sie überhaupt imstande seien, ihre Söhne in ihr liebes altes Korps zu schicken. Damit verlieren manche und gerade alte und tüchtige Korps allmählich ihren bewährten festen Wurzel¬ boden und gelangen mit der Zeit zu völlig veränderten Nekrntirnngsbezirken, die Plutvkratie verdrängt auch auf diesem Felde die Aristokratie. Die gegen den Keim dieser Übel ergriffnen Mittel bewirken eher das Gegenteil, wir meinen die, „Alteherrenkassen" und sonstigen Zuwendungen der Korpsphilister an die Aktiven. Ganz abgesehn davon, daß es an sich nicht gut ist, wenn die studirenden Jünglinge in einzelnen Dingen die Pfründner andrer sind, so wird der Rückhalt, den das Korps an den Alten hat, sowohl zuweilen über¬ schätzt als auch leicht dahin verstanden: uns kanns gar nicht fehlen, wozu siud denn die alten Herren da? sodaß das, was infolge der Freigebigkeit der alten Herren hätte erspart oder gut angewandt werden können, oft doppelt und dreifach anderweitig verjubelt wird. Ein Freund erzählte dem Schreiber dieser Zeilen: Wir haben unserm Korps auch ein Haus gebaut. Zuerst nahmen wir von den Aktiven eine verhältnismäßig geringe Miete, die durch die Alteherrenkasse natürlich wieder zu Gunsten des Korps verwendet wurde. Zur gleichen Zeit waren die Kassenverhältnisse bei dem aktiven Korps vor¬ trefflich. Dann erließen wir ihnen, quasi zur Belohnung, die Miete; und von da an wollte es nicht mehr recht gehn. Überhaupt ist es mit der direkten Einwirkung der alten Herren auf ihre Aktiven, nicht bloß bei den Korps, sondern bei allen Verbindungen, ein zwie¬ faches Ding. Im ganzen und allgemeinen ist diese enge Beziehung zwischen ältern, erfahrnen und bewährten Leuten und frischen Studenten eine sehr hübsche und ersprießliche Errungenschaft für beide Teile, besonders aber sür die Jungen. Dagegen erweckt das Auftreten einzelner alten Herren ge¬ legentlich unrichtige, ja verderbliche Vorstellungen. Die sitzen das ganze übrige Jahr mehr oder minder behaglich, jedenfalls aber solid und ohne Extravaganz daheim, bis der Urlaub kommt und sie sich entschließen, die ersten Tage davon und den ersten gehäuften Löffel ihres Reisebudgets auf die alte Musenstadt und ihre Erinnerungen zu verwenden. Da ziehen sie denn fröhlich mit einem Schwarm von Füchsen umher, „schmeißen" Sektfrühschoppen und Nachmittagsbowle, gelangen von Erinnerungsdusel und Getrunkenem schwer in spätester Abendstunde in ihr seudales Hotel, verbrauchen in der nächtlichen Stille einer gewissen Einzelzelle nach langem vergeblichem Tasten und apathischein Herumsuchen in der Rocktasche etwa noch ihr Nundreiseheft, machen sich andern¬ tags beim opulenten Katerfrühstück selber darüber lustig und sind dann eines Tags etwas moralisch verkatzenjammert verschwunden und abgereist, hinterlassen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/554
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/554>, abgerufen am 09.01.2025.